Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: C. Dinkel und I. Karle

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Pfingstmontag, 5. Juni 2006
Predigt zu Johannes 6, 44-51, verfasst von Elisabeth Birgitte Siemen (Dänemark)
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


Es ist Pfingsten. Und Pfingsten bedeutet Geist, Zusammenhang und Gemeinschaft. Und das ist eine gute und ganz notwendige Botschaft hier in dieser Zeit, in der viele Menschen das Gefühl haben, dass der Zusammenhang und der Zusammenhalt bedroht sind. Der norwegische Dichter Tarjei Vesaas sagt einmal: "Jeder Mensch ist eine Insel." Und das ist wahr, wir sind Inseln, wir sind jeder für sich abgegrenzt, und wir hängen nicht ohne weiteres mit anderen zusammen. Manchmal kann es uns sehr schwer fallen, einander zu erreichen, wir sitzen in unseren eigenen kleinen Welten, abgeschnitten von anderen. Und im Grunde vielleicht - ohne den Glauben daran, dass andere die Welt so verstehen, wie wir es tun. Jeder Mensch ist eine Insel, sagt der Dichter - fügt dann aber hinzu: es gibt Brücken! Und so ist es mit Pfingsten. Denn an Pfingsten schlägt Gott eine Brücke von sich hinab zu uns. Diese Brücke heißt Heiliger Geist, der Geist, der uns eine echte, lebendige Verbindung zu Gott gibt. Aber nicht zu Gott allein, der Heilige Geist soll auch eine Brücke von dem einen Menschen zum anderen schlagen.

Es hat hier in den letzten Jahren eine Tendenz gegeben, Christentum und Dänentum zu identischen Größen zu machen. Die Problematik der Einwanderer hat bewirkt, dass man sich um eine däniche Identität hat sammeln wollen, um dänische Bräuche und dänische Kultur, in einem Versuch zu erstehen, was das ist, das uns von den Fremden unterscheidet. Einige haben sich dabei auf die dänische Kultur konzentriert, aber da man sich wohl darüber im Klaren ist, dass das sehr leicht zu einer bedenklichen Angelegenheit werden kann, ich meine, - es ist leicht, zu sagen Andersen, Jensen, Hansen, Nielsen und Gade, aber man kann genauso gut Weyse, Kuhlau, Oehlenschläger und Besekow sagen - um nur einige wenige zu nennen -! Deshalb hat man sich stattdessen aufs Christentum verlegt als den Faktor, der uns von den Fremden hier im Lande unterscheidet. Und das ist natürlich ganz richtig, wenn man es von außen sieht, aber im Lichte von Pfingsten gesehen ist es zweifellos etwas verwunderlich, denn Pfingsten handelt ja gerade von dem, was die Grenzen sprengt, was zusammenschmilzt - ja, man könnte fast sagen - vom Internationalen. Man denke nur an die Apostel am Pfingsttage. Sie hatten in kleinen Dörfern in Galiläa gewohnt, wo die Zeit Jahrhunderte lang stillgestanden hatte. Und die meisten von ihnen waren daran gewöhnt gewesen, sich all das, was die Griechen und Römer ins Land gebracht hatten, weit vom Leibe zu halten.Seit dem Pfingsttag aber umgaben sie sich mit Juden aus anderen Kulturen, mit anderen Bräuchen und Gewohnheiten und Denkweisen, ja sogar anderen Sprachen. Und in den Jahren danach breitete es sich auch auf die Heiden aus - d.h. Griechen und Römer. Der Heilige Geist schlug eine Brücke von Land zu Land, von Kultur zu Kultur, von Herz zu Herz. Nein, hier gab es keine Grenzen.

Als ich klein war und in die jüngeren Klassen in der Volksschule ging, hatte ich eine wirklich phantastische Lehrerin - und zwar in Rechnen, das bestimmt nicht mein Lieblingsfach war. Aber sie war trotzdem der beste Lehrer. Die letzten 5-10 Minuten jeder Stunde las sie uns vor. Und das konnte sie einfach. Ich erinnere mich noch, wie sie Astrid Lindgreen vorlas - und besonders die unheimlichste Geschichte von allen: "Mio mein Mio". Das meiste habe ich natürlich vergessen - aber die Geschichte handelt u.a. von dem Kampf zwischen zwei Mächten im Lande - zwischen dem Guten und dem Bösen: Das Böse ist durch den unheimlichen schwarzen Ritter Cato vertreten. Seine Untertanen sind alle dadurch gekennzeichnet, dass sie ein Herz aus Stein haben, und über alle, die er gefangen nimmt, gewinnt er Macht, indem er ihnen ihr Herz aus der Brust reißt und und es durch einen Stein ersetzt. Und obwohl das nun schon so viele Jahre her ist, kann ich mich noch gut daran erinnern, wie wir schauderten, als wir zu der Stelle kamen, wo der Held des Buches in der Burg des Bösen gefangen sitzt und weiß, dass ihm am nächsten Morgen das Herz herausgerissen und durch einen Stein ersetzt werden wird.

Ein Stein anstelle eines Herzens - das ist ein sehr beredtes Bild. Wir sprechen ja von hartherzigen Menschen, und wir wissen auch, was ein versteinerter Mensch ist - ein harter, kalter und unempfindlicher Mensch. Ritter Kato - ja, er gehört in die Welt des Abenteuers, aber wer von uns erlebt es nicht in seinem Leben, dass sein Herz mit einem Stein ausgetauscht wird? In Trauer, in Zorn, in Verbitterung, in Besorgnis - da kennen wir es von uns selbst, dieses Gefühl, dass unser Herz sich verhärtet hat. Vielleicht bemächtigte sich das Gefühl unseres ganzen Körpers, so dass wir zu Stein wurden, so dass unser Körper wie ein harter Panzer wurde, und wir unzugänglich waren für jede Annäherung in Worten oder Taten. Unglücklich ist es, wenn es uns ergreift und wir ein steinernes Herz bekommen und hart werden. Aber noch unglücklicher ist es, wenn die Versteinerung uns so sehr ergreift, dass wir anfangen, unsere Härte als das Normale aufzufassen. Als einen Zustand, den man erreichen muss, und wenn wir deshalb anfangen, dafür zu arbeiten, dass wir die Herzen anderer genauso hart machen, wie unser eigenes Herz es ist. Dies sehen wir in voller Stärke z.B. in der unglückseligen Problematik in Israel, wo rabiate Gruppen in beiden Lagern in Terror, Bomben und Tod spekulieren - einfach nur um Recht zu bekommen. Und dass immer nur wehrlose Menschen Opfer dieser Gruppen sind, scheint sie nicht zu berühren. Nein, denn ihre Herzen sind steinhart.

Aber da hören wir heute in der Lesung aus dem AT, wie Gott zu seinem Volk spricht und sagt (Hes. 11,19 u. 20): "Ich will ihnen ein anderes Herz geben und einen neuen Geist in sie geben und will das steinerne Herz wegnehmen aus ihrem Leibe und ihnen ein fleischernes Herz geben. Sie sollen mein Volk sein, und ich will ihr Gott sein." Gott bringt seinem Volk die frohe Botschaft, dass ER mit uns ist, und dass es SEIN Wille ist, dass es nicht die steinernen Herzen sind, die über die Herde herrschen sollen, sondern im Gegenteil die weichen Herzen aus Fleisch, die Menschenherzen. Pfingsten schickte Gott seinen Geist zu den Menschen, um das steinerne Herz aus unserer Brust zu reißen und uns stattdessen ein schlagendes, warmes und liebevolles Herz zu geben. Der Heilige Geist - dieser für viele etwas luftige Begriff - bedeutet in all seiner Einfachheit, dass Gott eine Brücke zwischen Himmel und Erde geschlagen hat. Der Heilige Geist ist, dass wir, auch wenn Jesus die Welt verlassen hat, nicht allein gelassen sind. Er ist im Geist stets gegenwärtig, und er bleibt gegenwärtig - so dass wir neuen Mut, neue Kraft und Freude, Glauben, Hoffnung und Liebe fassen können - in unseren Herzen. Der Heilige Geist ist, dass das Evangelium uns angeht. Dass es zum täglichen Brot in unserem Leben wird. Der Heilige Geist gibt uns neues Bewusstsein, neue Herzen, mit denen wir sehen können, damit wir sehen, wie Gott die Welt und all ihre Herrlichkeit geschaffen hat, damit wir uns über sie freuen und in Verantwortung und Zusammengehörigkeit leben können. Aber der Heilige Geist macht auch, dass wir merken, dass Gottes Sohn Jesus gegenwärtig ist, so dass wir sein Leben und Schicksal sehen und sein Wort hören können - nicht nur als etwas Vergangenes, sondern als etwas, das für unser Leben für uns selbst und zusammen mit anderen entscheidende Bedeutung hat. Ja, denn der Heilige Geist ist die Brücke - sowohl zwischen Gott und Menschen als auch zwischen Menschen.

Nun gibt es vielleicht einige, die hier sitzen und denken - ja, aber ist denn nicht Jesus die Brücke vom Himmel zur Erde? Handelte nicht sein ganzes Leben davon, uns zu erzählen, dass Gott uns liebt und dass wir deshalb in liebevoller Hingabe an IHN und unseren Nächsten leben sollen? Eine Botschaft, die ungnädig aufgenommen worden ist - er hob Grenzen auf und beseitigte Trennung, und deshalb erschlugen sie ihn auch. Ja, Jesus Christus ist die Brücke, aber der Heilige Geist ist es auch. Denn wie es in dem alten Glaubensbekenntnis, das wir eben gehört haben, steht: der Heilige Geist geht vom Vater und vom Sohn aus! Vater, Sohn und Heiliger Geist sind eines, und die Tat des Heiligen Geistes ist ebenso mächtig wie die Taten, von denen wir in den Erzählungen der Evangelien über Jesus von Nazareth hören. Und sie geschehen fortgesetzt - auch hier und jetzt. Die Beispiele sind zahllos - ich will nur ein Beispiel nennen! Der südafrikanische Erzbischof Desmond Tutu wurde von Nelson Mandela im Jahre 1995 dazu ausersehen, die Wahrheits- und Versöhnungskommission in Südafrika zu leiten. Das Ziel der Kommission war, die Nation nach jahrzehntelanger Unterdrückung und Rassentrennung zu versöhnen. Und die Erfahrungen aus Südafrika zeigen, dass es möglich ist, dass Menschen nebeneinander leben, obgleich sie furchtbare Taten gegen einander begangen haben. Aber dazu ist es nötig, dass man zutiefst in seinem Herzen zu hoffen und für Frieden, Versöhnung und Vergebung zu arbeiten wagt. Oder mit anderen Worten ausgedrückt - man muss es wagen, sich vom Heiligen Geist, vom Geist der Wahrheit und der Liebe bewegen zu lassen, und man muss ein echtes, lebendiges Menschenherz aus Fleisch und Blut erhalten. Amen

Pastor Elisabeth Birgitte Siemen
Kirsebærbakken 1
DK- 2830 Virum
Tel.: +45 45 85 63 30
e-mail: ebsi@km.dk

A us dem Dänischen übersetzt von Dietrich Harbsmeier



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