Göttinger Predigten im Internet
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Exaudi, 28. Mai 2006
Predigt zu Jeremia 31, 31-34
, verfasst von Rainer Kopisch
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


Liebe Gemeinde,

Trauern und Trösten gehören zusammen wie ein sich ergänzendes Paar.
„Ist es denn so schlimm, mein Mädchen?“, fragt ein Vater seine von Liebeskummer geplagte Tochter. Er schafft Raum für die Trauer der Tochter. Beide lassen sich auf einen heilsamen Prozeß ein, der neue Hoffnung schafft.
Sie selbst haben sicher auch solche Prozesse erlebt. Sie haben die Kraft der liebenden Zuwendung erfahren.
Dazu ist es sicher nötig, den Schmerz des Verlustes und die Hilflosigkeit den unabänderlichen Fakten gegenüber zuzulassen und der Wahrheit Raum zu geben.

Im Evangelium des Sonntags Exaudi (=Höre) spricht Jesus zu seinen Jüngern vom Tröster, dem Heiligen Geist, als dem Geist der Wahrheit.
Der Heilige Geist ist auch der wichtige Mittelpunkt im Gebetswunsch des Apostels für die Hörer der Epistellesung: „daß er(Gott) euch Kraft gebe nach dem Reichtum seiner Herrlichkeit, stark zu werden durch seinen Geist am inneren Menschen, daß Christus durch den Glauben in euren Herzen wohne und ihr in der Liebe eingewurzelt und gegründet seid. So könnt ihr mit allen Heiligen begreifen, welches die Breite und die Länge und die Tiefe ist, auch die Liebe Christi erkennen, die alle Erkenntnis übertrifft, damit ihr erfüllt werdet mit der ganzen Gottesfülle.“

„Heilger Geist, du Tröster mein“ haben wir vorhin gesungen. Ist Ihnen der wiegende Rhythmus des Liedes aufgefallen? Das Gewiegtwerden ist für kleine Kinder eine der wichtigen wohltuenden körperlichsinnlichen Erfahrungen. Unser Körper behält diese Erinnerung.
Der Text des Liedes ist ein Gebet. Der Dichter Martin Moller, Kirchenmusiker, Theologe und Verfasser vieler Andachtsbücher, schrieb auch eines mit dem Titel „Meditationen der heiligen Väter“.
In der sechsten Strophe gibt es einen Hinweis auf die bekannte Stelle Jesaja 11,2, wo von den sieben Geistesgaben des Messias die Rede ist. „Auf ihm wird ruhen der Geist des Herrn, der Geist der Weisheit und des Verstandes, der Geist des Rates und der Stärke, der Geist der Erkenntnis und der Furcht des Herrn.“

Die eigenartige Spannung, die auf diesem Gebet liegt, ist die Frage nach der Gegenwart Gottes: Ist unsere Zukunft nicht in Gottes Gegenwart - und damit gegenwärtig?
Martin Luther legt uns in seiner Auslegung des Vaterunsers den Gedanken nahe, daß Gott auch ohne unser Gebet gegenwärtig ist und dass das Gebet die Funktion hat, uns für die Gegenwart Gottes und seiner Gaben zu öffnen.

Wir Menschen sind in unserem Kulturkreis dazu erzogen worden, unsere Wirklichkeit in Raum und Zeit zu verstehen. In unseren Möglichkeiten zu glauben und zu denken sind wir damit beschränkt worden. Der Glaube an Gott muß aber unsere Glaubensvorstellung von Raum und Zeit übersteigen.

Gott offenbart sich in unsere beschränkte Wirklichkeit hinein. In der Bibel sind viele solcher Offenbahrungen aufbewahrt. Dadurch können wir von seiner liebenden Zuwendung zu uns Menschen Kenntnis nehmen, auch wenn die Adressaten im Text zunächst andere waren.
Eine solche Offenbarung Gottes möchten ich ihnen jetzt weitergeben.
Sie steht bei Jeremia im 31. Kapitel, von Vers 31 bis 34 und lautet:

Siehe, es kommt die Zeit, spricht der HERR,
da will ich mit dem Hause Israel und mit dem Hause Juda einen neuen Bund schließen,
nicht wie der Bund gewesen ist, den ich mit ihren Vätern schloß,
als ich sie bei der Hand nahm, um sie aus Ägyptenland zu führen,
ein Bund, den sie nicht gehalten haben, ob ich gleich ihr Herr war,
spricht der HERR;
sondern das soll der Bund sein,
den ich mit dem Hause Israel schließen will nach dieser Zeit,
spricht der HERR:
Ich will mein Gesetz in ihr Herz geben und in ihren Sinn schreiben,
und sie sollen mein Volk sein, und ich will ihr Gott sein.
Und es wird keiner den andern noch ein Bruder den andern lehren und sagen:
»Erkenne den HERRN«, sondern sie sollen mich alle erkennen, beide, klein und groß, spricht der HERR;
denn ich will ihnen ihre Missetat vergeben
und ihrer Sünde nimmermehr gedenken.

Viele Theologen, halten diesen Bibeltext für die zentrale Stelle des Alten Testamentes.
Gott spricht von seinem neuen Bund in einer tiefgründenden Weise, die in uns eine Ahnung aufkommen läßt: Ja, das ist es.
Uns Christen kommen vertraute Worte in den Sinn:
„für euch gegeben und vergossen zur Vergebung der Sünden“,
„dieser Kelch ist das neue Testament in meinem Blut“.
Vor der Gleichsetzung: Altes Testament = Alter Bund, Neues Testament = Neuer Bund, sollten wir uns hüten. In Demut sollten wir uns vielmehr mit unseren jüdischen Schwestern und Brüdern vor unserem gemeinsamen Gott verneigen. Wir sollten Gott danken für die Ansage des Neuen Bundes, von dem das Volk Israel lange vor uns gehört hat. Wir Christen sollten uns bescheiden eingestehen, dass auch wir Wartende sind wie sie .
Wir Menschen in Zeit und Raum sollten genau hören, was in der Ankündigung des Neuen Bundes gesagt ist: nach dieser Zeit.
Jesus hat in dieser Welt gelebt. Er hat das Warten auf die endgültige Erlösung nicht abgeschafft. Er hat vielmehr unsere Liebe zu Gott gestärkt.
In Liebe warten, heißt, die zukünftige Begegnung schon in die Gegenwart holen, den Geliebten oder die Geliebte schon gegenwärtig spüren, besonders im Herzen.

Unsere Sakramente sind mit der Vergebung der Sünde verbunden. Sie sind daher Vergegenwärtigung des Neuen Bundes. Sie sind erlebbare Zeichen der kommenden Herrlichkeit Gottes. In der Vergegenwärtigung des Kommenden sind sie auf Wiederholung hin angelegt.
Im Kleinen Katechismus weist Martin Luther auf die Notwendigkeit der täglichen Vergegenwärtigung der Taufe hin.
Das Abendmahl wird durch die Vergegenwärtigung des Opfertodes Jesu mit der Vergebung unserer Sünden auch gleichzeitig zur Vergegenwärtigung des Neuen Bundes.

Wollen wir Gott erkennen, so sind wiederholte Bemühungen hilfreich, uns für seine Gegenwart zu öffnen. Menschen, die täglich die Bibel lesen, meditieren und sich in die Liebe Gottes vertiefen, erleben oft Gefühle von Angerührtsein, Geborgenheit und Freude. Es erschließen sich für sie neue Lebensquellen, die hineinwirken bis in ihren Alltag.

Was kann uns davon abhalten, es ihnen gleich zu tun?
Die Hindernisse liegen tief in uns verborgen.
Es sind innere Glaubenssätze wie:
Du hast es nicht verdient.
Du bist nicht würdig.
Du mußt dich erst noch ändern.
Du mußt Buße tun.
Du mußt Opfer bringen.
Es sind Glaubenssätze des alten Bundes.
Sie gehören zum innerlichen Erbe, das wir von unseren Vorfahren übernommen haben.
Sie hindern uns zu leben. Der lebendige Gott stellt uns davon frei, wie wir hörten.

Was können wir tun?

Auf Gottes Zusage vertrauen und uns auf den Weg in den Neuen Bund machen.
Dazu aber müssen wir bereit sein, Abschied zu nehmen
von alten Gewohnheiten, die uns hindern und bockieren,
von unerfüllbaren Wünschen, an denen wir schon lange trotzig festhalten,
von vermeintlichen Verpflichtungen, von denen wir eigentlich frei sind,
von übernommener Verantwortung für die Schuld anderer.
Das setzt allerdings manchmal schmerzhafte Trauerprozesse in Gang,
die wir in der Regel gern aufschieben.
Wer wird uns beistehen?
Wer kann uns Mut machen?
Wer wird uns trösten?

Der Heilige Geist.
Er wird uns Menschen schicken, die uns begleiten. Er wird die Liebe in uns stärken und Leidenschaft zu unserem Tun und Wollen entzünden. Er selbst wird ein guter Ratgeber in unserem Herzen sein, wie Gott es uns für den Neuen Bund zugesagt hat.

Amen

Rainer Kopisch, Martin-Luther-Haus Braunschweig
Pfarrer em. ab 1. Juni 2006
Rainer.Kopisch@gmx.de




 


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