Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: C. Dinkel und I. Karle

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Christi Himmelfahrt, 25. Mai 2006
Predigt zu Offenbarung 1, 4-8, verfasst von Christian-Erdmann Schott
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Der Predigttext lautet: 4 Johannes an die sieben Gemeinden in der Provinz Asien: Gnade sei mit euch und Friede von dem, der da ist und der da war und der da kommt, und von den sieben Geistern, die vor seinem Thron sind.,
5 und von Jesus Christus, welcher ist der treue Zeuge, der Erstgeborene von den Toten und Herr über die Könige auf Erden! Ihm, der uns liebt und uns erlöst hat von unsern Sünden mit seinem Blut
6 und uns zu Königen und Priestern gemacht hat vor Gott, seinem Vater, ihm sei Ehre und Gewalt von Ewigkeit zu Ewigkeit! Amen.
7 Siehe, er kommt mit den Wolken, und es werden ihn sehen alle Augen und alle, die ihn durchbohrt haben, und es werden wehklagen um seinetwillen alle Geschlechter der Erde. Ja, Amen.
8 Ich bin das A und das O, spricht der Herr, der da ist und der da war und der da kommt, der Allmächtige.

Liebe Gemeinde, eben haben wir gesungen „Jesus Christus herrscht als König“ (EG Nr. 123) und im Bibeltext heißt es „Jesus Christus …. ist … Herr über die Könige auf Erden!“ (V.5) In einer ersten Reaktion möchte man hinzufügen: Schön wäre es! Denn das ist ja gerade einer der Haupteinwände gegen unsern Glauben, dass Jesus Christus nicht herrscht. Würde er herrschen, dann könnten all die vielen Scheußlichkeiten, die uns tagtäglich übermittelt werden, nicht geschehen. Vieles, von dem, was wir sehen und miterleben, spricht massiv gegen diesen Satz: „Jesus Christus herrscht als König!“ Wie könnte diese kühne Aussage im Lied und im Bibeltext dann aber gemeint sein?

Die Antwort besteht aus zwei Teilen. Der erste Teil besagt: Christus herrscht im Verborgenen, so, dass wir es normalerweise nicht wahrnehmen. Verdacht und Zweifel, dass er tatsächlich nicht herrscht, haben deshalb auch viel für sich. Gerade gegen diesen Zweifel stellt der Seher Johannes seine Vision, die ihm in hohem Alter auf der griechischen Insel Patmos zuteil geworden ist. Er darf einen Blick in den Himmelssaal werfen. Dort sieht er, was unseren Augen verborgen ist. Er sieht Gott und Christus auf dem Herrscherthron. Er sieht den Thronsaal. Er sieht die Herrlichkeit, die davon ausgeht und alle Zweifel verstummen lässt. Er fühlt sich aufgerufen, dieses große Bild weiterzugeben an die Gemeinden, damit sie ein für alle Mal wissen: Gott und Christus sitzen auf dem Thron. Sie üben das Weltregiment aus – auch wenn ihr es im Augenblick weder fühlt noch seht noch merkt.

Aber: Und das ist der zweite Teil dieser Botschaft: Ihr werdet es sehen, nämlich dann, wenn Jesus Christus (wieder) kommen wird. Jetzt ist diese Herrschaft des Vaters mit dem Sohn nur dem besonders begnadeten Seher zugänglich und einsehbar. Wenn aber Jesus Christus (wieder) kommen wird „mit den Wolken“, dann „werden ihn sehen alle Augen“. Dann wird weltöffentlich offenbar, was jetzt verborgen und unsichtbar ist.

Die Ankündigung, dass er „mit den Wolken“ kommen wird, stellt die Verbindung zur Botschaft des Himmelfahrtstages her. Denn dort wurde ja erzählt, dass er von einer Wolke aufgenommen wurde. Er ging mit einer Wolke – er kommt mit einer Wolke. Er ist derselbe. Oder: Der zu Gott Gegangene ist der Wiederkommende. Himmelfahrt und der Zweite Advent gehören zusammen.

Das bedeutet, die Aussage „Jesus Christus herrscht als König“ ist auch zukünftig zu verstehen. So hat es auch Friedrich Philipp Hiller, der Dichter des Liedes gesehen: „Jesus Christus herrscht als König, alles wird ihm untertänig“. Trotzdem - diese Herrschaft ist nicht nur zukünftig. Denn die Tatsache, dass Jesus Christus die Zukunft gehört, hat auch Auswirkungen auf die Gegenwart, - allerdings nur für die, die diesen Glauben festhalten und diese Zukunft nie aus dem Blick lassen. Dann nämlich ergibt sich für die Beurteilung der Gegenwart und für das Leben in der Gegenwart.

I. Wir brauchen uns von der Arroganz der Macht nicht imponieren zu lassen. Mögen Könige und Herrscher aller Art, mag der Tod in seinen verschiedenen Verkleidungen uns auch Angst machen, wir wissen aus unserem Glauben, dass alle Mächte und Menschen, die doch so sicher auftreten, im Grunde keine heilsgeschichtliche, das heißt ewige Bedeutung und Perspektive, haben. Sie sind alle dabei, sich hoffnungslos zu überschätzen und sie werden überschätzt von Menschen, die die wahre Zukunft nicht kennen.

Dabei ist hier daran zu erinnern, dass das Buch der Offenbarung in der Zeit des Christenfeindlichen Kaisers Titus Flavius Domitian (81-96 n. Chr.) geschrieben wurde. Die Christen hatten Angst vor den Verfolgungen. Aber der Seher Johannes zeigt ihnen, dass der servile Kult am Kaiserhof und die drohend aufgebaute staatlich-religiöse Macht keine Zukunft haben. Darum sollten sich die Christen nicht blenden lassen, sondern nüchtern und entschlossen auf die Zukunft des kommenden Herrn setzen.

II. Wir müssen uns unseres Herrn nicht schämen. Es ist wohl wahr, dass die Feinde ihm böse mitgespielt und mit ihm gemacht haben, was sie wollten. Insofern ist sein Kreuz das Zeichen seiner Schmach und der Schwäche Gottes in dieser Welt. Er hat die Tötung seines Sohnes nicht verhindert, hat ihn sterben und die Gegner triumphieren lassen. Von Herrschaft ist da nichts zu spüren. Aber dabei wird es nicht bleiben. Gott hat diesen ans Kreuz gegebenen, gehorsamen Sohn neben sich auf den Thron geholt. Er hat ihn in seine alten Rechte eingesetzt und zu sich erhöht. Er wird ihn noch einmal senden in die Welt und dann wird sich ihm niemand entziehen können. Aller Augen „und alle, die ihn durchbohrt haben.“, werden ihn in seiner Herrlichkeit sehen müssen. „Und es werden wehklagen um seinetwillen alle Geschlechter der Erde“ (V.7). Darum sollten wir uns unseres Herrn nicht schämen. Im Gegenteil, wir sollten wissen, dass seine Herrlichkeit groß sein wird.

III. Wir brauchen uns um das Ende der Welt nicht zu sorgen. Denn die Welt wird auf diesen Tag seines Wiederkommens aufgehoben. Gott hebt sie auf, nicht wir Menschen. Die Menschen trampeln auf ihr herum. Wir verhalten uns, als wären wir die Herren des Universums. Dabei haben wir diese unsere schöne und reiche Welt nicht erschaffen und letztlich erhalten wir sie auch nicht. Unser Handeln ist nur zugelassen. Es hat genau wie die weltliche Macht keine heilsgeschichtliche, ewige Perspektive. Diese hat allein Gott, auch wenn er die Bosheit sich noch austoben lässt.

Das heißt: Jesus Christus wird in seiner Zukunft als König in Erscheinung treten und seine Herrschaft sichtbar entfalten. Diese Zukunft wirft jetzt schon ihr Licht voraus. Sie bestimmt die Glaubenden, die auf ihn wartende Gemeinde schon jetzt. Für sie ist die Macht des Faktischen entmächtigt. Sie weiß um ihre Begrenztheit durch die Zukunft Jesu Christi. Insofern herrscht Jesus Christus im Glauben oder durch den Glauben seiner Gemeinde auch schon jetzt.

IV. Die Gemeinde wird durch diese große Aussicht ermutigt und im Leiden gestärkt. Sie darf wissen, dass sie allein eine heilsgeschichtliche Bedeutung hat. Wir können davon ausgehen, dass es in der Gegenwart eigentlich zwei Arten von Völkern gibt: Die weltlich-historischen, die keine heilsgeschichtliche Zukunft haben. Sie werden alle untergehen, so wie schon im Verlauf der uns bekannten Geschichte viele Völker und Reiche, Staaten und Nationen untergegangen sind. Sie haben alle nur eine sehr begrenzte zeitlich-diesseitige Zukunft. Die christliche Gemeinde ist demgegenüber ein ganz anderes Volk. Sie ist das neue Volk, die Familie Gottes in dieser Welt, die sich aus Menschen aller Völker, Rassen und Klassen weltweit-ökumenisch gebildet hat und zusammengehalten wird über alle Kirchen- und Konfessionsgrenzen hinweg einzig von dem Glauben an Gott und Jesus Christus. Dieses Volk werden die Pforten der Hölle nicht überwinden. Es wird bestehen bis zur Rückkehr Christi. Dieses Volk allein hat Zukunft. Das Leiden und die Verfolgungen aber, das Nicht-Verstandensein in dieser Welt soll und kann sie im Glauben tragen. Sie weiß, die wahren Könige und Priester sind wir, auch wenn die Welt das weder erkennt, noch anerkennt.

V. Die Gemeinde wird die Dinge des Lebens anders ansehen können. Sie wird den zeitlichen Notwendigkeiten keinen Ewigkeitswert beilegen. So wird sie die Macht dieser Welt nicht anbeten, aber auch nicht übermäßig fürchten. Sie wird sich in allen Stürmen der Begeisterung und bei allen großen Worten immer den nüchternen Blick bewahren und nie einfach Mitläufer bei den Zeitereignissen und Moden sein. Sie hat als einzige Gemeinschaft in dieser Welt und Zeit die Kraft zum Durchblick, Orientierung und ein überzeitliches Generationen übergreifendes Ziel.

Wir wissen allerdings aus der Kirchengeschichte auch, dass diese christlichen Grundüberzeugungen in Arroganz, Rechthaberei, Unbarmherzigkeit mit allen sehr negativen Folgen umschlagen können. Neben der Heilsgeschichte gibt es leider auch eine kirchlich-christliche Unheilsgeschichte, an die sich vor allem die Opfer lange erinnern. Sie zeigt, dass Glaube und christliches Leben kein Besitz sind und dass die Christen in keiner Weise von Versuchungen und Sünde verschont bleiben.

In unserem Bibeltext findet sich zu dieser Problematik ein wichtiger Hinweis. Er heißt, Christus hat „uns erlöst von unseren Sünden mit seinem Blut“ (V. 5). Wir sind selbst nur Begnadigte; Menschen, die aus der Vergebung leben. Gegen die Arroganz der Kirche ist einmal die Reformation aufgetreten. Wir Protestanten sollten an diesem Punkt besonders hellhörig sein, selbstkritisch und nicht vergessen, dass wir uns schuldig machen, wenn Menschen von der Botschaft nichts wissen wollen, weil wir sie ihnen mit unserer Art verstellt haben.

VI. Darum ist es sicher kein Zufall, dass die Christen hier als „Priester“ angesprochen werden. Die Aufgabe des Priesters ist die Vermittlung zwischen den Menschen und Gott. Dazu gehört auch die Fürbitte. Dieses große Glaubenswissen von der gegenwärtigen und zukünftigen Herrschaft dessen, der da war, ist und sein wird, ist uns nicht zur ausschließlich privaten Erbauung gegeben. Dazu auch. Aber zugleich dazu, dass wir es weitergeben an andere. So ist das ja am ersten Himmelfahrtstag auch gewesen. Die Jünger haben Abschied genommen. Aber dann haben sie die Botschaft von dem gekreuzigten Auferstandenen in die Welt getragen. Sie wussten, das ist der Wille Gottes. Das ist der Sinn des Heilswerkes Jesu Christi, dass die Botschaft von dem, der die Zeit in den Händen hat, allen Menschen gesagt wird. Das ist das Priestertum aller Gläubigen, zu dem wir berufen sind.

Die Weltsituation verlangt diesen engagierten Einsatz der Christen. Allenthalben ist heute von Orientierungslosigkeit die Rede. Dabei geht es um ein ganz wichtiges und zugleich ganz tief liegendes Problem. Denn hinter der Orientierungslosigkeit steckt durchaus nicht nur der Mangel an sogenannten Werten. Dahinter steckt der Mangel an echter Gottesbeziehung. Darum weiß die Welt nicht, wo sie herkommt, wem sie sich verdankt und worauf es mit uns hinaus will. Hier ist der priesterliche Dienst der Kirche gefragt. Hier sind wir alle gefragt.

Amen.

Dr. Christian-Erdmann Schott
Pfarrer em.
Elsa-Braendstroem-Str. 21
55124 Mainz-Gonsenheim
E-Mail: ce.schott@surfeu.de

 


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