Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: C. Dinkel und I. Karle

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Ostersonntag, 16. April 2006
Predigt zu Matthäus 28, 1-8, Hans-Ole Jørgensen (Dänemark)
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(Text der dänischen Perikopenordnung)

Es muss ein Knoten im Faden sein, wenn man nähen will – sagt Sören Kierkegaard einmal. Er formuliert hier eine Erfahrung, die er kaum selbst gemacht haben wird, wenn man sich das allzu konkret vorstellt. Sören Kierkegaard hat es nicht nötig gehabt, selbst sein Zeug zu flicken und Knöpfe anzunähen, wenn sie losgegangen waren. Dafür bezahlte er seinen Schneider. Aber als Erfahrung von etwas Grundlegendem im menschlichen Leben hat er gewusst, wovon er sprach. Auch hier – im Leben des Menschen – muss es einen Knoten geben, damit man ordentlich nähen kann, auch der Mensch muss irgendwo seine Verankerung haben, um leben zu können.

Die Verankerung bekommen wir von Kindesbeinen an in erster Linie durch unsere Eltern. Aber auch Großeltern und andere unter denen, die um uns sind, wenn wir ankommen, können hier große Bedeutung bekommen. Allmählich weitet sich der Kreis. Während wir heranwachsen, breiten wir unsere Wurzeln aus und knüpfen andere Kontakte als die ersten familiären, wir binden uns in Freundschaften und in Liebe und finden Standorte hier und dort in so vielerlei, aber die Wurzeln, die am weitesten zurückreichen, verbleiben in der Regel die solidesten. Was wir an Fürsorge und Liebe seit dem Anfang unseres Lebens von denen erhalten haben, die uns damals empfingen, sich unserer annahmen und uns auf der ersten Wegstrecke begleiteten, das bleibt gewöhnlich bestehen als etwas von dem, was am allerwenigsten aus den späteren Ereignissen des Lebens herausgerissen werden kann, als der Knoten an dem Faden des Lebens, der am schwersten aufgeht.

In der Bilderwelt des Christentums ist es die Erkenntnis, die dahinter liegt, wenn Jesus einen Menschen Kind Gottes nennt. In keinem anderen Bilde ist der Knoten der Liebe, der uns mehr als alles andere in Stand setzt zu nähen, so fest gebunden wie hier. Wohl mag es geschehen, dass Eltern ihre Kinder aus dem Hause werfen und dass sich die Liebe in etwas anderes verwandelt, aber das kommt doch nur selten vor und – wenn es denn vorkommt – geschieht es nie ohne Schmerzen, die klar machen, dass das nicht der Sinn der Sache gewesen ist. Jemandes Kind sein ist gewöhnlich eine Verankerung in der stabilsten Liebe, die man sich denken kann. Und wenn man aufhört, Kind zu sein, – etwa weil die Eltern sterben – dann ist das oft auch eine sehr viel stärkere und mehr durchgreifende Veränderung im Leben eines Menschen, als man sich vorher vorgestellt haben mag. Wenn wir nicht mehr jemandes Kinder sind, dann schweben wir vielleicht freier in der Luft, als uns gut scheint.

Ostern ist der Knoten des Christentums. Das wird hier verkündet – mit der Auferstehung am Ostermorgen – und das verleiht dem, was in Jesu Leben zu sehen und erleben war, göttliche Gültigkeit, ja allem verleiht es Gültigkeit. Denken wir uns die Auferstehung weg, dann wären alle Worte Jesu und alle Taten Jesu, alles, was in seinem Leben an Gegenwart mit neuer Freude und neuem Sinn – Auferstehung – für verkommene Menschen war, ja, dann wäre all das von derselben Art wie nur das, was auch wir von uns geben und füreinander sein können, wenn es hoch kommt – die göttliche Bedeutung aber würde fehlen, und nichts wäre zu uns gelangt. Wir würden heute nicht einmal von Jesus gehört haben. Wäre alles Karfreitag schon zuende gewesen, wäre er zweifellos im allgemeinen Vergessen untergegangen, wie so viele andere große und unschuldig verurteilte Männer verschwunden sind.

Auf diese Weise ist die Auferstehung der Knoten des Christentums. Und so beginnt also auch die Verankerung, die uns geschenkt wird, wenn Jesus einen Menschen Kind Gottes nennt, an einem Punkt, wo wir nicht den Überblick haben. Denn die Auferstehung denken, geschweige denn erklären, was sie ist, das können wir natürlich nicht. Wenn es Auferstehung gibt, dann ist sie unumstößlich ein Geheimnis Gottes, ein Geheimnis, zu dem uns der Zugang versagt ist. Deshalb findet sie auch bei allen Evangelisten unter dem Schutz der noch nicht vertriebenen nächtlichen Finsternis statt.

Sie ist, was kein Auge sah, sie ist der Grund, auf dem die Kirche ihren Sonntag feiert. Und man kann das natürlich anfechten, ohne jede Schwierigkeit. Aber es gibt Dinge in unserem Leben, zu denen wir nur durch die Freude über sie Zugang haben, wenn wir darauf verzichten, sie erklären und verstehen zu wollen. Ja, Dinge, die wir einfach verkehrt aufnähmen, wenn wir sie zu erklären und zu verstehen suchten. Zu diesen Dingen gehört die Liebe, in ihrem Bereich geht es nicht darum, verstehen zu können, hier handelt es sich allein darum, in Glauben zuzuhören und zu empfangen, wenn sie mir etwas zu sagen hat. Und mit der Auferstehung ist es ebenso: auch sie hat etwas auf dem Herzen, das zu hören das Wichtige ist. Für die Frauen am Grab Jesu war es das, was der Engel verkündete, und nicht das, was sie selbst denken mochten, was sie wieder in das Leben schickte.

Und in Wirklichkeit ist es eine Stärke, dass das so ist. Denn wenn es um das geht, woran wir uns als Menschen halten können, wenn es uns scheint, dass wir zu frei in der Luft schweben und dass in unserem Leben etwas auf dem Spiele steht, dann ist das Stärkste ja niemals das, was von uns selbst abhängt. Der Knoten, der alles in einem Leben zusammenhalten können soll, auch das, worin Finsternis ist, der Knoten ist besser in einem Geheimnis bei Gott gebunden als in etwas, das wir selbst binden und deshalb auch lösen können.

Als die Frauen mit dem zurückkehrten, was ihnen der Engel dort draußen am Grabe gesagt hatte, da geschah das mit einer wiedererstandenen Freude in ihrem Herzen. Missmutig waren sie dorthin gekommen, denn sie glaubten, alles sei verloren, erschrocken waren sie auch über das, was sie dort erlebten, aber sie kehren zurück, in erster Linie wieder ins Leben gerufen von einer wiedererstandenen Freude, mit der sie zurück zu den Jüngern eilen müssen.

Was war es nun, das sie gehört hatten? Ja, vor allem hörten sie, dass die Liebe, die sie gesehen und der sie selbst in ihrem Leben mit Jesus begegnet waren, dass die Liebe, an die sie als eine Liebe geglaubt hatten, die auch die Liebe Gottes war, und die ihnen eine wunderbare Lebenskraft gewesen war in den Tagen, als sie Jesus folgten, wie der Fluss, von dem wir singen – der Fluss, der Felsen stürzen kann, der Fluss, der Eisberge schmelzen kann, der Blutschuld tilgen kann – , ja, in erster Linie hörten sie, dass diese Liebe jetzt doch die Macht hatte und über alles hinaus vorwärts wies, mit Gültigkeit für alle Tage, obwohl das geschehen war, was Karfreitag geschah.

Man kann auf vielerlei Weise sagen, was die Freude des Christentums ist. Aber auf jeden Fall, so möchte ich sagen, ist sie die Freude daran, in Freimütigkeit mit der Wahrheit über sich selbst und sein Leben umgehen zu können. All dem in die Augen sehen zu können und doch mit Freuden hier sein zu können.

Wir können es nicht immer von selbst – allen Dingen in die Augen sehen und doch mit Freimütigkeit hier sein. In dem Film „The Shipping News“, einem feinen Film, der wohl noch in den Kinos zu sehen ist, kommt ein kleines Mädchen vor, das seine Mutter verliert. Die Mutter kommt bei einem Autounfall ums Leben, und der Vater wagt nicht, der Tocher zu sagen, dass ihre Mutter tot ist. Er sagt: „ Sie schläft mit den Engeln“, und glaubt, so sei es am besten. Aber es stellt sich heraus, dass das ein Problem ist. Denn wie das Mädchen später sagt: „Wenn ich schlafe, dann pflege ich doch wieder aufzuwachen.“

Wir begegnen in dem Film mehreren anderen Personen, die von Lügen leben, weil sie das Dasein nicht aushalten können, wie es ist, – weil sie nicht in Freimütigkeit mit der Wahrheit über sich selbst und ihr Leben umgehen können. Unter ihnen ist auch eine ältere Frau. Sie ist als junges Mädchen von ihrem großen Bruder vergewaltigt worden – sie wurde auch schwanger, trieb aber das Kind ab – und ihr ganzes Leben lang hat sie dieses furchtbare Geheimnis für sich behalten. Denn, wie sie sagt, als der Vater des kleinen Kindes auf anderem Weg den Zusammenhang entdeckt hat: „Ich glaubte, ich würde zu Stein, wenn es jemand erfahren würde!“ Aber die Wahrheit, das zeigt der Film, die Wahrheit ist – und natürlich ist das die Wahrheit, dass die Enthüllung erlöst. Sie macht die Frau frei, diejenige zu sein, die sie ist.

Als der Vater des kleinen Mädchens gegen Ende der Handlung in dem Film sich gezwungen sieht, dem Mädchen zu sagen, dass ihre Mutter also tot ist, weil die Tochter darauf beharrt, auf sie zu warten, da zeigt sich auch das als eine Befreiung. Sie weinen zusammen, die Tochter wirft sich dem Vater um den Hals. Beide werden frei davon, so dass sie das Leben, das das ihre ist, leben können.

Und so gibt es Wahrheiten, denen wir in die Augen sehen müssen, wenn wir frei leben können wollen. Es hilft nichts, dasjenige zur Seite zu schieben, was wir am liebsten anders gesehen hätten, was unseren Schmerz hervorruft, unseren Verdruss, unsere Angst oder unsere Trauer. Es ist sehr viel besser, die Freimütigkeit zu besitzen, die das Christentum für die Menschen hat, die Freimütigkeit, die aus dem Glauben daran kommt, dass der Ostermorgen die Auferstehung der Liebe war, die in Jesu Leben war, der Liebe, die also auch die Liebe Gottes war, mit einer Reichweite über alle Tage und alle Menschen hin.

Jesu Auferstehung hat niemand gesehen. Und so gibt es vieles, was wir nicht sehen können. Und worüber wir nicht sprechen können. Wir wissen nicht, was der Tod ist und was uns danach erwartet, aber der Auferstehungsglaube will auch etwas anderes mit uns als uns in Spekulationen darüber hineinziehen. Die Jünger werden nicht aus der Welt genommen, sondern sie werden nach Galiläa geschickt, von wo sie kamen und wo sie ihren Alltag hatten. Denn dort sollen sie leben, im Leben vor dem Tod. Oder im Leben, trotz des Todes.

Wie jemand gesagt hat:

„Unser Galiläa
ist ja morgen
vielleicht ist es die Freude
vielleicht ist es die Trauer
unser Galiläa.“

Und unter allen Umständen hat die Freimütigkeit ein reiches Betätigungsfeld, die Freimütigkeit, die mit dem Hahnenschrei und Morgengesang unser Ostergeschenk ist. Allerorten herrscht Bedarf an der Nahrung, an dem Licht und der Wärme, die ununterbrochen der Verankerung entströmt, die für einen Menschen darin liegt, sich als ein Kind unseres Herrn betrachten zu können. Es ist Tod in so vielem, bei uns. Möge dies der Knoten in unserem Leben sein, den nichts aufmachen kann, weder Sünde noch Tod, weder Trauer noch Schmerz, weder Missmut noch Angst oder irgendetwas sonst.

„Wir bitten dich so stille
komm uns entgegen –
uns, die wir bange sind,
und uns, die wir tot sind,
in deinem Galiläa.“

Amen.

Pastor Hans-Ole Jørgensen
Hyrdestræde 5
DK-6000 Kolding
Tel.: +45 75 52 06 61
E-mail: haoj@km.dk

Übersetzung aus dem Dänischen: Dietrich Harbsmeier


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