Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: C. Dinkel und I. Karle

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2. Sonntag nach Trinitatis, 25. Juni 2006
Predigt zu 1. Korinther 14, 1-3.20-25, verfasst von Matthias Rein
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


Liebe Gemeinde!

Was nimmt ein Ungläubiger oder Unkundiger wahr, wenn er in unsere Gottesdienste kommt? Paulus legt diese Frage der Gemeinde in Korinth vor und sie ist aktuell bis heute. An jedem Sonntag erleben Ungläubige und Unkundige christliche Gottesdienste.
Was erleben sie dort, was erfahren sie, was nehmen sie wahr?
Zungenrede in der Regel nicht. Da unterscheidet sich unsere Situation von der in der korinthischen Gemeinde. Aber verstehen Fremden, was in einem Gottesdienst laut werden und zur Sprache kommen soll? Erreicht sie dies? Trifft es sie im Herzen?

Hören wir auf die Stimme eines Dichters. Michael Krüger, Münchener Verleger, Schriftsteller, Dichter, schreibt ein Gedicht, in dem er eine Erfahrung mit einem Gottesdienst in Worte fasst.

Brief

Gestern abend ging ich – bitte
frag nicht: warum? – in die Kirche
im Dorf, hockte mich bibbernd
zwischen die alten Leute
in eine der engen Bänke
und bewegte die Lippen, als hätte ich
mitzureden. Es war ganz leicht.
Schon nach dem ersten Gebet – wir
beteten auch für dich – wuchs mir
die Maske des Guten übers Gesicht.
Vorne pickte der alte Pfarrer,
ohne eine Lösung zu fordern,
wie ein schwarzer Vogel lustlos
im Evangelium, schien aber nichts
zu finden, uns zu verführen.
Kein Leitfaden, kein Trost.
Nach einer Stunde war alles vorbei.
Draußen lag ein unerwartet helles Licht
über dem See, und ein Wind kam auf,
der mich die Unterseite der Blätter
sehen ließ.

(aus dem Gedichtband Wettervorhersage 1999)

Kalt ist es in der Dorfkirche. Auf engen Bänken hocken alte Menschen. Der alte Pfarrer pickt lustlos im Evangelium. Er fordert keine Lösung. Er findet nichts, um zu verführen. Kein Leitfaden, kein Trost. Nach einer Stunde ist es vorbei. Der Besucher tritt aus der Kirche. Draußen – unerwartetes Licht, ein weiter Blick über den See, ein sanfter Wind. Der Wind dreht die Blätter, er lässt das Verborgene sehen, die Unterseite der Blätter.

Was hört, was sieht, was erfährt dieser Besucher in dieser Dorfkirche?
Begegnet ihm Gott?
Darum geht es nämlich im Gottesdienst: Um die Begegnung mit Gott, um das Hören auf sein Wort. Es geht darum wahrzunehmen, was Gott mir sagt.

Dieser Mensch erwartet viel.
Er erwartet Lösungen, einen Leitfaden, Verführung, Trost.
Aber seine Erwartungen werden enttäuscht.
Gott war für ihn nicht in diesem Gottesdienst.

Erleben Menschen in unseren Gottesdiensten Gott?
Wie erleben sie ihn?
Wie äußert er sich? Wie wird er erfahrbar?
Darum geht es Paulus in seinen Ausführungen zum Thema Zungenrede und prophetische Rede. Darum geht es bei uns öffentlich an jedem Sonntag und darüber hinaus.

Menschen suchen heute nach Gott, auch die Unkundigen und Ungläubigen.
Sie erhoffen viel von dieser Begegnung. Sie erwarten viel von Gott, sie sehnen sich nach seiner Nähe, nach seinem tröstenden Wort. Wo finden sie ihn?

Der Mensch, von dem im Gedicht erzählt wird, erlebt überraschendes nach der Stunde in der Kirche: Licht flutet. Hell erstrahlt die Welt. Ein Wind geht und bringt das Verborgene zum Vorschein. Hinweis auf Gott? Eher als das gemeinsame Hören auf das Evangelium, das sich nicht erschließt?
Gott in der Natur, auf dem Spaziergang, im Schauen auf seine Schöpfung?
Viele Menschen teilen diese Erfahrung. Sie erleben Gott nicht in den Kirchen, in den Gottesdiensten, im Hören auf die Schrift. Sie meinen Gott zu erleben in anderen Räumen, im Schauen auf Natur und Weite, in der Einsamkeit.

Wo und wie begegnet mir Gott?
Wie erfahre ich ihn? Wie erreicht mich sein Wort? Was ist sein Wille?
Wie würden Sie einem Bekannten, einer Nachbarin, einem Freund antworten, wenn er sie fragt?

Hören wir dazu genauer auf die Worte des Paulus
In der korinthischen Gemeinde ist Gott da.
So sind die Korinther überzeugt. Sein Geist ist da, ist spürbar, ist sichtbar, ist erfahrbar.
Viele reden in Zungen. Die Korinther sind fasziniert von diesem Phänomen. Im Gottesdienst fangen auf einmal Menschen an, unverständlich zu reden. Der Geist ergreift sie, sie erfahren offenbar Gottes Nähe und sie geben Laute der Verzückung von sich. Seht her, so sagen Gemeindeglieder in Korinth, bei uns ist Gott gegenwärtig, die Zungenreden sind der Beweis. Und es entsteht ein Wettstreit: Wer kann die meisten Erfahrungen mit der Zungenrede vorweisen? Wer erlebt das am intensivsten? Wer ist Gott am nächsten?

Wo und wie erleben die Korinther Gottes Gegenwart? In den vielen Zungenreden, keine Frage! Man versteht zwar nicht, was diese Ergriffenen reden, aber dass sie eine unmittelbar Gotteserfahrung haben, etwas Unaussprechliches erleben, ist wohl offensichtlich.

Paulus nimmt dazu Stellung. Und er findet klare Worte.
Er selbst kennt diese Geisterfahrung, er hat das am eigenen Leib erlebt. Er lehnt das Phänomen Zungenrede nicht grundsätzlich ab. So etwas gibt es, so etwas ist wichtig für den Glauben des Einzelnen. Aber er relativiert die Bedeutung der Zungenrede für die Gemeinde. Zungenrede, ja schon, aber viel wichtiger für die Gemeinde ist die prophetische Rede. Wichtig ist sie deshalb, weil sie von anderen Menschen verstanden werden kann. Wer prophetisch redet, wird verstanden, sowohl innerhalb der Gemeinde als auch von Außenstehenden.

Gott begegnet im verständlichen Wort, so die Botschaft des Paulus.
Ihr Korinther solltet euch nicht faszinieren lassen von allerlei unerklärlichen Geistphänomenen. Ihr solltet der prophetischen Rede Raum geben in eurer Gemeinde. Da wird Gott erfahrbar.

Diese Botschaft des Paulus ist spannend bis heute.
Gott begegnet im verstehbaren Wort.
Was Gott will, können wir mit unserem Verstand erfassen. Das sollen wir verstehen.
Sicher, es gibt viele Phänomen, die auf göttliches Wirken verweisen können.
An erste Stelle setzt Paulus aber das verstehbare, das verständliche, das erschließende, das nachvollziehbare Wort. Paulus wertet die Zungenrede nicht ab, aber er relativiert ihre Bedeutung. Und er räumt der prophetischen Rede klar den Vorrang ein.
Nüchternheit statt Faszination, Verstand statt unverständliches Raunen. Darin begegnet uns Gott.

Was bewirkt die prophetische Rede? Auch dieser Aspekt ist für Paulus wichtig.
Wer in Zungen redet, erbaut sich selbst. Prophetische Rede aber erbaut andere, erbaut die Gemeinde.
Zungenrede erzeugt vielleicht Aufmerksamkeit, Verwunderung, Erstaunen.
Prophetisches Reden aber bewirkt Erbauung, Ermahnung und Tröstung.
Und dies nicht nur im eigenen Kreis, sondern auch bei Außenstehenden.

Gott ist verstehbar auch für die Fremden, auch für die religiös Unmusikalischen, auch für den, der mit Gott nichts anfangen kann.

Verstehbar ermahnen, erbauen, trösten – dies sollte der Maßstab sein für unser Reden von Gott.

Wie aber gelingt uns dies?
Keine Lösung erwarten und fordern?
Lustlos von Gott erzählen?
Nichts entdecken, das verführt? Der Trostlosigkeit Raum geben?
Dies, liebe Gemeinde, darf nicht alles sein, was von einem Gottesdienst übrig bleibt.
Da muss mehr Feuer ins Spiel, mehr innere Bewegung, mehr eigenes Verführtsein, mehr Freude über den Trost, den ich empfange. Gewiss, das kann ich nicht einfach machen. Das wirkt Gottes Geist in mir. Aber wir können uns darum bemühen, auch in unserer Gottesdiensten.
Ohne unsere eigene innere Erbauung geht es nicht. Auch Paulus sieht das so. Die eigene Erbauung in der Zungenrede lehnt er nicht einfach ab. Manchmal fehlt unseren öffentlichen Zeugnissen als Christen der zündende Funke, der überspringt, die Freude, die Begeisterung, der wirksame Trost.
Vor einigen Tagen erzählte mir eine Konfirmandin von der Fahrt ihrer Konfi-Gruppe nach Taize. Dort sprang dieser Funke für sie über, in den Gottesdiensten, im Singen, im Gebet. Bewegt kam sie zurück, innerlich bereichert, erbaut. Solche Erfahrungen brauchen wir. Solche Erfahrungen müssen wir vermitteln.

Aber wir brauchen auch das Andere: Die Klarheit der Botschaft, die Verständlichkeit.
Gott ist kein Gott des rational unverständlichen Raunens, allein Fühlens und Erspürens. Unser Gott ist ein Gott der klaren, deutlichen Worte, des Ja und des Nein. Unser Gott nimmt uns Menschen ernst mit unserer Fähigkeit, unseren Verstand zu gebrauchen, verständlich zu reden und entschieden zu handeln.
Daran ist heute erinnern und festzuhalten in einer Zeit, in der viele fasziniert sind von allerhand spirituellen Phänomenen. Dies hat die Konfirmandin übrigens auch erlebt in Taize, Gespräche mit anderen jungen Christen aus ganz Europa, gemeinsames Nachdenken über das Wort der Schrift, Austausch von Erfahrungen, Reflektion in der Gemeinschaft. Da geschah Gottes Wort für sie.

Klare Worte – worauf beziehen sie sich inhaltlich?
Paulus sagt es zu Beginn unseres Abschnitts. Er hat es zuvor in dem berühmten Kapitel über die Liebe entfaltet.

Strebt nach der Liebe!
Das ist Gottes Wille für uns Menschen. Es geht um den Weg der Liebe miteinander in der Gemeinde und in der Begegnung mit dem Fremden. Es geht um die Liebe, nicht um den Wettstreit, wer über die größeren Geisterfahrungen verfügt.

Die Sprache der Liebe, liebe Gemeinde, ist eine verständliche Sprache. In dieser Sprache hat die Vernunft ihren Platz, das Gefühl und das Tun. In der Sprache geht es um die Wahrheit Gottes für uns Menschen. Die Wahrheit klärt, deckt auf, macht offenbar.
Und es geht um den Trost, aus dem wir leben.
Die Sprache der Liebe sollen wir sprechen in den Gottesdiensten.

Ich habe einen prophetisch aufklärenden, erbauenden und tröstenden Gottesdienst zu Pfingsten erlebt. 20 Jugendliche wurden in diesem Gottesdienst konfirmiert. Bewegende Musik prägte ihn und erreichte die Herzen von Gemeindegliedern, Familienangehörigen und Gästen. Die Einsegnung der Konfirmanden ging zu Herzen. Jeder Konfirmandin und jedem Konfirmand wurde der Konfirmationsspruch zugesprochen. Da fielen klare Worte. Der Zuspruch und der Anspruch Gottes für jeden Einzelnen wurde hörbar.
Einen Höhepunkt aber fand dieser Gottesdienst in den Bekenntnissen und Gebeten der Konfirmanden.
Beeindruckend: Die klaren Worte dieser Jugendlichen, überlegt, ehrlich, überzeugend, verständlich.
Mit solchen Gottesdiensten erbaut Gott uns und setzt ein unübersehbares Zeichen in der Welt – verstehbar, eindeutig, zugewandt und tröstend.

Möge sein Geist solches in uns wirken.

Amen


Dr. Matthias Rein
Studienleiter am Theologischen Studienseminar der VELKD
Bischof-Meiser-Str. 6
82049 Pullach
Tel. 089/74442428
Email: Matthias.Rein@t-online.de



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