Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: C. Dinkel und I. Karle

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Ostersonntag, 16. April 2006
Predigt zu 1. Samuel 2, 1-2.6–8a, verfasst von Christoph Dinkel
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


Der Predigttext für das heutige Osterfest steht in 1. Samuel 2. Es sind Ausschnitte aus dem Lobgesang der Hanna, der die Vorlage für das Magnifikat, den Lobgesang der Maria darstellt. Hanna singt dieses Lied nachdem ihr mit Samuel nach vielen Demütigungen und langem Warten ein Kind geschenkt worden war.

„Und Hanna betete und sprach: Mein Herz ist fröhlich in dem HERRN, mein Haupt ist erhöht in dem HERRN. Mein Mund hat sich weit aufgetan wider meine Feinde, denn ich freue mich deines Heils. Es ist niemand heilig wie der HERR, außer dir ist keiner, und ist kein Fels, wie unser Gott ist. […] Der HERR tötet und macht lebendig, führt hinab zu den Toten und wieder herauf. Der HERR macht arm und macht reich; er erniedrigt und erhöht. Er hebt auf den Dürftigen aus dem Staub und erhöht den Armen aus der Asche, dass er ihn setze unter die Fürsten und den Thron der Ehre erben lasse.“

Liebe Gemeinde!
Ostern ist ein sehr irdisches Ereignis. Für Hanna wird die Geburt ihres Sohnes zu einem Osterereignis. Diese Deutung legen uns unser heutiger Predigttext und jene, die ihn für den Ostersonntag ausgewählt haben, jedenfalls nahe. Ostern ist ein sehr irdisches Ereignis. Wer so wie Hanna Hohn und Spott über sich hat ergehen lassen müssen und wer wie Hanna dann schließlich doch Recht bekommt und triumphieren kann, der hat Ostern am eigenen Leib und im eigenen Leben erfahren. Hanna, die scheinbar Unfruchtbare, die nach langem Warten und verzweiflungsvollem Beten schließlich doch noch ein Kind bekommt, sie ist eine der vielen Zeuginnen für den österlichen Triumph. So irdisch-leiblich, so konkret-menschlich kann Ostern sein.

Aber, so fragt man sich, ist das nicht doch ein wenig zu irdisch gedacht? Ist das nicht zu platt und zu wenig geheimnisvoll? Schließlich ist Ostern doch auch ein himmlisches Ereignis. An Ostern stellt sich Gott zu seinem von den Menschen getöteten Sohn. Er erhöht ihn und macht ihn zum Herrscher über alle Reiche. An Ostern erscheint der Auferstandene seinen Jüngerinnen und Jüngern in höchst geheimnisvoller Weise. Er geht durch Wände und Türen, er taucht aus dem Nichts auf und verschwindet wieder, er erscheint zugleich in Emmaus und in Jerusalem. Ostererscheinungen gibt es außerdem noch in Galiläa und vor Damaskus als dem Apostel Paulus Jahre nach Ostern der Gekreuzigte als Lebendiger erscheint.

Ostern ist in jedem Fall auch ein himmlisches Ereignis, ein Ereignis, das für Himmel und Erde, für Engel und alle Mächte, für das Leben und für den Tod, für die sichtbare und die unsichtbare Welt von Bedeutung ist. Aber gerade weil Ostern ein himmlisches Ereignis ist, kann es überall auf der Welt die irdischen Ereignisse bestimmen. Denn als himmlisches Ereignis trägt Ostern den Charakter der Ewigkeit an sich. Es ist gleichzeitig zu jeder Weltzeit und kann zu jedem historischen Zeitpunkt konkret werden. Als himmlisches Ereignis geschieht Ostern nicht nur zu einem Zeitpunkt und an einem Ort im Jerusalem des Jahres 30 nach Christus. Als himmlisches Ereignis geschieht Ostern schon vor und auch nach jenem einen Ostern, von dem uns das Neue Testament berichtet. Weil Ostern ein himmlisches und damit ein ewiges Ereignis jenseits aller Zeit ist, deshalb kann auch Hannas Triumphlied als Osterlied verstanden werden. Hannas Triumph über ihre Widersacherin, die sie gequält, gekränkt und verspottet hat, ist ein Teil des Osterjubels.

Man spürt Hannas Jubel dabei all die erfahrenen Kränkungen und das lange Leiden und vergebliche Hoffen an. So wie Hanna kann nur jemand triumphieren, der die Hölle durchgemacht hat. Und deshalb ist Hannas Triumph durchaus mit einem Schuss Schadenfreude versehen. Sie schleudert ihrer Widersacherin ihren Triumph geradezu ins Gesicht: „Du hast gedacht, dass Du mich klein machen kannst. Du hast geglaubt, mich demütigen und zerstören zu können. Aber Du hast Dich getäuscht, Dein Hochmut zerbirst in tausend Stücke!“ Oder im Original: „Der HERR tötet und macht lebendig, führt hinab zu den Toten und wieder herauf. Der HERR macht arm und macht reich; er erniedrigt und erhöht. Er hebt auf den Dürftigen aus dem Staub und erhöht den Armen aus der Asche“. So triumphiert Hanna in ihrem Siegeslied über ihre Widersacherin, der sie so viel Leid verdankte. Und ihr schadenfroher Triumph gerät zu einem Lob an Gott und seine große Herrlichkeit: „Mein Herz ist fröhlich in dem HERRN, mein Haupt ist erhöht in dem HERRN. Mein Mund hat sich weit aufgetan wider meine Feinde, denn ich freue mich deines Heils. Es ist niemand heilig wie der HERR, außer dir ist keiner, und ist kein Fels, wie unser Gott ist.“

Zu Ostern gehören so ganz menschlich-irdische Geschichten wie jene von Hanna, die nach langer und tiefgehender Kränkung doch noch den Sieg davonträgt. Zu Ostern gehören auch die vielen Geschichten, in denen Jesus Menschen heilte und sie von Krankheit und Einsamkeit befreite. Zu Ostern gehören all die Berichte im Neuen Testament, in denen Menschen den Mut finden, sich den Mächten der Zerstörung und der Finsternis entgegenzustellen. Zu Ostern gehören auch die Geschichten, die wir und die Menschen um uns erleben. Denn wenn Ostern ein himmlisches Ereignis jenseits aller Zeit ist, dann ist Ostern gerade auch ein Ereignis unserer Zeit.

Nur fällt es uns gar so schwer, das große Wort „Ostern“ für das zu gebrauchen, was wir in unserem Leben erleben. Wir haben zu viel heilige Scheu davor. Wir schrauben die Erwartungen zu hoch. So viel Schadenfreude und Triumphgeheul, wie in Hannas Lobgesang anklingen, würden wir uns doch gar nicht erlauben, wenn wir ein österliches Ereignis in unserer Umwelt identifizieren wollten. Unsere religiöse Sprache verarmt, weil wir sie nicht mehr zu gebrauchen wagen im Blick auf das, was unseren Alltag bestimmt. Die Menschen um Jesus oder Hanna in ihrem Lied wären bestimmt nicht so zögerlich gewesen wie wir. Lebten sie heute, sie würden ganz ungehemmt zum Beispiel so von Ostern erzählen:

„Gestern habe ich mein Abitur bestanden. Ich habe so hart dafür gekämpft. Ich habe 14 Jahre Schule hinter mich gebracht, einschließlich einer Ehrenrunde. Es ist mir nicht leicht gefallen. Ich wollte oft aufstecken. Ich weiß, was es heißt, an einer Aufgabe zu verzweifeln. Ich kenne das Gefühl, wenn sich im Kopf alles dreht und das Papier vor mir auf dem Tisch weiß und leer bleibt. Mein Gott, was habe ich gekämpft und gehofft und gebetet. Aber nun ist es gelungen. Der Herr tötet und macht lebendig. Und ich lebe. Frohe Ostern, Halleluja!“

Oder auch so könnte man von Ostern erzählen, wenn man im Stile Hannas und der Menschen um Jesus von Ostern reden wollte:

„Ich bin verliebt. Ja, ich bin wirklich verliebt. Und diesmal ist es keine Täuschung. Diesmal ist es keine einseitige, unglückliche Verliebtheit. Wie oft ist mir das passiert, dass ich mich verrannt und zum Narren gemacht habe. Wie oft habe ich einen Korb bekommen. Und wie peinlich ist das, wenn man seine Liebe gesteht und merkt: man erntet nur Mitleid oder Langeweile. Im Boden möchte man versinken und weh tut es auch. Aber diesmal ist alles anders. Sie hat ja zu mir gesagt. Sie will mich, wirklich mich. Was für ein Glück! Halleluja, ich lebe! Es ist Ostern!“

Ostergeschichten sind Freudengeschichten. Es sind Geschichten, in denen Menschen von großer Last befreit werden, in denen sie Demütigungen überwinden und ihnen Glück widerfährt. Die Geburt eines Kindes kann eine Ostergeschichte sein, so wie bei Hanna. Die Befreiung aus Gefangenschaft kann eine Ostergeschichte sein, wenn Geiseln los- und mit dem Leben davonkommen. Aber nicht immer müssen Ostergeschichten so jubelnd und triumphal sein. Es gibt auch leise Ostergeschichten. Auch so könnte man von Ostern erzählen:

„Ich glaube, ich kann mich wirklich auf ihn verlassen. Er ist ein richtig guter Freund. Wir können Stunden beim Wein zusammensitzen – der Gesprächsstoff geht uns nie aus. Wir könnten tagelang miteinander reden. Selbst dann, wenn wir verschiedener Meinung sind, bleiben Vertrautheit und Nähe erhalten. Irgendwie macht das gar nichts aus. Sonst streitet man sich ja schon wegen Kleinigkeiten. Aber zwischen uns beiden passiert das nicht. Natürlich reden wir auch über Berufliches miteinander. Das ist heikel, weil man da auch über Niederlagen, über Fehlentscheidungen und vertane Chancen reden muss. Aber es kommt kein falscher Ton in unsere Gespräche. Wir konkurrieren nicht miteinander. Wir sind einfach nur gute Freunde, die miteinander durch dick und dünn gehen. Freundschaft ist eine Gottesgabe. Für mich ist das Ostern.“

Schließlich noch folgende Ostergeschichte. Sie ist noch einmal deutlich leiser und verhaltener: „Es ist mein letztes Ostern. Ich bin krank. Ich werde sterben. Die Chemo hat mir noch einige Monate Aufschub gewährt. Klar, ich würde gerne noch länger leben. Ich würde gerne meine Enkel Großwerden sehen. Ich hätte gerne noch einige Reisen gemacht. Jerusalem zum Beispiel – da bin ich noch nie gewesen. Immer kam etwas dazwischen. Na ja, jetzt kommt halt der Tod dazwischen. Aber vor dem Tod ist noch Ostern. Die Blumen stecken endlich ihre Köpfe aus der Erde. Die Sonne hat an Kraft gewonnen. Der Winter hat verloren und bald bricht das Grün durch. Es wird mein letzter Frühling und mein letztes Ostern sein. Aber ich will all das noch einmal spüren: die Sonne, den Wind und den Regen. Ich will die nasse Erde riechen und die Kräuter im Wald. Ich muss langsam gehen, aber umso genauer nehme ich wahr. Und: ich bin nicht allein. Meine Kinder besuchen mich. Sie halten mir die Hand und streicheln mich. Das haben sie seit Jahrzehnten nicht mehr getan. Ich wusste gar nicht, dass ich das vermisst habe. Aber jetzt tun mir ihre Berührungen und ihre Worte so unheimlich gut. Jede Berührung erzählt mir vom Leben: von ihrem Leben, von meinem Leben, von dem Leben, das uns verbindet. Es ist Ostern. Halleluja!“

Liebe Gemeinde!
Ostern ist ein sehr irdisches Ereignis. Ostern findet in unserem Alltag statt. Ostern ist der manchmal laut triumphierende, manchmal verhalten stille Sieg des Lebens über den Tod. Lernen wir, diesen Sieg wahrzunehmen, lernen wir davon zu erzählen, damit auch um uns herum Ostern wird.

Ich schließe mit einem Gedicht von Marie Luise Kaschnitz:

Auferstehung
Manchmal stehen wir auf
Stehen wir zur Auferstehung auf
Mitten am Tage
Mit unserem lebendigen Haar
Mit unserer atmenden Haut.

Nur das Gewohnte ist um uns.
Keine Fata Morgana von Palmen
Mit weidenden Löwen
Und sanften Wölfen.

Die Weckeruhren hören nicht auf zu ticken
Ihre Leuchtzeiger löschen nicht aus.
Und dennoch leicht
Und dennoch unverwundbar
Geordnet in geheimnisvolle Ordnung
Vorweggenommen in ein Haus aus Licht.

Marie Luise Kaschnitz (1962)



Prof. Dr. Christoph Dinkel
Pfarrer

Gänsheidestraße 29
D-70184 Stuttgart
E-Mail: dinkel@email.uni-kiel.de
Internet: http://www.uni-kiel.de/fak/theol/personen/dinkel.shtml


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