Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: C. Dinkel und I. Karle

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Jubilate, 7. Mai 2006
Predigt zu 2. Korinther 4, 16-18, verfasst von Jennifer Wasmuth
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


Liebe Gemeinde,

ein öffentliches Streitgespräch – geladen sind zwei international bekannte Wissenschaftler, ein Philosoph und ein Soziologe. Sie sollen Stellung nehmen zu der Frage: Braucht der Mensch Religion? Der eine, ein inzwischen alter, betagter, fast gebrechlich wirkender Mann, meint, dass der Mensch durchaus Religion brauche, ja, dass sie ihm gut täte und er viel verantwortlicher handeln würde, wenn er ein göttliches Gegenüber hätte. Aber leider gebe es keine überzeugenden rationalen Argumente für die Existenz eines solchen Gegenübers, und deshalb sei die Religion tatsächlich ein reines Phantasiegebilde, Gott allein ein Wunschprodukt unserer Einbildungskraft. Der andere, sehr dynamisch, sehr engagiert, meint demgegenüber, dass die Frage, ob der Mensch die Religion brauche oder nicht, falsch gestellt sei. Denn sie setze voraus, dass der Mensch selbständig entscheiden könne, ob er die Religion wolle oder nicht. Seine Beobachtung aber sei, dass der Mensch in jedem Fall religiös sei, jeder mache ständig und überall religiöse Erfahrungen. Es sei also vielmehr die Frage, wie der Mensch mit seinen religiösen Erfahrungen umgehe, wie er sie in seinem Alltag aufspüre, aber nicht, ob er solche Erfahrungen brauche oder nicht... Sie sehen, die Veranstalter hatten sich die richtigen Wissenschaftler eingeladen. Nicht nur zwei unterschiedliche Charaktere, sondern auch zwei völlig unterschiedliche Auffassungen von Religion trafen hier aufeinander, und es kam dann auch tatsächlich zu einem äußerst hitzigen Streitgespräch. Das Gespräch kreiste dabei immer wieder um die Frage, ob es einen Gott gebe, ob die Religion ein Hirngespinst sei oder etwas, das zu unserem Leben dazugehöre. Der Ältere von den beiden wurde nicht müde zu betonen: Er würde ja gerne glauben, aber die Vernunft spreche nun einmal dagegen. Um das zu verdeutlichen, brachte er ein Beispiel und kam gleich mehrfach darauf zurück: Wenn er einen Löwen vor sich sehe, dann sei es für ihn keine Frage, dass es sich um einen Löwen handele. Es brauche da keine weiteren Beweise oder merkwürdigen Gedankengänge – er sehe einen Löwen und da sei dann auch ein Löwe. Wie aber sei es mit Gott? Er sehe hin und sehe nichts. Wieso also sollte er an die Existenz Gottes glauben?

Das Streitgespräch gelangte damit an einen Punkt, der zu den wirklichen kribbeligen Punkten von Religion und Glaube gehört. Denn einerseits erfahren Gläubige Gott als mächtige, das Leben verändernde Realität. Andererseits ist Gott in der Tat ja kein Löwe, auf den man hinweisen und dessen Existenz sich dann schon von selbst beweisen würde. Bei uns Christen ist es vielmehr ja sogar so, dass wir auf einen Gekreuzigten, eine vermeintlich kriminelle Figur, einen elend Leidenden verweisen und behaupten, dass eben dieser der Sohn Gottes sei, dass Er auferstanden sei und für uns den Tod überwunden habe.

Paulus geht es in einem seiner Briefe an die Gemeinde in Korinth um genau diese Frage – um das Verhältnis von Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit. Allerdings ist dies für ihn keine philosophische Frage. Man merkt noch heute, wenn man seine Zeilen liest, die existentielle Betroffenheit. Im 2. Korintherbrief (im 4. Kapitel, Verse 16-18) heißt es dazu:

Darum werden wir nicht mutlos; sondern wenn auch unser äußerer Mensch zerfällt, so wird doch der innere von Tag zu Tag erneuert. Denn unser gegenwärtiges Leiden, das leicht wiegt, schafft uns eine ewige und über alle Maßen gewichtige Herrlichkeit, uns, die wir nicht auf das Sichtbare sehen, sondern auf das Unsichtbare. Denn was sichtbar ist, das ist vergänglich; was aber unsichtbar ist, das ist ewig.

Für Paulus ist das Unsichtbare also gerade nicht Anlass, um in Zweifel zu geraten, sondern Gegenstand der Hoffnung. Das, was wir nicht fassen können, was nicht zum „äußeren Menschen“ gehört, das, was zu unserem inneren Wachstum, zu unserer geistigen Kraft und Stärke führt, darauf kommt es ihm an.

Allerdings – dieses Unsichtbare ist auch für ihn nicht verfügbar, ist eine jenseitige Größe. Paulus würde deshalb wohl jenem Wissenschaftler aus Wien zugestimmt haben, dass die Frage in der Tat falsch gestellt ist: ob wir Religion brauchen, ob es uns nützt, wenn wir an Christus glauben, diese Frage erübrigt sich. Denn für Paulus ist der Glaube ein Faktum seines Lebens, die Begegnung mit Christus wird für ihn zu dem Wendepunkt in seinem Leben, ob er dies nun für nützlich hält oder nicht. Und tatsächlich hat es Paulus zunächst einmal nichts „gebracht“; er schreibt selbst von Verfolgung, Unterdrückung, dem Sterben Jesu, das er an seinem eigenen Leibe trage.

Politisch klug verhält Paulus sich damit eigentlich nicht. Politisch klug hätte er sich verhalten, wenn er eben diese Fragen – brauchen wir Religion? – aufgenommen und all die Vorzüge eines religiösen Lebens aufgezählt hätte. Ganz so, wie es im Moment geschieht, wenn über Sinn und Gehalt einer religiösen Erziehung nachgedacht wird. Da wird dann zugunsten einer religiösen Erziehung argumentiert, dass die Religion Werte vermittle, dass, wer religiös sei, verantwortlich zu handeln und sich für das Gemeinwohl einzusetzen wisse.

Wenn ich selbst auch davon überzeugt bin, dass alles dies die Folge einer religiösen Erziehung sein kann und in der Tat auch oft ist; wenn ich deshalb die von der Bundesfamilienministerin und den beiden großen Kirchen gestartete Initiative für sehr sinnvoll halte und mir wünschte, dass davon tatsächlich Impulse für eine bessere religiöse Erziehung ausgingen; und wenn mich schließlich z.B. sehr die Erfolge beeindruckt haben, die eine evangelische Grundschule vorzuweisen hat, weil ihre Schüler zum großen Teil eben all die Vorzüge aufweisen, die man sich von einer religiösen Erziehung verspricht – Schüler, die schon sehr früh selbständig arbeiten, die aufeinander Rücksicht nehmen, lernbegierig und kreativ sind; wenn ich alles dies auch sehe, so bin ich geradezu dankbar, dass Paulus sich damals politisch so unklug verhalten und nicht davon geschrieben hat, welche Vorteile der christliche Glaube für unser Hier und Jetzt hat. Denn auf diese Weise hat er noch eine ganz andere Tür geöffnet, etwas viel Größeres gezeigt, was weit über unseren kleinen Horizont hinausgeht, was, wie Paulus schreibt, „ewig“ ist. Er hat uns auf jene „über alle Maßen gewichtige Herrlichkeit“ verwiesen, die uns nicht „mutlos“ werden lässt, die uns innerlich zu bereichern vermag, auch wenn wir äußerlich immer weniger werden, die uns Trost und Freude vermittelt und alles andere „leicht wiegen“ lässt. Es ist dieses Wissen, das Paulus und viele Christen nach ihm immer wieder voll – von außen betrachtet – unbegreiflicher Freude sein lässt, dass sie geradezu „jubilieren“ und wie jener Textdichter aus dem 16. Jahrhundert singen lässt:

„In dir ist Freude in allem Leide, o du süßer Jesu Christ. Durch dich wir haben himmlische Gaben, du der wahre Heiland bist. Hilfest von Schanden, rettest von Banden, wer dir vertrauet, hat wohl gebauet, wird ewig bleiben, Halleluja. An dir wir kleben im Tod und Leben, nichts kann uns scheiden. Halleluja.“

Amen.

Dr. Jennifer Wasmuth
Wiss. Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Kirchengeschichte in Berlin
jennifer.wasmuth@theologie.hu-berlin.de


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