Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: C. Dinkel und I. Karle

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Christi Himmelfahrt, 25. Mai 2006
Predigt zu Offenbarung 1, 4-8, verfasst von Reinhold Mokrosch
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


Liebe Gemeinde am Tag der Himmelfahrt Christi!

Ich stocke bei dieser Anrede. Wie soll ich Sie heute eigentlich begrüßen? Soll ich sagen: „Liebe Gemeinde am Himmelfahrtstag“? oder: „Liebe Gemeinde am Vatertag“? Natürlich: Wir sind hier im Gottesdienst versammelt und wollen der Himmelfahrt Christi gedenken. Aber was trifft für unsere Bevölkerung heute mehr zu: Feiert die Mehrheit Himmelfahrt oder Vatertag? Tatsache ist auf jeden Fall: Am Himmelfahrtstag schaut man nicht mehr fasziniert hoch in den Himmel, sondern eher trübsinnig tief ins Glas.

Der Vatertag hat den Himmelfahrtstag verdrängt und überbordet. Gegen einen speziellen Vatertag ist selbstverständlich überhaupt nichts einzuwenden. Genauso wie gegen einen speziellen Muttertag nichts einzuwenden ist, - trotz seiner problematischen Herkunft und üblen Instrumentalisierung. Aber warum muss denn der Vatertag den Himmelfahrtstag verdrängen? Die Antwort ist einfach: Weil die meisten mit dem Symbol der Himmelfahrt Christi nichts mehr anfangen können. Was das Symbol eines „Himmelfahrtskommandos“ bedeutet, versteht jeder sofort. Und was der Ausdruck „Himmelfahrtsnase“ besagt, weiß auch jedes Kind. Aber „Himmelfahrt Christi“? Nein, da ist man ratlos. Weder mit dem Tag noch mit dem Symbol kann man etwas anfangen.

„Das ist doch alles Quatsch!“ räsonieren viele und fügen schlaumeierisch hinzu: „Das geht doch gar nicht, dass da jemand auf eine Wolke steigt und in den Himmel entschwindet! Ist doch alles Blödsinn! Kinderkram! Märchen für Minderbemittelte, Primitive und Zürückgebliebene.“ Wer so redet, dokumentiert damit handfest seine Unfähigkeit, die religiöse Sprache religiöser Symbole verstehen zu können. Er outet sich als religiöser Analphabet, der religiöses Denken und religiöse Sprache gänzlich verlernt oder niemals gelernt haben.

Neben solchen religiösen Analphabeten gibt es auch diejenigen, die sich das Symbol „Himmelfahrt“ zeitgeschichtlich erklären und folgern, dass es heutzutage überholt sei. Sie argumentieren folgendermaßen: Z. Zt. des Neuen Testamentes, also in der Antike, lebte man, so erläutern sie, mit einem dreigeschossigen Weltbild: Unter dem Meer und dem Land glaubte man an die Existenz einer von Urfluten durchsetzten Unterwelt. Auf deren Säulen, so glaubte man damals, ruhe die sichtbare Erdscheibe. Und über dieser Erdscheibe sei eine käseglocken-ähnliche durchsichtige Schutzmauer gespannt, der sog. genannte Himmel, welcher die blauen Urfluten, die wir als blauen Himmel sehen würden, abdämme. Unterwelt – Erde – Himmel: Dieses dreigeschossige Weltbild, so erläutern sie, sei die Verstehensfolie für den Glauben des antiken Menschen an die Himmelfahrt eines gottähnlichen Menschen. Und dann folgern sie, wie gesagt, in aufgeklärter Manier: Da dieses dreigeschossige Weltbild längst überwunden sei, hätte das Symbol der Himmelfahrt für uns keine Bedeutung mehr. Wir sollten es abschaffen und durch ein anderes ersetzen. Dass wir auch den Himmelfahrtstag als Feiertag abschaffen sollten, folgern sie meistens nicht.

Neben diesen „Aufklärern“ gibt es auch diejenigen, die das Dogma der Himmelfahrt (325 wurde die Himmelfahrt Christi in Nicäa dogmatisiert) und den Gedanken einer Himmelfahrt Christi prinzipiell ablehnen. Wahrscheinlich hätten sie es auch schon in der Antike abgelehnt und die Überlieferung von der Himmelfahrt Christi am Ende des Markus- und des Lukas-Evangeliums und am Anfang der Apostelgeschichte brüsk abgewiesen. Warum? Sie halten den Gedanken, dass Jesus Christus sich von uns entferne, „zur Rechten Gottes sitze“ und über uns herrsche, für unerträglich. Sie argumentieren, dass die Menschwerdung Gottes obsolet geworden wäre, wäre Christus wieder entschwunden. Christi Geist könne sich in uns doch gar nicht entfalten, wenn er wieder „in den Himmel“ entrückt sei. Sie lehnen den Himmelfahrtsgedanken prinzipiell ab.

Wie gehen wir mit dem Himmelfahrtsgedanken um? Können wir ihm irgendetwas abgewinnen? Oder lehnen wir ihn prinzipiell ab – wie die zitierten Religiösen Analphabeten, die Aufklärer und die prinzipiellen Skeptiker es tun? Ich bitte Sie, dass wir uns diesen drei Argumentationsgruppen nicht gleich anschließen, sondern dass wir kritisch fragen, ob wir dem Glauben an die Himmelfahrt Christi nicht doch etwas abgewinnen können. Dazu möchte ich alles zusammentragen, was Menschen bewogen haben könnte, an Christi Himmelfahrt zu glauben und daraus Gewinn zu ziehen. Ich trage vier Gedanken aus dem Glauben der Christen der 1. Generation zusammen:

Der erste Gedanke: Das Himmelfahrtsfest wird ja seit dem 4.Jh 40 Tage nach Jesu Auferstehung, also Ostern, und 9 Tage vor der Ausgießung des Heiligen Geistes, also Pfingsten, gefeiert. 40 Tage war in der Antike die symbolische Zeitspanne für eine Bewährung. Jesus musste sich 40 Tage in der Wüste bewähren, bevor er öffentlich auftrat. Jetzt muss er sich als Auferstandener 40 Tage bewähren, bevor er in die himmlischen Sphären aufgenommen wird. Die Christen glaubten damals: Der auferstandene Christus habe sich „für uns“ bewährt. Er habe nämlich unsere Wirklichkeit mit seinem Geist der Versöhnung so durchdrungen, dass unsere Welt und Wirklichkeit jetzt mit dem Himmel verbunden sei. Die Christen damals glaubten an Christi Himmelfahrt, weil sie aufgrund dieses Glaubens sicher waren, dass die Welt und ihre Wirklichkeit friedensfähig und versöhnungsfähig sei. Sie glaubten damit nicht, dass sie schon friedlich und versöhnt sei, aber dass Frieden und Versöhnung in ihr möglich seien. Sie glaubten, dass ihre Welt und Wirklichkeit von Christi Geist durchdrungen sei. So wie gedüngter Ackerboden ertragsfähig ist, so ist die von Christi Geist durchdrungene, ja gedüngte Wirklichkeit friedensfähig. Das glaubten die antiken Christen mittels ihres Glaubens an die Himmelfahrt.

Der zweite Gedanke kommt in unserem Glaubensbekenntnis, dem sog. Apostolikum zum Ausdruck. Wir haben ja gerade eben im Glaubensbekenntnis gesprochen: „….aufgefahren in den Himmel. Er sitzt zur Rechten Gottes.“ Dieses Glaubensbekenntnis entstand schon im 3. Jh und wird seit dem 4. Jh regelmäßig in jedem christlichen Gottesdienst gesprochen. Welchen Glauben verbanden die Christen damals mit diesem Bekenntnis? Dogmatisch gesprochen bekannten sie damit, dass Christus seit seiner Himmelfahrt vollkommen zur Trinität gehöre. Vater, Sohn und göttlicher Geist wären, so waren sie überzeugt, seit Christi Himmelfahrt drei Weisen, wie Gott in der Welt wirke. Es sind, so glaubten sie, nicht drei Personen, welche zusammenwirken, sondern drei Aspekte des Wirkens Gottes in unserer Welt. Das war der dogmatische Hintergrund, warum man die Himmelfahrt Christi in das Glaubensbekenntnis aufnahm. Der existentielle Grund war folgender: Wenn Christus, den wir auf Erden erlebt haben, jetzt eine Wirkweise Gottes ist, dann ist Gott uns nahe. Und dann ist auch Christus uns nahe und nicht fern. Die Himmelfahrt, so glaubten die Christen früher, hat Christus uns nahe gebracht und nicht in die Ferne geführt. Der Abstand zwischen Himmel und Erde, so glaubten sie, ist geringer geworden, ja er ist aufgehoben.

Ein dritter Gedanke ergibt sich aus einem Vergleich der Himmelfahrt Christi mit den anderen Himmelfahrten, die früher bekannt gewesen sind: Im Alten Testament wird ja die Himmelfahrt des großen Propheten Elija beschrieben, der „auf einem feurigen Wagen mit feurigen Rossen“ vor Elisas Augen „im Wetter gen Himmel fuhr“ (2Kö 2,11). Und ebenso glaubte man an die Himmelfahrt des Henoch. Jeder kannte damals diese beiden Himmelfahrtsüberlieferungen. Im 1. Jh. bildete sich dann noch die Vorstellung heraus, dass auch Mose und der Prophet Jesaja nicht gestorben, sondern in den Himmel aufgefahren seien. (Der Glaube an die Himmelfahrt des Mohammed vom Tempelberg in Jerusalem aus, datiert erst aus dem 7. Jh.) Bei allen diesen Himmelfahrten glaubte man, dass Elija, Henoch, Mose und Jesaja nicht gestorben, sondern in den Himmel entrückt worden seien. Gänzlich anders verhielt es sich bei Jesus Christus: Er war gestorben und begraben worden. Danach bekannte man seine Auferstehung und erst danach seine Himmelfahrt. Jesus, so glaubte man, ist, obwohl er in den Himmel entrückt worden sei, vorher real gestorben. Das gibt es bei keiner einzigen anderen Himmelfahrt in der gesamten Religionsgeschichte. Das ist einmalig. - Was bedeutet das? Die Christen bekannten, dass Jesus realer und totaler Mensch gewesen ist, der gelitten hat und gestorben ist. Er war kein Halbgott. Er war ein realer Mensch. Und trotzdem ist er ein Teil Gottes geworden. Das bedeutete für die Christen damals, dass Gott selbst menschlich ist, ja dass sein Wesen menschlich ist. Die Himmelfahrt bezeugte für die Christen damals, dass Gott nahe und nicht fern und dass er menschlich und nicht menschenfern ist. Das war in der Antike ein revolutionärer Glaube. Jesus hat diesen Glauben ja sogar mit seinem Leben bezahlen müssen. Von der Menschlichkeit Gottes redete damals niemand – nur die revolutionären Christen, - aufgrund ihres Symbols von der Himmelfahrt Jesu Christi.

Ein vierter und letzter Gedanke, der die ersten Christen zum Glauben an Christi Himmelfahrt bewog, kommt in unserem heutigen Predigt-Text zum Ausdruck: (Offenbarung des Johannes 1, 4-8 lesen.) Ich möchte mich gleich auf den Vers 7 konzentrieren: „Siehe, Christus kommt mit den Wolken; und es werden ihn sehen alle Augen und alle, die ihn durchbohrt haben…“ Merken Sie, liebe Gottesdienstbesucher – hier ist von der Wiederkunft Christi die Rede, welche die ersten Christen damals erwarteten. Und sie wurde genauso vorgestellt wie die Himmelfahrt Christi: „Er kommt mit den Wolken“. Jede Ausmalung unterbleibt. Es wird nur das Symbol der Wolken und damit das Symbol des Himmels verwandt. Offensichtlich verbanden damals viele Christen die Himmelfahrt mit der Wiederkunft Christi. Ja, es könnte sein, dass sie beides identifizierten. Die Bedeutung des Symbols Himmelfahrt ist identisch mit der Bedeutung des Symbols der Wiederkunft Christi. Denn beide Symbole sagen ja dasselbe aus: Christus hat Himmel und Erde versöhnt und verbunden. Er hat uns den nahen und menschlichen Gott gezeigt. Wir können darauf vertrauen, dass unser Eintreten für eine menschliche Welt Erfolg haben kann und von Gott gesegnet ist.

Wie gehen wir mit diesem Glauben der ersten Christen an die Himmelfahrt Christi um? Ich habe vier Gedanken dieses Glaubens genannt: Das Symbol Himmelfahrt bedeutet:

  1. dass unsere Welt und Wirklichkeit durch Christus friedensfähig und versöhnungsfähig geworden ist;
  2. dass Gott uns nahe und nicht fern ist (seitdem Christus „zu seiner Rechten sitzt“);
  3. dass Gott uns in der Menschlichkeit Christi begegnet und
  4. dass Christi Himmelfahrt die gleiche symbolische Bedeutung hat wie der Glaube an seine Wiederkunft: nämlich uns die ständige Nähe des Geistes Christi zu versichern.

Können wir diese Gedanken übernehmen? Ja, natürlich. Unser Glaube lebt doch davon, dass wir Gottes Menschlichkeit und Christi Nähe spüren. Und wir glauben und vertrauen darauf, dass unser Alltag friedens- und versöhnungsfähig ist. Dietrich Bonhoeffer, dessen 100. Geburtstag wir vor wenigen Wochen gefeiert haben, lebte von diesem Glauben: Obwohl er nur Krieg, Vernichtung, Mord und Gräuel sah, war er überzeugt, dass diese Welt trotzdem friedensfähig sei und das sein Widerstand nicht umsonst sei. Das gab ihm täglich neue Kraft.

Ja, diesen tiefen Glauben der ersten Christen sollten wir bereitwillig übernehmen, liebe Gemeinde-Christen. Aber benötigen wir dazu das Symbol der Himmelfahrt? Ist dieses Symbol nicht so missverständlich, dass wir es lieber fallen lassen sollten? Und ist der Himmelfahrtstag nicht so problematisch, dass wir ihn lieber aufgeben sollten? Diese Frage ist ernsthaft zu stellen. Ich beantworte sie keineswegs gleich mit Nein. Himmelfahrt ist wirklich ein enorm schweres Symbol. Ich möchte vorerst noch nicht auf dieses Symbol verzichten. Vielmehr möchte ich uns alle bitten, dass wir in unserer Umgebung dieses Symbol erklären und erläutern. Gerade am Symbol der Himmelfahrt Christi kann man religiöse Sprache neu erlernen. Sollte das in den nächsten Jahren aber nicht gelingen und sollte der Himmelfahrtstag immer mehr pervertiert werden, dann müssten wir über dieses Symbol neu nachdenken.

Für uns sagt es: Gottes Reich ist mitten unter uns. Der Himmel neigt sich täglich zu uns. Wir sollten im Vertrauen auf Gottes Wirken zu Friedensstiftern werden, - auch mitten im Unfrieden.

Denn der Friede Gottes ist höher als unsere Vernunft. Er bewahre unsere Herzen in Christus Jesus.

Amen

Prof. Dr. Reinhold Mokrosch, Univ. Osnabrück
Tel: 0541/ 682134
Reinhold.Mokrosch@uni-osnabrueck.de


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