Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: C. Dinkel und I. Karle

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Pfingstmontag, 5. Juni 2006
Predigt zu Epheser 4, 7.11-16, verfasst von Klaus Steinmetz
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


Pfingsten, das Fest des Heiligen Geistes, wird gern auch als Geburtstag der Kirche bezeichnet. (Wenn, wie in dem von mir zu haltenden Gottesdienst auch am Pfingstmontag die „Festlegende“ von Pfingsten aus Apg. 2 gelesen wird, kann jetzt an diese noch einmal erinnert werden.) Im Glaubensbekenntnis im dritten Teil, in dem vom Heiligen Geist die Rede ist und von seinen Wirkungen, wird als erstes die Kirche genannt: Ich glaube an die (eine) heilige, christliche Kirche. Dass durch den Heiligen Geist, also durch Gott selber, Kirche entsteht und erhalten wird, bis heute, das ist in der Tat etwas entscheidend Wichtiges.

Nun gibt ein Geburtstag ja Anlass, über das Geburtstagskind, die Jubilarin Kirche also, nachzudenken. Dazu kann uns unser heutiger Predigttext anleiten. Er steht im vierten Kapitel des Epheserbriefes. Er ist keine leichte Kost. Vielleicht ist es eine Hilfe für das Zuhören, wenn ich vorher darauf hinweise, dass hier für die Kirche ein Bild, ein Symbol gebraucht wird, das Bild des Leibes, der durch seine Gelenke und Glieder zusammenhängt. Er ist noch nicht fertig, sondern wächst noch. Die Kirche ist der Leib von Jesus Christus. Hören wir, was der Apostel dazu zu sagen hat:

Einem jeden von uns ist die Gnade gegeben nach dem Maß der Gabe Christi...Er hat einige als Apostel eingesetzt, einige als Propheten, einige als Evangelisten, einige als Hirten und Lehrer, damit die Heiligen zugerüstet werden zum Werk des Dienstes. Dadurch soll der Leib Christi erbaut werden, bis wir alle hingelangen zur Einheit des Glaubens und der Erkenntnis des Sohnes Gottes, zum vollendeten Mann, zum vollen Maß der Fülle Christi, damit wir nicht mehr unmündig seien und uns von jedem Wind einer Lehre bewegen und umhertreiben lassen durch trügerisches Spiel der Menschen, mit dem sie uns arglistig verführen. Lasst uns aber wahrhaftig sein in der Liebe und wachsen in allen Stücken zu dem hin, der das Haupt ist, Christus, von dem aus der ganze Leib zusammengefügt ist und ein Glied am anderen hängt durch alle Gelenke, wodurch jedes Glied das andere unterstützt nach dem Maß seiner Kraft und macht, dass der Leib wächst und sich selbst aufbaut in der Liebe.

Obwohl von der Kirche die Rede ist, steht Christus im Mittelpunkt. Sein Name kommt allein viermal vor. Aber das ist nur auf den ersten Blick verwunderlich. Im übrigen ist es ganz in Ordnung so: Nicht obwohl, sondern weil von der Kirche die Rede ist, steht Christus im Mittelpunkt. Das kann und darf nicht anders sein. Er ist ja das Haupt des Leibes, also auch die Hauptsache.

Aber genau da beginnt auch das Problem. Wie oft wird nicht die Hauptsache vergessen, auch in der Kirche! Da kann man z.B. lange über den Satz nachdenken und reden, Christus habe einige als Apostel, Propheten, Hirten und Lehrer eingesetzt, also mit besonderen Aufgaben oder auch, warum nicht, mit Ämtern betraut. Wörtlich heißt es sogar: Christus hat sie gegeben, also als Gabe, als Geschenk geradezu, an seine Kirche. Und ist es nicht ein Geschenk, wenn immer wieder Menschen, Männer und Frauen, sich bereit finden, sich einer Aufgabe, einem Amt in der Kirche ganz zu widmen? Ich glaube, in den heftigen Auseinandersetzungen um die Erhaltung oder Streichung von Pfarrstellen geht es auch darum, dass viele wissen oder doch ahnen: Es handelt sich hier um mehr als eine Organisationsfrage, sondern um eine „Gabe Christi“. Aber leicht kann es dann auch passieren, dass dabei die Gabe wichtiger wird als der Geber, das Amt selber wichtiger als das, wofür es da ist, nämlich auf Christus hinzuweisen und ihn groß zu machen. Luther und die Reformatoren haben das der römischen Kirche zum Vorwurf gemacht. Und bis heute liegt an dieser Stelle ein wichtiger Unterschied zwischen der evangelischen und der katholischen Kirche. Dass aber auch wir allen Grund haben vor der eigenen Tür zu kehren, um nicht im falschen Sinn zur „Pastorenkirche“ zu werden, habe ich angedeutet. Dagegen gilt es festzuhalten: Um die Hauptsache muss sich alles drehen in der Kirche, ihr hat alles zu dienen, auch und gerade die Ämter und die sie ausüben. Und diese Hauptsache ist Jesus Christus.

Jeder in der Kirche ist aufgerufen und befugt, dies zu prüfen und zu beurteilen, ob wirklich Christus im Mittelpunkt steht, auch von denen, die Ämter und Aufgaben wahrnehmen. Jeder und jede ist befugt. Das entnehme ich den Sätzen, in denen der Apostel sagt, dass wir alle in der Kirche zu mündigen Mitgliedern werden sollen. In der Konfirmation, wie wir sie gerade wieder in unseren Gemeinden gefeiert haben, wird solche Mündigkeit den erst noch heranwachsenden Christen gewissermaßen vorgreifend zugesprochen: Keine Kinder sollen wir bleiben, sondern zum vollen Mannes- und Frauenalter heranreifen, zum Maß, das in Christus vorgegeben ist. In der Kirche, deren Haupt Christus ist, sind mündige Christen gefragt.

Aber woran entscheidet sich denn, ob in der Kirche wirklich Christus die Hauptsache ist und im Mittelpunkt steht? Da wird ein anderes Stichwort unseres Abschnittes wichtig, mit dem er auch endet: Liebe. Das macht ja das Wesen Jesu Christi aus, dafür ist er da gewesen mit seinem Leben und Sterben, dass die Liebe Gottes als der tragende Grund für alles deutlich werde. Der Liebe Gottes verdanken wir uns, auf sie dürfen wir uns verlassen, auf sie können wir hoffen. Sie hat das erste Wort gehabt, sie wird das letzte Wort behalten. Dafür steht Jesus Christus. Wer ihn so erkennt, der erkennt ihn richtig, als den Sohn Gottes. Das ist die Wahrheit, die Wahrheit der Liebe.

Alles, was dieser Wahrheit nicht entspricht, hat keinen Platz in der Kirche. An dieser Wahrheit, die die Liebe ist, muss alles sich messen lassen, wie klug oder fromm oder spirituell es sich geben mag. Ein hoher Maßstab! Jeden, der nur ein wenig von ihm begriffen hat, lässt er bescheiden werden. Und es ist doch zugleich der Maßstab echter Menschlichkeit.

In Liebe, die von Christus herkommt und zu ihm hinführt, lebt die Kirche. Darin ist ihre Einheit gegeben, die doch zugleich immer noch vor uns liegt. Unüberhörbar redet der Apostel von der Kirche, die im Wachsen, im Werden ist. Ihre Einheit gibt der Vielfalt Raum, da herrscht keine Uniformität. Für jeden, der sich in diese Liebe einbeziehen lässt, ist Platz. Die verschiedenen Begabungen und Fähigkeiten werden gebraucht, jeder kann beitragen zum Wachstum und zum Bau. Und auch die verschiedenen Kirchen und Gemeinden können vielfältig und bunt sein – wenn sie nur der Wahrheit der Liebe Raum geben.

Ich halte inne, liebe Gemeinde. Von den Worten des Apostels habe ich mich anregen, treiben lassen – und dabei den Boden unter den Füßen verloren? Ist das denn noch die Kirche, die Gemeinde, wie wir sie kennen und erleben? Wo ist denn die bunte Vielfalt, wenn schon die mittlere Generation weithin nicht zu erblicken ist, weil sie offenbar den Eindruck hat, hier sei kein Platz für sie, von den jungen Menschen ganz zu schweigen?

Vielfalt erleben wir eher so, dass da Trennungen sind und Zerstrittenheit. Man braucht dabei nicht zuerst an die großen Kirchentrennungen hie evangelisch, dort katholisch, dort orthodox, und was es dann sonst noch alles gibt, zu denken. Allein schon in unserer evangelischen Kirche herrscht oft ein ziemliches Durcheinander. Kaum eine Meinung, zu der es nicht eine Gegenmeinung gibt, aber nicht als Ausdruck lebendiger Vielfalt, sondern da erhebt einer gegen den anderen den Anspruch, es besser und richtig zu wissen, ja die Wahrheit zu besitzen. Und auf der Strecke bleibt – die Liebe.

Von Wachstum und Lebendigkeit hören wir – haben wir diesen Eindruck auch beim Blick auf unsere Kirche? Natürlich ist damit mehr als ein äußeres Wachstum gemeint, das sich in Zahlen niederschlägt. Aber auch das dürfte dazugehören. In der Pfingstgeschichte wurden, wie erzählt wird, 3000 Menschen hinzugefügt. Wir aber haben eher das Gefühl zu schrumpfen und dies ganz schön verinnerlicht.

Mit dem Geburtstagskind ist also nicht allzu viel Staat zu machen. Und wenn wir die Kirche im Glaubensbekenntnis als Wirkung und Erweis des Heiligen Geistes bekennen, so bezieht sich das offenbar nur sehr eingeschränkt .auf das, was wir vor Augen haben. Da kann man nur sagen: Wenn, dann ist sie das nur trotz allem, was wir sehen, nämlich Wirkung des Heiligen Geistes.

Gerade weil da oft so wenig Ansehnliches, Vorzeigbares, weil da oft so viel Menschlich-Allzumenschliches ist, gilt das, was ich vorhin gesagt habe: Allein Christus zählt in der Kirche, sie selbst ist nichts ohne ihn. Sie ist nur etwas, soweit er sie gebraucht. Und das, so unglaublich es klingt, tut er. Wir wären ja nicht hier heute morgen, wenn er es nicht täte. Wir wüssten ja nichts von ihm, könnten uns nicht Christen nennen, wenn er nicht Menschen, in all ihrer Unzulänglichkeit gebraucht und beauftragt hätte, von ihm zu reden, den Menschen den Halt und die Hoffnung des Glaubens zu geben. Wir wüssten nichts von Gottes Liebe als Grund unseres Lebens und der Welt, wenn Gott die Kirche nicht gewürdigt hätte, seine Liebe weiterzusagen und weiterzugeben.

Und manchmal leuchtet doch etwas davon auf. Wenn Sie mich fragen: Wo?, dann würde ich sagen: In Gottesdiensten; in großen, festlichen, wo kein Platz mehr frei ist, wo etwas wie Begeisterung über dem Ganzen liegt und es einfach erhebend ist, dabei zu sein. Oder auch in ganz kleinen Gruppen, bei Abendmahlsfeiern am Tisch im Zimmer, wo das innere Erleben so tief und bewegend war. Oder auch bei intensiven Gesprächen, mit manchmal sehr unterschiedlichen Meinungen und doch dem Gefühl: Wir sind beieinander gewesen und uns näher gekommen im Geist Jesu Christi. Jeder ist eingeladen, das mitzuerleben, Erfahrungen, die unseren Glauben stärken und bereichern.

Schließen möchte ich mit den manchen vielleicht bekannten Sätzen, die eine Art Glaubensbekenntnis enthalten. Es hat als Hintergrund die Vorstellung, dass die Kirche, dass wir der Leib Christi sind:

Christus hat keine Hände – nur unsere Hände, um seine Arbeit heute zu tun.
Er hat keine Füße – nur unsere Füße, um Menschen auf seinen Weg zu führen.
Christus hat keine Lippen – nur unsere Lippen, um Menschen von ihm zu erzählen.
Er hat keine Hilfe, nur unsere Hilfe, um Menschen an seine Seite zu bringen.

Das ist nicht gesagt (ich glaube, man spürt das), damit wir uns etwas einbilden. So wichtig sind wir nicht. Wollten wir uns so sehen, würde Christus wohl sehr schnell sagen: Ich kann auch ohne euch, ich habe noch ganz andere als euch. Aber er sagt, und das ist etwas völlig anderes: So wichtig nehme ich euch, weil ich euch lieb habe. Unglaublich ist das – aber wahr!

Amen

Klaus Steinmetz, Sup.i.R.
Hainholzweg 8
37085 Göttingen
kjsteinmetz@t-online.de

 


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