Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: C. Dinkel und I. Karle

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Trinitatis, 11. Juni 2006
Predigt zu Epheser 1, 3-14, verfasst von Martin M. Penzoldt
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


Wir feiern heute Trinitatis, das Fest der Dreieinigkeit. Es ist ein Fest der Überschau, an dem man bis in die Höhe der Kirchenkuppel gehen muss, um den Überblick zu bekommen…

Liebe Gemeinde! Nachts, wenn er sich ausgetobt hat und seine Eltern am Rande ihrer Kräfte im Wohnzimmer zurückgeblieben sind, dann liegt mein rothaariger Patensohn Jakob mit verträumtem Blick in seinem Bett und versucht, sich mit seinen vier Jahren zurechtzufinden in der Welt, die ihm am Tage begegnet ist.

Das ist seine philosophische Stunde. Da genügt es nicht, mit Geschichten Einverständnis mit der Welt herzustellen und nach der Erschöpfung des Körpers auf eine sanfte Müdigkeit des Geistes zu warten. Jakob versucht, sich Klarheit zu verschaffen.

Die langwierigste Untersuchung gilt der Frage: "Was war davor?" Er hat mitbekommen, dass seine Schwestern aus dem Bauch seiner Mutter kamen und dass er selbst so auf die Welt gekommen ist. Aber, natürlich: Wo ist eigentlich die Mutter her? Was war, bevor sie Mutter wurde? Da war sie auch einmal ein Kind. Ja, ein Baby! Das rührt Jakob; aber deshalb schläft er noch nicht ein.

Er möchte wissen, was davor war. Davor war die Großmutter. Und war die etwa auch einmal...? Ja, freilich! Und davor? Davor die Urgrossmutter im Schwarzwald. Und davor? Ihre Eltern, Grosseltern, Urgrosseltern. Ur! Ur!! Ur!!! Pause. Und davor? Jetzt kommt der biblische Rundumschlag, die klassische Antwort, die erlösenden Frieden bringt: Adam und Eva. - Und davor? Jakobs Eltern im Wohnzimmer haben sich erholt, sie scherzen, plaudern und suchen nach einem fußballfreien Fernsehkanal. Ich besinne mich auf den ungefähren Verlauf der sechs Schöpfungstage, ohne großen Eindruck bei dem Kind zu hinterlassen: Und davor? Im Wohnzimmer knallt ein Sektkorken und ich sehne mich nach einer pädagogischen Zweitkraft.

Bis jetzt waren wir eine wahrhaft endlose Strecke von "Davors" zurückgegangen. Das Endlose sollte nun ins Unendliche münden: in Gott, wie es war im Anfang jetzt und immerdar und von Ewigkeit zu Ewigkeit. "Und davor?" beharrt Jakob. Gott ist das Davor aller Welt, allen Lebens, aller Fragen! Er ist vor aller Zeit und in allen Zeiten, der heilige Schöpfer und Erhalter von allem, was ist! Jakob merkt, dass er mit seiner Frage hier nicht weiterkommt und ein leichter Zug von Müdigkeit zeigt sich auf seinem Gesicht. Jetzt wollte aber ich nicht aufgeben, der Sache auf den Grund zu gehen.

Im Wohnzimmer ist inzwischen doch die Weltmeisterschaft im Gange. Das gibt mir Zeit zum Überlegen: Wonach hat Jakob eigentlich fragen wollen? Es war klar, dass Gott die Antwort war, immer schon. Aber was war die Frage? Vielleicht seine beiden Schwestern, um die sich die Mutter so viel kümmern musste? Und dass es plötzlich nicht mehr so klar war, dass sich eigentlich alles um ihn drehte und für ihn da war. Jakob drehte den Kopf weg und blickte auf die Holzgitter seines Bettes, aber er hörte mir zu. Hörte, wie alle, die er kennt, damals gekommen waren, um ihn zu sehen im Margaritenhospital. Lange bevor er sie erkennen konnte und sprechen lernte, haben sie ihn gesehen und angefangen mit ihm zu sprechen. Und das sei nicht nur bei ihm so, sondern auch bei seinen Freunden so: bei Benjamin und Simon, bei Frank und bei Laura. Und als er dann getauft wurde, da habe ihm der Pfarrer gesagt, dass so wie die Eltern auf ihr Kind warten und es sehen und mit ihm reden: so wartet auch Gott auf uns, spricht uns an in seinem ewigen Wort und sieht uns an als sein Kind. "Alle?" Alle, auch dich.

Es ist still geworden im Zimmer. Jetzt verlangt der junge Herr noch nach Vertrautem: die Drei Räuber, Criktor, die gute Schlange, ein halbes Reim-Buch und ein Stoss Bilderbücher. Seine Welt ist ihm wieder vertraut. Dann schläft er. Wir aber hören, wie der Verfasser des Epheserbriefes seine kleine, verlorene Gemeinde wieder mit sich und ihrem Gott, mit ihrem Leben neu vertraut gemacht hat, indem er mit ihr zurückgeht in das unvordenkliche „Davor“. Ehe der Welt Grund gelegt war, hat Gott uns in Christus erwählt: Eph 1,3-14: …

1,3 Gelobt sei Gott, der Vater unseres Herrn Jesus Christus,
der uns gesegnet hat mit allem geistlichen Segen im Himmel durch Christus.
1,4 Denn in ihm hat er uns erwählt, ehe der Welt Grund gelegt war,
dass wir, heilig und untadelig vor ihm sein sollten; in seiner Liebe
1,5 hat er uns dazu vorherbestimmt, seine Kinder zu sein
durch Jesus Christus nach dem Wohlgefallen seines Willens,
1,6 zum Lob seiner herrlichen Gnade, mit der er uns begnadet hat in dem Geliebten.
1,7 In ihm haben wir die Erlösung durch sein Blut,
die Vergebung der Sünden, nach dem Reichtum seiner Gnade,
1,8 die er uns reichlich hat widerfahren lassen in aller Weisheit und Klugheit.
1,9 Denn Gott hat uns wissen lassen das Geheimnis seines Willens nach seinem Ratschluss, den er zuvor in Christus gefasst hatte,
1,10 um ihn auszuführen, wenn die Zeit erfüllt wäre,
dass alles zusammengefasst würde in Christus, was im Himmel und auf Erden ist.
1,11 In ihm sind wir auch zu Erben eingesetzt worden,
die wir dazu vorherbestimmt sind nach dem Vorsatz dessen,
der alles wirkt nach dem Ratschluss seines Willens;
1,12 damit wir etwas seien zum Lob seiner Herrlichkeit,
die wir zuvor auf Christus gehofft haben.
1,13 In ihm seid auch ihr, die ihr das Wort der Wahrheit gehört habt,
nämlich das Evangelium von eurer Seligkeit - in ihm seid auch ihr, als ihr gläubig wurdet, versiegelt worden mit dem heiligen Geist, der verheißen ist,
1,14 welcher ist das Unterpfand unsres Erbes, zu unsrer Erlösung,
dass wir sein Eigentum würden zum Lob seiner Herrlichkeit.

"Über eine unerschöpfliche Sache kann man nie zu maßlos reden."(Calvin). Der begeisterte Überschwang dieser wenigen Sätze soll uns über alle Zeit hinweg erreichen, soll die Erschöpften erquicken, die Resignierten aufrütteln, die Verzagten erfrischen, die Tumben hochtreiben, die Ironie bannen, den Humor freisetzen: alles zum Lob des einen, des dreieinen Gottes. Kaum, dass man ermessen kann, worum es alles in diesem Hymnus geht: Gott zu loben, das ist genug! Haben wir Grund zum Loben?

"Es blutet die Erde, Es weinen die Völker,
Es hungern die Kinder, Es droht großer Tod,
Es sind nicht die Ketten, Es sind nicht die Bomben,
Es ist ja der Mensch, der den Menschen bedroht" (W. Biermann)

Und wo kommt der Mensch her? Von anderen Menschen, die haben ihn geboren, ihn erzogen, wie sie selbst geboren wurden und erzogen. Und wer war davor und davor...
Nein, davon redet der Epheserbrief nicht. Er fängt bei Gott an: Gelobt sei Gott, er segnet uns, er hat uns erwählt vor aller Zeit, seinen Sohn gesandt: Jesus, den Christus, uns zugute. Er hat eine andere Geschichte beginnen lassen. Die antwortet nicht auf die Frage nach der ersten Ursache von Tier und Mensch, von Gut und Böse: sondern auf die Frage nach dem göttlichen Ziel: wozu eigentlich alles da ist, was da ist.

Nämlich: alles ist zum Lobe Gottes geschaffen und in diesem Lob trägt die Kirche den Liebesstrom Gottes in diese Welt. Und dieser Liebesstrom ist der tiefste Grund allen Lebens. Er ist immer schon „davor“. Und er ist das Ziel, die Hauptsache der Welt. Wir erkennen erst nachträglich, wozu etwas gut war. Wir müssen vorwärts leben und können nur rückwärts verstehen. Der Lobgesang des Epheserbriefes sagt, dass der Namen Jesus Christus die heimliche Mitte der Welt und der Geschichte ist. Auf diesen Namen blicken wir zurück und verstehen. [Oder wie Luther in seiner Epistelauslegung schreibt: "Er ist das Band, der Gürtel, der alles zusammenhält." Auf ihn hin soll alles ausgerichtet sein.]

Ich denke daran, wie einmal ein geistvoller Seelsorger einem verzweifelten jungen Mann in einer einsamen Klosterzelle den Rat gab: "Du musst den Mann anschauen, der Jesus heißt..." - Erst dann werden wir wissen, wozu wir hier auf dieser Welt sind und die Ruhe finden, und Vergebung erfahren und den Frieden Gottes spüren. Der Mann, der diesen Rat gab, war der Generalvikar des deutschen Augustinerordens in Erfurt: Johann von Staupitz. Und der, der ihn befolgte, hieß Martin Luther. Nach allen vorläufigen Übersetzungen der Bibel prägte er die Worte der heiligen Schrift für die deutsche Sprache: "Nicht wir haben ihn erwählt, sondern er hat uns erwählt." Das war immer neu seine Erfahrung mit dem Mann aus Nazareth: Nicht wir tüfteln uns unseren Flickenteppich aus Weltanschauung und Religion und Halbwissen, sondern wir hören auf den, der uns angesprochen hat vor aller Zeit, der das Heil der Menschen bereitet hat durch seinen Sohn Jesus Christus. Und damit ein jeder dies selbst für sich erfahren kann, sofern es irgendwo im deutschen Lande nicht laut und deutlich genug gesagt würde, was für einen Gott wir haben, darum hat er die Heilige Schrift ins Deutsche übersetzt. Das wertvollste Buch der deutschen Sprache, wie Nietzsche sagte.

Luthers Übersetzung ist durchdrungen davon, dass Christus die Mitte ist, das einigende Band, das alles zusammenhält. Und dass Christus uns gegenwärtig wird: durch das Wort, das heilige und das heilende Wort: "Kommet her zu mir, die ihr mühselig und beladen seid: ich will euch erquicken!" (Mt 11) Das sagte ein Wanderer mit seiner müden Schar auf dem Markte - mit nichts in der Hand - als dem Segen Gottes, der dem Sünder gilt. Über diesen Mann heißt es im Alten Testament: "Fürwahr, er trug unsere Krankheit und lud auf sich unsere Schmerzen. Wir aber hielten ihn für den, der geplagt und von Gott geschlagen und gemartert wäre. Aber er ist um unserer Missetat willen verwundet und um unserer Sünde willen zerschlagen. Die Strafe liegt auf ihm, auf dass wir Frieden hätten und durch seine Wunden sind wir geheilt." (Jes 53,4). Heil, Gott, Frieden, Segen, Amen - das sind Worte, die auch unsere Seele erfüllen sollen. Wo diese Worte wirksam werden bei uns, da schaffen sie eine Grundstimmung von Dankbarkeit, Freude und Vertrauen. Das sind die Kräfte, die uns Gott loben lassen, die uns Fülle und Tiefe schenken, allen Widrigkeiten zum Trotz - und durch die hindurch Gottes Heil in diese Welt hineingetragen wird.

Nun könnte man sagen, es genüge, wenn das Lob Gottes und das Heil der Menschen in der Gemeinde laut werden. Mit, in und unter dem Lob Gottes geschieht etwas Aufregendes in diesem Bibelwort aus dem Epheserbrief: Es finden sich Bestimmungen, wie Gott Vater, Sohn und Heiliger Geist zueinander gehören. Wie beim apostolischen Glaubensbekenntnis führt der Gedanke vom Vater durch den Sohn zum Heiligen Geist, der an und in der Kirche wirkt. Wir können uns am Trintitatisfest diesen Blick nach oben nicht ersparen. Aber zum Glück sind wir in einer Augustinuskirche. Augustinus hat sich sehr intensiv mit Trintiätslehre befasst und Johannes Anwander hat versucht in der Augustinuskirche von Schwäbisch Gmünd seine Gedanken bildhaft wiederzugeben.

Jeder der diese Kirche betritt wird in seinen Blicken langsam in die Höhe geleitet. Dort sieht man, wie Augustinus in den Himmel kommt. In der immer heller werdenden, grenzenlosen Tiefe des Himmels, die erfüllt ist von einem unirdischen Licht, wird Augustinus auf Wolken in die göttliche Sphäre entrückt. Pathetisch flattern die Gewänder, wirbeln himmlische Gestalten, die nach oben entschweben: Ein Engel mit Kreuz z.B. und einer mit einem Anker als Zeichen der Hoffnung. Ganz oben thronen Gott Vater, Gott Sohn als majestätische Personen und der Heilige Geist als Taube. Diese figürliche Dreieinigkeit geht über in die abstrakte Darstellung der Dreieinigkeit als eines gleichschenkligen Dreiecks: In seinen Seiten stehen drei "S" für "sanctus, sanctus, sanctus", die das dreimalige: "Heilig, heilig, heilig ist der Herr Zebaoth, alle Lande sind seiner Ehre voll" aus Jesaja 6 vergegenwärtigen.

Überschneiden sich da nicht zwei Darstellungen der Dreieinigkeit? In der Tat. Es scheint eine uns zugewandte und in unserer Bildsprache verständliche Ausformung der Dreieinigkeit und eine abstrakte, begriffliche Wahrheit zu geben. Und beide fallen nicht auseinander, sondern berühren sich im Heiligen Geist. Das ist eine Antwort der Kirche in ihrer Geschichte auf die Andeutung unseres Epheserbriefes über das Verhältnis der drei Personen in Gott und zur Welt. Es scheint so, als ob alle unsere Fragen, Bemühungen und Lektüren letztlich in das Geheimnis des einen-dreieinen Gottes einmünden. Genauso wie aus dem Gedanken des dreieinen Gottes notwendig die Schöpfung der Welt als Moment freiheitlicher Selbstentfaltung Gottes gehört, so führt die Frage nach den endlichen Voraussetzungen meines Lebens zum Gedanken des ewigen Gottes hin und die Fragen und Antworten beider spielen ineinander wie die figürliche und die abstrakte Darstellung der Dreieinigkeit Gottes auf dem Deckenfresko der Augustinuskirche.

Wenn das ein guter Gedanke ist, müsste er sich dann nicht auch aus der Höhe des Deckenfreskos herunterholen lassen? Auch so, dass es Jakob kurz vor dem Einschlafen auch versteht? Ja, das ist möglich. Es heißt für Jakob nichts anderes als, dass wenn er konsequent seine Fragen stellt: „was war davor? und davor? und davor?“ also die Fragen: „woher komme ich?“, „was ist die letzte Ursache?“ dass er letztlich zu demselben Ergebnis kommen müsste, wie ich, wenn ich vom Wort Gottes geleitet, nach der Bestimmung des Menschen und seines Ortes in der Welt frage. Die Antwort müsste beides Mal lauten: dass wir Menschen zu Gott gehören und zu ihm hin geschaffen sind.

Ein Anflug von Schwindligkeit kann einen beim Blick in die Höhe überkommen und hilft uns aus der Enge des Lebens hinaus, aber wir sollen uns nicht in solchen Spektakel und Spekulation verlieren. Alle kommenden Trinitatissonntage deuten die Fülle und den Reichtum aus, der in dieser Überschau angelegt ist. Auf dass wir aus der Höhe der Kirchenkuppel zurückgekehrt unseren Platz auf der Erde finden - zum Lobe Gottes. Amen.

Kirchenrat Martin M. Penzoldt
Ethik - Weltanschauung - Ökumene
Evangelische Landeskirche von Württemberg
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