Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: C. Dinkel und I. Karle

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Judika, 2. April 2006
Predigt zu Lukas 1,46-55, verfasst von Erik Bredmose Simonsen (Dänemark)
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


(Text der dänischen Perikopenordnung)

Marias Lobegesang nennen wir den Text oder das Gedicht, das wir eben gehört haben. Die Jungfrau Maria hat Besuch von dem Erzengel Gabriel gehabt und erfahren, dass sie dazu auserwählt ist, Gottes Sohn und den Erlöser der Welt zu gebären. Maria ist ganz natürlich außer sich über diesen Besuch eines Engels, sie kann sich das alles überhaupt nicht zusammenreimen. Warum kam der Engel ausgerechnet zu ihr – einem einfachen Mädchen vom Lande? Hatte er sich vielleicht in der Adresse geirrt? – hätte er nicht eine feine Prinzessin aufsuchen sollen oder irgendeinen Ort in den großen Machtzentren? – Und wie konnte es überhaupt geschehen, dass sie, die noch mit keinem Mann geschlafen hatte, schwanger werden und einen Sohn zur Welt bringen sollte?

Der Engel hatte jedoch Maria beruhigt und ihr erzählt, dass das, was da geschehen sollte, ganz nach dem Willen Gottes war, dass Gott sie auserwählt hatte und schwanger machte, „denn bei Gott ist kein Ding unmöglich“. Und Maria war in sich gegangen, sie hatte sich dem Willen Gottes gebeugt mit den Worten: „Siehe, ich bin des Herrn Magd: mir geschehe, wie du gesagt hast.“

Als der Engel Maria verlassen hatte, reiste Maria zu ihrer Verwandten Elisabeth, der der Engel auch erzählt hatte, dass sie einen Sohn bekommen würde, obwohl sie schon in einem hohen Alter war und als unfruchtbar galt. Die beiden Frauen sind sich völlig darüber im Klaren, dass da etwas Wunderbares mit ihnen geschehen ist, und dass sich etwas Großes ereignen wird, und in ihrem Glücksrausch stimmt Maria ihren Lobgesang an:

Meine Seele erhebt den Herrn,
und mein Geist freut sich Gottes, meines Heilandes;
denn er hat seine geringe Magd angesehen...

Dass Maria von allen Frauen gewählt wird, ist chronologisch gesehen der erste Ausdruck der Umkehrung aller Werte, die sich mit Jesus Christus verbindet. Schon hier bei seiner Empfängnis ist diese Andersartigkeit im Verhältnis zu allen normalen Gedankengängen mit ihm Spiel. Dass das einfache Mädchen Maria die Auserwählte ist, ist nur der Anfang, und es geht weiter mit der Geburt, als der Sohn Gottes in einem schmutzigen Stall zwischen blökenden Schafen und wiederkäuenden Kühen geboren wird. Und die ersten Besucher nach der Geburt waren einige verkommene Hirten. Seither ist es in seinem Leben genauso, wenn Jesus auch hier das Leben unter den Geringen in der Gesellschaft höher schätzt als alle diejenigen, die ihr Schäfchen auf dem Trockenen haben. Und man beachte, wie Maria schon hier in ihrem Lobgesang genau dies zum Ausdruck bringt, wenn sie singt:

Er (Gott) übt Gewalt mit seinem Arm
und zerstreut, die hoffärtig sind in ihres Herzens Sinn.
Er stößt die Gewaltigen vom Thron
und erhebt die Niedrigen.
Die Hungrigen füllt er mit Gütern
und lässt die Reichen leer ausgehen.

Mit der Erwählung Marias wird mit anderen Worten diese ganze Umwälzung der Machtverhältnisse angekündigt: Das Große und Mächtige, alles das, was sich in eigener Macht und Gewalt hervortut, verliert seine Bedeutung, während all das Geringe und Unansehnliche, all das Ohnmächtige erhoben und zu Ehren und Würden gebracht wird. Wir hörten Ähnliches vorhin in der Lesung von heute: Paulus sagt im 1. Brief an die Korinther (V. 27):
”…was töricht ist vor der Welt, das hat Gott erwählt, damit er die Weisen zuschanden mache, und was schwach ist vor der Welt, das hat Gott erwählt, damit er zuschanden mache, was stark ist; und das Geringe vor der Welt und das Verachtete hat Gott erwählt, das, was nichts ist, damit er zunichte mache, was etwas ist, damit sich kein Mensch vor Gott rühme.”

Also wiederum diese Umwertung aller Werte.

So etwas ist nie populär gewesen bei den Starken, denen es nur allzu gut geht. Sie betrachteten solche Rede (Verkündigung) als gefährlich für die bestehende Ordnung und damit als gefährlich für sie selbst, denn ihre Macht beruhte ja gerade darauf. Für sie war eine solche Rede ein gefährliches Pusten in die schwelende Glut der Unzufriedenheit, die immer aufflammen konnte. Und Jesus, der der Urheber dieser gefährlichen Rede war, wurde denn auch von vielen der Machthaber als ein einfacher Aufrührer betrachtet, der mundtot zu machen war. Und das geschah bekanntlich.

Politischer Aufruhr war indessen nicht seine Sache – nicht dass ihm die Ungleichheiten der Gesellschaft einerlei waren, aber seine Art und Weise, zu handeln, war nicht die, dass er Härte mit Härte begegnete. Sondern er wollte den Zustand der Dinge auf anderem Wege ändern. Er sprach davon, dass man die andere Backe darbieten sollte, wenn jemand einen schlug, und auch den Mantel geben sollte, wenn jemand einem den Rock nehmen wollte. Über so etwas kann man vielleicht den Kopf schütteln; und doch wissen wir alle im Innersten, dass das Stich hält, dass eskalierende Gewalt zwischen zwei Gruppen z.B. nur gebremst werden kann, wenn die eine Seite mit der Gewaltanwendung aufhört und bildlich gesprochen die andere Backe darbietet, und dasselbe gilt weitgehend für Krieg und Partnerschaft und Ehe.

Der Weg, den Jesus ging, war der Weg der Liebe – der Weg der Barmherzigkeit, der Vergebung und Versöhnung, und in Wirklichkeit war es dieser Weg, der so großen Anstoß erregte. Es ist ja doch höchst paradox, dass ausgerechnet die Liebe so provozierend erscheinen kann, dass sie ganz einfach aus dem Wege geräumt werden muss. Darüber muss man jedenfalls nachdenken.

Aber das geschah vielleicht, weil es eben nicht einfach um die Liebe für den Hausgebrauch ging, die wir am besten kennen, sondern um die radikal selbstaufopfernde Liebe, für die kein Opfer zu groß ist – nicht einmal das des eigenen Lebens.

Es ist nicht unsere Liebe mit Maßen, die alles umwälzt, sondern eben diese radikale Liebe, für die nichts „gut genug” ist, sondern wo es nur um entweder – oder geht, d.h. entweder ist die Rede von alles opfernder Liebe oder es ist in Wirklichkeit gar nicht von Liebe die Rede. All die guten Gründe, die man anführen kann für seine Vorbehalte gegenüber der totalen Selbsthingabe, zeigen nur allzu klar unsere Lauheit – und sie machen deshalb nur deutlich, dass es mit unserer Liebesfähigkeit schlecht bestellt ist. – Enthüllungen dieser Art stören einen, auch aus diesem Grund musste Jesus also beseitigt werden.

Aber Gott ist in den Schwachen stark, wie es einmal heißt, und das bedeutet, dass er uns nicht einfach links liegen lässt und uns unserer eigenen Ohnmacht gegenüber den Taten der Liebe überlässt. Er ist der, der seine niedrige Magd ansieht, wie Maria in ihrem Lobgesang singt, er ist auch der, der ein für alle Mal seine Liebe demonstriert gegenüber der Menschheit, die er trotz und gegen alle Angemessenheit liebt, indem er sein eigenes Leben hingibt um unseretwillen.

Und dadurch, dass es nicht nur irgendein zufälliger Mensch war, der für andere starb, sondern der Sohn Gottes, hat sein Opfer durchgreifende Folgen für uns. Wir sind durch Jesus Christus mit Gott selbst versöhnt worden, und wir können es künftig wagen, uns selbst in die Augen zu sehen. Alles ist in ihm und durch ihn neu geworden.

Gottes Umwälzung der Dinge geschieht nun plötzlich in reichem Maße zu unserem Vorteil – aber das zu sehen setzt voraus, dass man imstande ist, seine eigene Begrenztheit und seine eigene Machtlosigkeit zu erleben im Verhältnis zu all dem, worum es in einem wahren Menschenleben geht.

Maria konnte das sehen – und stimmte den Lobgesang an.

Amen

Pastor Erik Bredmose Simonsen
Præstebakken 11
DK-8680 Ry
Tel.: +45 86 89 14 17
E.mail: ebs@km.dk

Übersetzung aus dem Dänischen: Dietrich Harbsmeier

 

 


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