Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: C. Dinkel und I. Karle

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Exaudi, 28. Mai 2006
Predigt zu Johannes 17,20-26, verfasst von Niels Henrik Arendt (Dänemark)
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


(Text der dänischen Perikopenordnung)

Einsamkeit ist die größte Plage der hochentwickelten Gesellschaft: Menschen, die aus irgendeinem Grund das Gefühl haben, ausgeschlossen zu sein, und die deshalb oft die ärmlichste Kompensation dafür suchen, etwa vor dem Bildschirm. Entsprechend ist Gemeinschaft das, wonach alle trachten. Gemeinschaften sind gut für diejenigen, die ihnen angehören. Aber sie sind schrecklich für diejenigen, die nicht in sie hineinfinden können, – Zeugnisse ihrer Einsamkeit und Andersartigkeit. Im Glaubensbekenntnis bekennen wir den Glauben an „die Gemeinschaft der Heiligen“. Es ist die Gemeinschaft, die durch die frohe Botschaft gebildet wird, die für alle, „für alles Volk“ ist. Aber oft kritisiert man an der Kirche – und zwar auch Leute, die eine positive Einstellung zu ihr haben –, dass man in ihr zu wenig von der Gemeinschaft spürt. Wenn die Leute tatsächlich eine starke Gemeinschaft unter den Kirchgängern erlebten, dann würden sie doch in die Kirche kommen, heißt es. Es ist sicherlich wahr, dass man Wege finden könnte, die Gemeinschaft in der Kirche deutlicher hervortreten zu lassen. Aber das ganz Entscheidende an der Gemeinschaft, die hier in der Kirche entsteht, im Gegensatz zu allen anderen Gemeinschaften, die wir kennen, ist dies, dass die kirchliche Gemeinschaft keinen Unterschied macht und sagt: wir hier in der Kirche sind etwas, wovon die, die draußen stehen, ausgeschlossen sind. Wir begnügen uns lieber mit den wenigen sichtbaren Zeichen von Gemeinschaft, die wir haben, wenn wir uns erheben, um zuzuhören, oder wenn wir gemeinsam singen, - als dass wir etwas schaffen wollten, was auch nur einem einzigen von außen Kommenden das Gefühl gäbe, dass hier etwas sei, woran er oder sie nicht teilnehmen kann. Wenn wir von der christlichen Gemeinschaft reden und davon, was wir tun können, um sie deutlicher hervortreten zu lassen, dann ist die größte aller Gefahren die, dass es so aussehen könnte, als ginge der große Trennungsstrich zwischen uns, die wir dazugehören, und denjenigen, die eben keinen Anteil an der Gemeinschaft haben. So unterscheidet man überall sonst: wir und die Anderen. Und dadurch schaffen diese anderen hochgelobten Gemeinschaften Isolation, Entfremdung und Einsamkeit. Wir, die Jungen – und alle die Alten. Wir, die Arbeit haben – und alle diejenigen, die keine Lust haben zu arbeiten. Wir, die Mitglieder der Vereinigung – und alle diejenigen, die draußen stehen. Wir Dänen – und alle die Fremden. Wir, die Gott kennen – und alle die, die ihn nicht kennen.

In den Worten Jesu, die wir soeben gehört haben, gibt es diesen großen Trennungsstrich zwischen der einen und der anderen Sorte Menschen nicht. Jesus sagt zu Gott: „Die Welt kennt dich nicht.“ Das ist etwas, was alle Menschen gemeinsam haben: sie kennen Gott nicht. Und dann fährt er fort und sagt: „Ich aber kenne dich.“ Das heißt: die große Grenze verläuft nicht zwischen den Christen auf der einen Seite und der Welt auf der anderen Seite, nein, die große Grenze geht zwischen allen Menschen (Christen wie Nichtchristen) auf der einen Seite – und Jesus auf der anderen Seite. Zwischen denen, die Got nicht kennen, und dem Einen, der ihn kennt.

Was bedeutet es, dass die Welt Gott nicht kennt? Die Menschen glaubten doch auch an Gott, bevor Jesus kam. Und was bedeutet es, dass wir, die wir heute hier sind, Gott nicht kennen? Geht die Grenze nicht zwischen uns, die Gott kennen, und denen, die ihn nicht kennen, aber vielleicht dahin kommen können, dass sie ihn kennen, und dann hereinkommen können? Nein, die Grenze geht zwischen allen Menschen und Jesus. Gott kennen ist nicht dasselbe wie glauben, dass Gott ist. Das Wort kennen hat in der Bibel eine weitaus umfassendere Bedeutung, als es in unserem Sprachgebrauch hat. Z.B. wird es im Alten Testament vom Beischlaf benutzt. Zu kennen gibt in der Bibel eine Abhängigkeit und einen Zusammenhang von so grundlegendem und selbstverständlichem Charakter an, wie es ihn nur zwischen Liebenden oder zwischen einer Mutter und ihrem Kind gibt. Im Evangelium wird „Gott kennen“ auch mit dem Ausdruck „eins mit ihm sein“ erklärt. Und in einem so grundlegenden und einleuchtenden Zusammenhang mit und einer solchen Abhängigkeit von Gott leben keine Menschen. Aber Jesus tat es. Dies kommt so klar zum Ausdruck in dem Gebet, das er sprach und das wir gehört haben. Das ist der Unterschied, der alle Unterschiede zwischen uns und denen verschwinden lässt.

Wie zeigt sich, dass wir Gott nicht kennen – in der Bedeutung des Wortes, dass wir ihm nicht so nahe leben, wie Jesus ihm nahe lebte? Ja, man kann darauf hinweisen, dass wir unser Dasein nicht in Geborgenheit und Unbekümmertheit leben. Ungeborgenheit und rastlose Bemühungen, das zu bergen, wovon wir glauben, dass es unser Leben sichern kann, prägen uns. Oder man kann die Schwierigkeit des modernen Menschen nennen, das Dasein so anzunehmen, wie es ist, und sein Gefühl der Einsamkeit. Wir sollen mit unserem Dasein arbeiten, sagt man uns, wir sollen unsere Trauer oder unsere Angst bearbeiten, wir sollen kreativ und schöpferisch sein – und wenn auch einige Berechtigung in solchen Ausdrücken liegen mag, so geben sie doch alle an, dass das Dasein so, wie es ist, nicht gut genug ist. Es enthält Seiten, die in unseren Augen schwierig, ungerecht, unzulässig, unordentlich sind. Und die nicht selten das Gefühl auslösen, dass man Opfer ist – die Bitterkeit oder jedenfalls Unzufriedenheit auslösen. Auch das zeigt, dass wir nicht aus der Kenntnis Gottes leben, wie Jesus et tat. Oder wenn man ein Beispiel nennen will, bei dem sich zeigt, dass wir Gott nicht kennen: wie wenig ist die Freude unsere Grundstimmung?

Ich las folgenden Satz: „Statistisch gesehen ist die Wahrscheinlichkeit, dass wir auf die Welt kommen, so klein, dass man glauben sollte, dass die Tatsache, dass es uns – jeden von uns – gibt, uns veranlassen müsste, in einem ewigen Zustand zufriedener Sprachlosigkeit und froher Überraschung zu leben.“ Grundlegend müsste die Freude darüber, dass wir ganz einfach dasind, uns durchs Leben tragen, aber für uns muss die Freude immer eine besondere Ursache haben; oder sie muss uns überraschen, um sich überhaupt Platz in unserem Dasein zu verschaffen, uns zu überrumpeln, bevor wir ihr nachgeben.

Etwas verkürzt könnte man sagen: Gott kennen ist sich immer freuen. Oder sich immer dankbar fühlen. So wie auch der Apostel Paulus seine Gemeinden dazu ermahnt. Freut euch allezeit, sagt er. Denn ihr habt Gott kennen gelernt. Aber so hat die Welt Gott nicht gekannt. Welche Unterschiede zwischen Menschen wir auch immer nennen mögen, so besteht diese Einheit zwischen ihnen: dass sie Gott nicht kennen. Aber nun kommt also das Evangelium heute und sagt, dass es eine Möglichkeit für eine andere Einheit gibt: die Einheit im Glauben an ihn, den Gott gesandt hat. Das ist die Art und Weise, wie das Christentum Gott zu kennt: zu glauben, dass Jesus von Gott gesandt ist. In dem, was Jesus sagt, ist betont, dass die Gemeinde, die Kirche, die Christen nicht dasind, um einen Unterschied zu machen zwischen sich und den Anderen, sondern, wie es heisst, „damit die Welt glaube, dass du mich gesandt hast“. Die Gemeinde kann nicht sagen: wir kennen Gott, das tut ihr nicht. Sondern sie kann auf Jesus zeigen und sagen: dort können wir gemeinsam Gott kennen lernen, denner ist von Gott gesandt, und er kennt ihn, und was er sagt und tut, zeigt uns Gott. Ja, er kennt ihn in der Bedeutung des Wortes, dass er eins mit ihm ist.

Zu glauben, dass Jesus von Gott in die Welt gesandt ist, das ist nicht nur, dass man in die Einheit all derer gebracht wird, die Gott nicht kennen. Es ist auch dies, dass man in einer neuen Einheit Platz bekommt, unter all denen, die Gott liebt. Es ist nicht nur, zu erleben, dass die Grenze zwischen uns und denen verschwindet, denn diese Grenze hat niemals eine wirkliche Grundlage gehabt.

Sondern es ist, das ganz Unerwartete zu erleben, dass die Grenze zwischen uns und ihm verschwindet. Darum bittet Jesus im Text von heute: dass wir eingeschlossen werden mögen in die Gemeinschaft, die zwischen ihm und Gott ist. Dies kehrt mit vielen verschiedenen Worten immer wieder: dass die Grenze zwischen uns und Jesus verschwinden soll, nicht durch unser Bemühen, sondern durch sein Bemühen, durch sein Opfer und durch sein Gebet, dass wir an seiner Herrlichkeit teilhaben sollen, einer Herrlichkeit, die wir nicht in uns selbst haben, sondern an der Herrlichkeit, die Jesus von Gott hat. Ich in ihnen, und du in mir, heißt es – oder: wo ich bin, sollen auch die sein, die du mir gegeben hast. Die Grenze zwischen uns und ihm wird abgelöst von der Gemeinschaft zwischen uns, ja, nicht nur zwischen ihm und uns, sondern dadurch zwischen Gott und uns, von der Gemeinschaft, in der alle Unterschiede zwischen Menschen dahinschmelzen, und in der all menschliche Isolation und Einsamkeit und Fremdheit verschwindet, von der Gemeinschaft, in der die Freude nicht nur eine vorübergehende Überraschung ist, sondern der Grundton. Amen.

Bischof Niels Henrik Arendt
Ribe Landevej 37
DK-6100 Haderslev
Tel.: +45 74 52 20 25
E-mail: nha@km.dk

Übersetzung aus dem Dänischen: Dietrich Harbsmeier

 


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