Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: C. Dinkel und I. Karle

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1. Sonntag nach Trinitatis, 18. Juni 2006
Predigt zu Jeremia 23, 16-29, verfasst von Ulrich Metzger
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


1. Manche Worte der Heiligen Schrift berühren die tiefsten Schichten unserer Person.
Zu diesen gehört der 23. Psalm: „Der Herr ist mein getreuer Hirt“. Wie ein Hirtenmantel legen sich diese Worte schützend und wärmend um unsere Schultern.
Der göttliche Hirte sucht mich, wenn ich verloren gehe, er leitet mich auf gangbaren Wegen, wenn ich mich verirre, er kennt meine Sehnsucht nach einem guten Leben schenket mir voll ein. Er füllt des Lebens Mangel aus mit dem, was ewig währt.

Worte wie der 23. Psalm berühren uns deshalb, weil sie unsere schwachen und verletzlichen Seiten ansprechen. Die rühren an unsern Schattenseiten und helfen uns, zu vertrauensvollen, selbstbewussten und sicheren Schritten auch in den finsteren Tälern unseres Lebens.

Viel häufiger als in früheren Zeiten hören wir in unseren Gottesdiensten solch zugewandte stützende Worte.
Vorbei die Zeiten, da die Pfarrer die christliche Wahrheit den Hörern wie ein nasses Handtuch um die Ohren klatschten. Vorbei die strengen Moralpredigten von oben herab. Stattdessen singen wir wärmende Lieder wie dieses:

„Meine ganze Ohnmacht, was mich beugt und lähmt, bringe ich vor dich.
Wandle sie in Stärke, Herr, erbarme dich.
Mein verlornes Zutraun, meine Ängstlichkeit bringe ich vor dich.
Wandle sie in Wärme, Herr, erbarme dich.
Meine tiefe Sehnsucht nach Geborgenheit bringe ich vor dich.
Wandle sie Heimat, Herr, erbarme dich.“

2. Wie ein Rückfall in vergangene autoritäre Zeiten klingen dagegen die Worte, mit denen der Prophet Jeremia die Menschen seiner Zeit abkanzelt.
Hört den Predigttext für den heutigen 1. Sonntag nach Trinitatis aus dem 23. Kapitel des Buches Jeremia.

Verlesung des Textes –

Man könne einem anderen die Wahrheit wie einen wärmenden Mantel um die Schultern legen oder wie ein nasses Handtuch um die Ohren klatschen, sagte Max Frisch.
Die Worte Jeremias sind das nasse Handtuch, oder mehr noch, sie sind eine scharfe Waffe.
Sie sind kein Tau aus Himmelshöhn, der die Fluren benetzt, sondern ein grimmiges Ungewitter göttlichen Zorns.
Sie sind keine sanfte Berührung der geschundenen Seele, sondern ein Hammer, der den Felsen zerschmettert.

Die hier gebrauchten Bilder mögen ungeläufig und fremd sein. Aber sie halten eine Ahnung wach, dass es im Glauben nicht nur um meine ganze Ohnmacht, mein verlornes Zutraun, meine tiefe Sehnsucht geht, sondern um Tod und Leben, um gelingende oder verfehlte Existenz.
Vielleicht brauchen wir Wort, die die Defizite unseres Lebens nicht mit einem gütigen Mantel bedecken, sondern Worte, die uns im Innern verändern, die etwas klären, reinigen und aufbrechen.

Worte, wie sie der Schweizer Dichter Kurt Marti gegen den harmlosen religiösen Besänftigungsbetrieb ersehnt:
„Trefflich sorgt/ hierorts die Kirche für einige Nebenbedürfnisse des Mittelstands.
Gefragt sind/ ein Hauch heiler Welt mit Dias und Filmen bei Kuchen und Tee.
Ist dafür/ einer/ einst aufgehängt/ worden?“

Vielleicht geht es im Glauben doch um etwas mehr als um Taktiken und Praktiken der psychischen Stabilisierung und Lebensbewältigung.
Es geht um die Wahrheit unseres Lebens und des Gesellschaft!
Versuchen wir, die Worte Jeremias zu hören und setzen wir uns ihrer destruktiven Kraft und der Gefährlichkeit aus!

3. Das erste Bild, das Jeremia uns zumutet, ist das des Gewitters:
„Siehe, es wird das ein Wetter des HERRN kommen voll Grimm und ein schreckliches Ungewitter auf den Kopf der Gottlosen niedergehen.“
Gewitter haben mit ihrem Donnergrollen und ihren verheerenden Blitzen seit jeher als Träger des göttlichen Zorns gegolten.
Im Orient mit der Trockenheit seiner Wüsten sind sie besonders gefährlich: Ein ansonsten trockenes Tal kann sich in einem Gewitter binnen Sekunden in einen reißenden Strom verwandeln. „Trugbäche“ war das Wort, mit dem Martin Luther die Wadis wiedergab, die Sicherheit vortäuschen und doch lebensbedrohlich sind.
Wer sein Häuschen auf eine solche unsichere Stelle gebaut hat, dem wird es von den Strömen des Gewitters eingerissen. Wer sie bepflanzt und beackert, dem schwemmt die Flut die Ernte weg.

Bei aller Destruktivität, die solche Gewitter an sich haben, sind sie doch von einer aufklärerischen Wirkung. Sie decken auf, ob der Grund, auf den ich mein Lebenshaus errichtet hatte, verlässlich und stabil ist.
Sie zeigen, ob ich es auf Sand gebaut habe, auf den Sand falscher Selbstwahrnehmung, auf die Illusion meiner immerwährenden Kraft, auf die Lüge brüchiger Beziehungen.
Seien wir dankbar, wenn uns hin und wieder ein Gewitter erwischt, das unsere Illusionen verhagelt und zeigt, was wirklich Bestand hat.
Was aber hat Bestand?
Eine Wahrheit wie diese: „Wir liegen vor dir mit unserem Gebet und vertrauen nicht auf unsere Gerechtigkeit, sondern auf deine große Barmherzigkeit.“ (Dan 9,18).

Das andere Sprachbild dieses Abschnitts handelt vom Feuer.

„Ist mein Wort nicht wie Feuer, spricht der Herr?“ (v. 29)

Nicht das angenehm wärmende, im Kamin gezähmte Feuer ist hier gemeint, sondern der verheerende Flächenbrand, der alles versengt und zerstört.
Und doch wohnt auch und gerade der destruktiven Kraft des Feuers eine lebensdienliche Wirkung inne, derer sich die Menschen immer bedient haben.

Feuer trennt Legierungen, klärt und reinigt. Die Spreu wird vom Weizen getrennt und ins Feuer geworfen.
Seit alters her hat die Bibel das göttliche Wort mit dem Feuer verglichen.
Wenn es mich berührt und erreicht, kann es weht tun wie eine unangenehme und doch unabweisbare unverdrängbare Wahrheit. Dieses Wort deckt die Lüge, die Illusion und den Selbstbetrug auf.
Was nach diesem Reinigungsprozess bleibt, ist der Weizen, die Frucht, die auf dem guten Boden eines stimmigen Lebens erwächst.

Schauen wir nun auf die dritte, die aggressivste Metapher dieses Abschnitts, auf die des Hammers.

„Ist mein Wort nicht wie ein Hammer, der Felsen zerschmettert?“ (v. 29)

„I´d rather be the hammer than the nail“, sangen einst Simon and Garfunkel.
Aber wir sind nicht der Hammer, sondern der Nagel, den der Hammer in die Wand treibt, und der Felsen, der beim Aufschlag in tausend Stücke gesprengt wird.

Ein unangenehmer Gedanke, gewiss. Aber erinnern wir uns: Beim Auszug aus Ägypten zerbarsten die Felsen, als Mose auf sie einhämmerte, und aus ihnen sprudelte ein Quell lebendigen Wassers hervor.
Gottes Wort, das uns trifft, bricht Verkrustungen im Denken und die Starrheit unserer Gewohnheiten auf. Es macht neues Leben möglich und bringt Bewegung und Veränderung in unsere Abläufe hinein.
Die Konstruktionen, die wir errichtet haben um uns zu schützen, beengen und behindern uns irgendwann. Sie verstellen unseren Blick. Es sind die Mauern, gebaut aus Steinen unserer Angst.
Wer von der göttlichen Wahrheit berührt ist, wird frei. Die Felsen zerbersten, die Mauern fallen ein, und vor den Augen liegt ein unverstelltes wahrhaftiges Leben.

4. Jeremia hat sich, liebe Gemeinde, nicht als Masseur unserer Seele einen Namen gemacht. Seine Rede war scharf, provokativ und schmerzhaft. Sie war lebensgefährlich für ihn selbst.
Seine Worte haben getroffen.

Und heute? Wer schwingt heute den Hammer, wird schleudert die Blitze, wer entfacht ein reinigendes Feuer?
Etwa der Pfarrer, der in der Pose des Propheten euch den Kopf wäscht, euch abkanzelt und euch sagt, wo es lang geht?

Keineswegs. Die Propheten, die die unbequemen Wahrheiten wach halten, seid ihr in der Kraft des Heiligen Geistes selbst!
So möge die Stimme der göttlichen Wahrheit als innere Gewissheit in euch selbst zu hören sein. Sie möge Verkrustungen aufbrechen und euch in Bewegung bringen.
Sie möge Illusionen beiseite räumen und der Wahrheit eures Lebens den Boden bereiten. Sie möge Lüge und Wahrheit voneinander trennen.

Nicht Kuchen und Tee sind der Inhalt unseres Glaubens, sondern die Frage nach dem wahren und echten Leben. Es ist eine Frage, die wir in der Kraft des Geistes nur selbst beantworten und an niemanden delegieren können.
Die Spur des wahrhaftigen und stimmigen Lebens – durch schmerzhafte Prozesse – hindurch gefunden zu haben, das ist, als hätte mich ein Hirtenmantel bedeckt, als säße ich am gedeckten Tisch und man schenkte mir voll ein, das ist, als lagerte ich am frischen Wasser, im Frieden mit Gott, den Menschen und mir selbst.
Amen.

Studentenpfarrer Ulrich Metzger
Ev. Studentenpfarramt Ulm
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