Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: C. Dinkel und I. Karle

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Quasimodogeniti, 23. April 2006
Predigt zu Kolosser 2, 12-15, verfasst von Andreas Brummer
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


Mit Christus seid ihr begraben worden durch die Taufe; mit ihm seid ihr auch auferstanden durch den Glauben aus der Kraft Gottes, der ihn auferweckt hat von den Toten. Und er hat euch mit ihm lebendig gemacht, die ihr tot wart in den Sünden und in der Unbeschnittenheit eures Fleisches, und hat uns vergeben alle Sünden.
Er hat den Schuldbrief getilgt, der mit seinen Forderungen gegen uns war, und hat ihn weggetan und ans Kreuz geheftet. Er hat die Mächte und Gewalten ihrer Macht entkleidet und sie öffentlich zur Schau gestellt und hat einen Triumph aus ihnen gemacht in Christus.

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Heute feiern wir den Sonntag "Quasimodogeniti". Ein ziemlich seltsamer Name ist das, bei dem man immer zuerst an den Glöckner von Notre Dame denkt und gar nicht so sehr an einen Gottesdienst. Gerade deshalb aber will ich mich einmal auf die Fährte dieses Sonntags machen. Was hat es auf sich mit diesem "Quasimodogeniti"?
Ich beginne mit einem Sprung zurück in die Geschichte der Kirche. Und zwar weit, weit zurück, noch hinter Martin Luther und die Reformation, mitten hinein in das erste christliche Jahrtausend und die die altkirchliche Tauftradition:
Da ist der erste Sonntag nach Ostern. Der Abschluß der österlichen Festwoche. Im Mittelpunkt stehen dabei die Neugetauften. Noch heute erinnert der Name des Sonntags daran. „Quasimodogeniti" - das heißt nämlich übersetzt: "wie die neugeborenen Kindlein". Und damit sind gerade die Neugetauften, die durch die Taufe Neugeborenen gemeint, auch wenn sie damals nicht Kindlein, sondern erwachsene Leute waren. Getauft in der Osternacht waren sie die Osterwoche hindurch, gekleidet in weiße Gewänder, von Kirche zu Kirche gezogen und haben dort jeweils Station gemacht und Gottesdienst, Messe gefeiert. Stellen Sie sich das vor: Eine Festwoche ganz in weiß, ein Leben wie in einer eigenen Welt, nämlich der Welt „des neuen Lebens“ - voll von den Düften der Salböle, voll dem Licht der Kerzen und dem Rhythmus der liturgischen Gesänge: Eine eigene Welt war das abseits des Alltags, eine Liturgie des Lebens, die da eingeübt wurde.
Und dann kommt der 1. Sonntag nach Ostern: Die Neugetauften legen ihre weißen Festkleider, ihre Taufkleider ab und zum ersten Mal wieder die Alltagskleider an. Der Kleiderwechsel als ein Zeichen für den Übergang: Jetzt nehme ich dieses neue Leben hinein in mein Alltagsgewand. Jetzt soll mein Alltagskleid diese Lebensluft, diese Lebenslust atmen. Jetzt soll dieses Leben auch den Stoff, aus dem mein Alltag gewebt ist, durchwirken.

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Das neue Leben – der Kolosserbrief umreißt es in den Versen, die wir vorhin gehört haben: Ein Leben, in dem der Schuldbrief auch der verkrachtesten Existenzen getilgt wird; ein Leben, in dem die Mächte und Gewalten, welche das nun auch sein mögen, ihrer Macht entkleidet werden und so plötzlich nackt da stehen, sozusagen als schlotternde Karrikaturen ihrer selbst.
Für unsere Ohren mag das vollmundig klingen, aber die Neugetauften der alten Kirche haben die Worte unserer Epistel noch ganz anders begreifen und ergreifen können als wir heute. Denn gerade so, wie es der Kolosserbrief beschreibt, müssen sie es empfunden haben, wenn sie in der Osternacht getauft wurden: untergetaucht, zumindest tief hineingetaucht in das Taufwasser. War dieses Untergehen nicht wie ein Tod, wie ein Begrabenwerden? War das nicht so, als ob sie selbst zeichenhaft Anteil bekamen am Schicksal Jesu Christi? Und war die Taufe, das Wiederauftauchen, war das Anlegen der weißen Gewänder, waren die hellen Kerzen und Lichter als Zeichen des neuen Lebens am Ostermorgen, war das nicht alles auch für sie wie eine Erfahrung von Neugeburt, von Auferweckung, von Befreiung?

Mit Christus seid ihr begraben worden durch die Taufe; mit ihm seid ihr auch auferstanden durch den Glauben aus der Kraft Gottes, der ihn auferweckt hat von den Toten. Und er hat euch mit ihm lebendig gemacht, die ihr tot wart in den Sünden ... er hat den Schuldbrief getilgt .. er hat die Mächte und Gewalten ihrer Macht entkleidet ...

Worte einer urchristlichen Taufpredigt mögen dies ursprünglich gewesen sein, eine Deutung dessen, was die Täuflinge in der Osternacht am eigenen Leibe erlebt haben. So werden sie das gespürt haben: Dass nämlich wirklich alles, was war, in jener Nacht hinter sie gefallen ist und sie hineingetaumelt sind in die Liturgie eines neuen Lebens. In die Liturgie eines neuen Lebens, die sich all den Liturgien des Todes, die unsere Welt kennt, entgegenstellt.

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Religiöse Euphorie mag man das nennen. Oder ist es doch ein Ahnen und ein Spüren, dass da das Wort von der Auferstehung eben nicht nur Wort ist, sondern Fleisch werden will – in mir, in ihnen, in jedem Täufling – und dass da mit jeder Taufe dem Todeskuchen unserer Welt ein Stück Leben abgerungen wird?

Manchmal stehen wir auf
stehen wir zur Auferstehung auf
mitten am Tage
mit unserem lebendigen Haar
mit unserer atmenden Haut.

Marie-Luise Kaschnitz hat so gedichtet von der Auferstehung, die Fleisch wird, die unser Fleisch annimmt. „Mehr Demokratie wagen“ hieß das Programm Willy Brandts Ende der 60er Jahre. Wäre es nicht ein Programm für Christen heute nun „mehr Auferstehung zu wagen“ – mit lebendigem Haar, mit atmender Haut: mit Schuldbriefen, die getilgt werden, mit Mächten und Gewalten, die in ihrer Armseligkeit bloßgestellt werden, zumindest aber aufgedeckt, auf dass sie nicht länger versteckt ihre grausamen Spiele der Zerstörung und der Entmenschlichung und der Entsolidarisierung treiben?

Manchmal stehen wir auf
stehen wir zu Auferstehung auf
mitten am Tage

Manchmal. Ob das reicht? Warum nicht: Immer wieder! Oder immer öfter! Oder aber umgekehrt: immer weniger! Immer weniger lassen wir uns halten von den Alltagsketten, von der eingeredeten oder auch realen Schuld, von denen und von dem, das sich unser bemächtigt, mitten am Tage, mitten in der Nacht.

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„... mit ihm seid ihr auch auferstanden durch den Glauben aus der Kraft Gottes, der ihn auferweckt hat von den Toten“
Als Getaufte stehen wir auf für das Leben.
Das weiße Taufkleid ist das Zeichen – Mit-Auferstandene sind wir! Und der Kolosserbrief hält es uns vor die Nase, neckend fast, lockend: „Schlüpf hinein“, scheint er zu raunen, „zieh es über! Schau dich an im Osterspiegel, umkleidet mit dem Leben, erfüllt von Gottes Kraft. Lass dich sehen – Mit-Auferstandener, der du bist - als solcher, der etwas entgegenzusetzen hat all dem, was da Menschen die Luft zum Atmen nehmen will.“

In einem Gedicht von Hilde Domin heißt es: Wir Auferstandene seit unserer Geburt.
Ja, da fängt sie schon an, die Auferstehung in unserem Fleisch: mit unserer Geburt. Als Gottes Geschöpfe sind wir schon immer Auferstandene. Doch im Osterlicht und im Taufwasser können wir es noch einmal neu entdecken, wird es uns wieder vor Augen gestellt: Wir gehören dazu, Sie und ich auch und alle, die wir taufen - wir gehören zu dieser großen Auferstehungsbewegung gegen den Tod und müssen uns deshalb nicht von unseren Alltagssorgen niederdrücken lassen. Die Taufkleider der ersten Christen und die Taufkleider unserer Täuflinge erinnern uns: Es ist noch eine andere Macht in deinem Leben, Lebens- nicht Todes-Macht, die strahlt hinein in deinen Alltag. Heute. Morgen. Allezeit.

Pastor Andreas Brummer
Lüneburger Damm 4b
30625 Hannover
 

 


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