Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: C. Dinkel und I. Karle

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Kantate, 14. Mai 2006
Predigt zu Apostelgeschichte 16, 23-34, verfasst von Friedrich Seven
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


Ja, das ist richtig, Euch hat noch der Apostel Paulus getauft. Wir wurden damals alle in unserem Haus von ihm und Silas getauft. Wie es dazu gekommen ist, sollte ich Euch vielleicht doch einmal erzählen, gefragt danach habt ihr ja schon oft.

Wie Ihr wißt, war ich früher Kerkermeister von Beruf und hatte von den Christen bis dahin nur wenig gehört, und dieses wenige war nichts gutes. Sie würden behaupten, so erzählte man, ein gewisser Jesus von Nazareth sei wie ein Verbrecher mit zwei anderen am Kreuz hingerichtet worden und dann, am dritten Tag danach, wieder erschienen. Wer ihm begegne, würde an ihn glauben und dessen Leben nähme von da ab eine ganz andere Richtung.

Eines Abends wurden zwei von diesen Christen zum Kerker gebracht, und ihnen war anzusehen, daß man sie schwer gefoltert hatte. Ihr werdet Euch schon denken, wer diese beiden waren?, jawohl: Paulus und Silas, aber ich konnte mit ihren Namen damals noch nichts anfangen. Ich tat nur, wie mir befohlen, und legte sie trotz ihrer großen Schmerzen noch in den Stock.

Weshalb man sie hierher gebracht und ihnen zuvor so grausam zugesetzt hatte, konnte ich ohnehin nur erahnen. Mein Knecht hatte wohl davon gehört, daß sie mit dem, was sie getan und wohl noch mehr mit dem, was sie im Ort erzählt hätten, für Unruhe und Aufruhr gesorgt hätten.

In der Nacht dann hörten mein Knecht und ich sie in ihrer Zelle singen, doch wir wollten ihnen zunächst eigentlich keine Aufmerksamkeit schenken. Sie waren beileibe nicht die ersten Gefangenen, die sich des nachts mit Singen ihre Angst und Einsamkeit zu vertreiben suchten. Für gewöhnlich nahm solcher Gesang im Laufe der langen Nächte einen immer trotzigeren Ton an, so als wollten uns die Gefangenen damit drohen und uns wissen lassen, daß mit ihnen noch zu rechnen wäre.

Doch war heute nacht dieser trotzige Ton nicht zu hören, und überhaupt schienen die beiden nicht für uns und ihre Mitgefangenen zu singen, ja nicht einmal für sich selbst. Wir hatten das Gefühl, sie sangen für einen, der noch bei ihnen war, obwohl wir doch keinen dritten in die Zelle gesperrt hatten.

Vielleicht gerade weil sie so sangen, hörten wir ihnen dann doch immer mehr zu. Auch ihre Mitgefangenen schienen das zu tun, denn aus deren Zellen war nach kurzer Zeit kaum mehr ein Laut zu hören.
Für wen mochten die beiden wohl singen?

Mein Knecht hatte die erste Wache, und ich legte mich schlafen. Obwohl mich dabei gewöhnlich nichts stören konnte, hatte ich diesmal doch Mühe einzuschlafen, nicht weil sie noch sangen, aber weil mich die Frage nicht losließ.

Wie lange ich wohl geschlafen habe, weiß ich nicht. Das erste, was ich erinnern kann, ist, daß ich bereits von der Liege gestürzt war, als ich mit großem Schrecken aufwachte. Ich wollte aufstehen, spürte aber, wie der Boden unter mir wankte, meinte zu sehen, daß die Wände auseinandergerissen wurden, und hörte wie Türen herausfielen.

Ich kroch ich in die Stubenmitte, zog mich ganz zusammen und legte die Hände auf den Kopf, aber das Dach stürzte nicht auf mich herab, sondern wurde zu den Seiten von den Wänden mitgerissen.
„Ein Erdbeben!“ hörte ich meinen Knecht schreien.

Als nach einiger Zeit die Stöße nachließen und die Erde wieder ruhig war, konnte ich mich aufrichten, stolperte über die aus dem Boden herausgelösten Steine und schaute auf die Zellen, deren Türen sämtlich herausgefallen waren. „Da müssen auch die Fußfesseln gelöst sein“, dachte ich noch, und schaute gar nicht mehr nach. Vermutlich waren die Gefangenen bereits im Schutze der Dunkelheit und im Chaos, das sicher draußen herrschte, gerade auf dem Weg aus der Stadt.

Ich wußte, was das ganze für mich bedeutete: Ein Kerkermeister, dem die Gefangenen davongelaufen sind, hat seinen Beruf verfehlt und sein Leben verwirkt. Wer mag schon gerne zum Gespött werden. Eigentlich, so gestand ich mir ein, haben die Spötter ja auch recht. Hatte nicht die Sicherheit vor Verbrechern in unserem Ort in meinen Händen gelegen. Das Erdbeben würde schneller vergessen sein als die Tatsache, daß mir die Gefangenen weggelaufen waren. Mein Knecht?, ja der könnte anderswo unterkommen, aber mir würde keiner mehr ein Gefängnis anvertrauen.

Ich zog mein Schwert, und mein Knecht schaute zur Seite, auch er wußte, was mir hier zu tun übrigblieb.

„Tu dir nichts übles, denn wir sind alle hier!“ hörte ich plötzlich, als ich mich gerade in das Schwert stürzen wollte. Ich hatte die Stimme von Paulus erkannt. Sofort ließ ich mir von meinem Knecht ein Licht geben und sprang über den Schutt weg in die Zelle. Als ich da Paulus und Silas völlig frei in der Zelle sah, fiel ich ihnen zu Füßen.

Mein Ruf als Kerkermeister, ja mein Leben war gerettet, aber die Furcht, die mich jetzt ergriffen hatte, war größer als die Todesfurcht. Mein Knecht wollte schon gehen und die beiden binden, aber ich hielt ihn davon ab. Es hätte gegen meine Furcht überhaupt nichts geholfen: was war meine Existenz als Kerkermeister gegen das, was jetzt auf dem Spiel stand.

Hilfe, das wußte ich jetzt, würde ich nur von diesen beiden bekommen. Nur sie würden mir die Furcht nehmen können. So lag ich, der Kerkermeister, vor ihnen auf den Knien und flehte diese Gefangenen an: „Liebe Herren, was soll ich tun, daß ich gerettet werde?“

Als sie dann antworteten “ Glaube an den Herrn Jesus!“, wußte ich auf einmal, daß ich gerettet war.

Mich hielt es nicht mehr in den Trümmern, und ich nahm die beiden zu mir, wusch ihnen ihre Wunden und ließ mich und Euch alle taufen. Danach waren sie unsere Gäste und ich deckte ihnen den Tisch.

Dr. Friedrich Seven 9. Mai 2006
Im Winkel 6
37412 Scharzfeld
05521/2429
friedrichseven@compuserve.de

 


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