Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: C. Dinkel und I. Karle

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Rogate, 21. Mai 2006
Predigt zu Johannes 17, 1-11, verfasst von Hanne Sander (Dänemark)
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


(Text der dänischen Perikopenordnung)

Meine älteste Schwester sollte, als sie etwa 17 Jahre alt war, ihrer Ausbildung wegen nach Kopenhagen reisen – ich erinnere mich noch des letzten Abends vor ihrer Abreise. Es war im Esszimmer, daheim im Pfarrhaus unserer Eltern. Die Stimmung war ernst und auch feierlich, denn wir sollten für Inger beten, ehe sie in die Welt hinaus zog. Vater betete darum, dass sie beschützt werden möge, beschützt in der neuen Welt, wo sie leben sollte. Es war recht weit von der kleinen Stadt im Norden Jütlands bis nach Kopenhagen. Vermutlich werden sich viele von euch auch an Situationen erinnern können, in denen ihr es wart, die Kinder von zuhause fort und in die Welt schicken sollten, und in denen man sein Kind so sehr in seinen Gedanken zu umfassen sucht, dass es geradezu zum Gebet wird. Ihr könnt auch die entgegengesetzte Situation erlebt haben, vielleicht an einem Sterbebett, dass der Sterbende beim Abschied für euch betete. In der Abschiedssituation versuchen wir jedenfalls oft, uns auf das Wichtige zu konzentrieren, und wir versuchen das in der Erinnerung zu bewahren, was wir gemeinsam gehabt haben in der Hoffnung, dass es uns weiter tragen kann.

In dem Evangelium von heute haben wir einen Teil dessen gehört, was Jesu Abschiedsrede heißt. Er muss von den Jüngern Abschied nehmen, und man kann hören, dass sich da eine Innerlichkeit ausbreitet, als er für sie betet. Das Gebet geht von dem Gedanken an das ewige Verhältnis aus, das zwischen dem Vater und dem Sohn besteht, und es entwickelt auf eine meditativ kreisende, eindringliche Weise die Bedeutung der Einheit, so dass es zu einem Gebet darum wird, dass die Jünger von derselben Einheit umfasst sein mögen, und nicht nur die Jünger, sondern auch alle nach ihnen, die zum Glauben kommen und Anteil am ewigen Leben erhalten. Und wir bekommen hier eine der Formulierungen des Johannes zu hören, was ewiges Leben ist: „das ist das ewige Leben, dass sie dich, der du allein wahrer Gott bist, und den du gesandt hast, Jesus Christus, erkennen.“ An einer anderen Stelle schreibt Johannes: „Wer mein Wort hört und glaubt dem, der mich gesandt hat, der hat das ewige Leben und kommt nicht in das Gericht, sondern er ist vom Tode zum Leben hindurchgedrungen.“ Es ist, als werde ein Raum geschaffen. Das Gebet und der Glaube schaffen einen Lebensraum mitten in der Welt, einen Raum, der sich beschreiben läßt mit Worten wie Einheit, Gemeinschaft, Liebe – zwischen dem Vater und dem Sohn, zwischen Gott und Mensch und zwischen Menschen gegenseitig.

Johannes betont, dass der Raum, der geschaffen wird, in unserer Welt geschaffen wird, so dass wir vom Leben in der Welt keinen Abstand zu nehmen brauchen, sondern es in Einheit mit Gott leben können. Und eben in der Einheit mit Gott können wir unser Leben unter anderen Voraussetzungen leben als denen des Todes, denn Gott erkennen und ihn in Jesus Christus erkennen bedeutet, Gott als lebendige Gegenwart zu erfahren und nicht als tot und abwesend. „Ja aber...“, sagen wir. Das sagten die Jünger vermutlich auch, aber dann erinnerten sie sich an Situationen, in denen sie die Herrlichkeit Gottes in Jesus gesehen hatten. Durch das gesamte Johannesevangelium hindurch können wir Erzählungen verfolgen, in denen Gott in Jesu Leben gegenwärtig ist. Es waren sehr verschiedene Erfahrungen, aber Gottes Herrlichkeit hatte durch sie hindurchgeschienen: in der Freude, die sie bei einer Hochzeit in Kana erlebt hatten, in der Trauer, die sie empfunden hatten, als der Sohn des königlichen Beamten krank war, in der aufgebenden Haltung, die einen Lahmen am Teich Betesda festgehalten hatte, in der Resignation, die in dem Gedanken liegt, dass Böses mit Bösem vergolten wird in der Erzählung von dem Knaben, der blind geboren war und dessen Eltern meinten, das sei eine Strafe, die sie verdient hätten, in der Verärgerung und Verzweiflung, der sie bei Marta begegnen, als der Bruder Lazarus gestorben und endlich in der Gemeinschaft ist, die sie bei der Speisung in der Wüste erlebt hatten. In all diesen verschiedenen Situationen hatten sie „die Herrlichkeit Gottes gesehen” und den Glauben wiedergewonnen, dass das Leben gut zu leben ist, und dass es zu gut ist, um blind und taub und freudlos herumzulaufen. Jesus hatte es mit seinem eigenen Leben gezeigt und auf diese Weise Gott verherrlicht in der Welt. Er war ausgesandt und er nimmt nun Abschied und sendet die Jünger / Gemeinde zugleich hinaus, damit sie die Aufgabe wahrnähmen, die er selbst gehabt hat. Und dort wo Gottes Wort in uns und durch uns hörbar wird, können wir nicht mehr mit Wahrheit meinen, dass wir ohne Gott in der Welt sind und ohne Hoffnung in der Welt oder dass es gleichgültig ist, was wir aus uns selbst und unserem Leben machen. Sondern immer wieder müssen wir das Abendmahlsgebet zu unserem Gebet machen:

„Auferstandener Herr und Heiland,
mache du uns sicher in der Hoffnung auf das ewige Leben.
Gib uns, dass wir in der Liebe wachsen,
damit wir mit allen deinen Gläubigen eins werden in dir,
gleichwie du eins bist mit dem Vater.“

Amen

Pastorin Hanne Sander
Prins Valdemarsvej 62
DK-2820 Gentofte
Tel.: +45 39 65 52 72
e-mail: sa@km.dk

Übersetzung aus dem Dänischen: Dietrich Harbsmeier

 


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