Gründonnerstag, 13. April 2006 |
(Text der dänischen Perikopenordnung) Diese Woche, die Woche vor Ostern, heißt seit alter Zeit die stille Woche. Und ich denke so oft, wenn wir in diesem Zusammenhang von Stille reden wollen, dann muss das die Stille vor dem Sturm sein. Denn es läuft ja nicht in aller Stille ab. Die Hölle ist los. Man denke an Mel Gibsons viel beachteten Film die Passion Christi, über die letzten 12 Stunden Jesu, – ich habe den Film nicht selbst gesehen, aber, wie man hört, ist er alles andere als Stille und Ruhe. Es begann eigentlich alles so gut, am Palmsonntag mit dem Einzug in Jerusalem. Da kam er reitend in die Stadt, der Eselmann. Und die Leute riefen und schrien und jubelten. Denn sie kannten sehr wohl die alte Geschichte: wenn der wirkliche König kommt, dann kommt er sanftmütig auf einem Esel reitend, und nicht auf dem feurigen Streitross. Sie kannten die Sage genau, ja, aber sie hatten deren tiefere Bedeutung vergessen. Sie hatten das eine Wort vergessen – sanftmütig. Und das bedeutete, dass seine Erfüllung der Königserwartungen in scharfem Gegensatz stand zu ihren Träumen und Hoffnungen. Ja, es wurde fast zu einer Karikatur. Und so wurde Jesus denn auch später selbst karikiert und damit auch so verstanden, von einem römischen Gladiator, der seinen christlichen Kollegen damit necken wollte. Auf einer Ruine aus dem 2. Jahrhundert hat man eine Zeichnung mit einem Graffito gefunden, sie stellt eine gekreuzigte Person mit einem Eselskopf dar, und darunter steht das Graffito: „Alexamenos betet seinen Gott an.“ Das ist kaum freundlich gemeint, aber so richtig gesehen: es handelt vom Kommen Christi mit Sanftmütigkeit, mit dem sanften Mut, dem Mut des Lebens – ganz im Gegensatz zu dem prahlerischen Mut des Soldaten, dem Todsmut, der so viel auf dem Gewissen hat. Der Feind verstand genau das in Bezug auf Jesus, was niemand damals am ersten Palmsonntag verstehen wollte, ja, was die Menschen seines engsten Kreises nicht begriffen. Der Feind verstand, was die Freunde nicht begriffen, weil sie es nicht begreifen wollten. Sie verstanden nur, was sie sowieso schon kannten – wir hören es in der Erzählung vom 2. Ostertag über die Jünger auf dem Wege nach Emmaus, sie waren gefangen in ihrer altbekannten Geschichte von Sieg und Niederlage, bis der Fremde ihnen auf dem Wege die neue erzählte. Nein, sie verstanden nicht, worum es ging. Das ist deutlich. Als Jesus anfängt, ihnen die Füße zu waschen, wie wir es vorhin bei Johannes gehört haben, protestieren sie lauthals – denn es gehört sich doch nicht, dass der Größte unter ihnen dienen soll. Aber sie waren ja auch alle kleine Leute, die es nicht gewohnt waren, dass jemand überhaupt etwas für sie tat. Anders ist das mit uns – wir leben in einer Zeit, in einer Gesellschaft, in der niemand dienen will, sondern alle bedient werden wollen! Jesus muss sich erklären – Wenn nun ich, euer Herr und Meister, eure Füße gewaschen habe, dann seid ihr rein, dann sind euch alle eure Sünden vergeben – und dann... Wenden wir uns der zweiten Erzählung von den Ereignissen von Gründonnerstag zu, dem Bericht vom Abendmahl, so wissen wir, dass das Thema dasselbe ist. Die Liebe ist die mächtigste Kraft in der Welt. Sie kann Brücken zwischen Menschen bauen, ja, sogar Brücken über den Abgrund von Schuld. Und eben darum geht es Gründonnerstag. Er wusch ihre Füße, er saß mit ihnen zu Tisch – obwohl er wusste, dass sie versagen und ihn verraten würden, sie alle miteinander. Einer von euch wird mich verraten, sagt er – und der Wortwechsel zwischen ihnen offenbart, dass sie alle potentielle Verräter sind. Als Judas genau wie die anderen fragt: ich bin es doch wohl nicht, Herr?, antwortet Jesus: Du sagst es. Aber es steckt ein interessanter Aspekt in dem griechischen Wort für verraten: es kann auch die Bedeutung von übertragen, übergeben haben. Auf Dänisch handelt es sich auf ähnliche Weise um ein Zusammenspiel von verraten und ausliefern. Es ist Judas’ Schicksal, oder man kann sagen, dass Judas dazu auserwählt ist, ihnen den neuen Bund zu übertragen. Denn Judas ist es, der mit seinem Kuss den alten Bund außer Kraft setzt. Der alte Bund, der Bund, den Moses auf dem Berg Sinai schloss – davon handelt das jüdische Osterfest. Im Alten Testament wird erzählt: als Esau und Jakob viele, viele Jahre, nachdem Jakob dem Esau sein Erstgeburtsrecht durch List genommen hatte – ja, da küsste Esau Jakob. Mit dem Kuss zeigte er, dass er das Recht Jakobs anerkannte. Dieser Kuss war ein Kuss der Anerkennung. Und als der Profet Samuel Saul zum König salbte, goss er Öl auf sein Haupt, küsste ihn und sagte: Jetzt salbt dich der Herr zum Fürsten über sein Eigentum. Der Kuss ist ein Kuss der Krönung. Vielleicht ist es so, dass der Judaskuss auch ein Kuss der Anerkennung und Krönung ist. Der Kuss der Unterwerfung, womit Judas sein Schicksal auf sich nimmt als derjenige, der auserwählt ist, den alten Bund außer Kraft zu setzen, um damit sie alle an die Gnade des neuen Bundes auszuliefern. Wenn das der Fall ist, dann ist Judas nicht der schlimmste Verbrecher oder der Antichrist selbst, wie er auch genannt worden ist. Der Pfarrer und Dichter Johannes Möllehave schreibt klug in einem Gedicht genau dies: Zu lieben, wirklich zu lieben heißt, die Gemeinschaft wollen, auch wenn es einen teuer zu stehen kommt, auch wenn man nichts für das bekommt, was man bezahlt. Und als sie gegessen und getrunken haben, wiederholt er zum letzten Mal die Vorhersage seines Todes: Von nun an werde ich nicht mehr von der Frucht dieses Weinstockes trinken, bis an den Tag, an dem ich von dem neuen Wein trinken werde zusammen mit euch in meines Vaters Reich. Er nimmt alles auf sich – alles kann seine Liebe tragen: Schuld, Verantwortung, Sünde und Tod. Und wir? Amen Pastorin Elisabeth Birgitte Siemen Übersetzung aus dem Dänischen: Dietrich Harbsmeier
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