Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: C. Dinkel und I. Karle

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2. Sonntag nach Trinitatis, 25. Juni 2006
Predigt zu Lukas 14, 25-35, verfasst von Erik Bredmose Simonsen (Dänemark)
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


(Text der dänischen Perikopenordnung)

Es ist nicht ungewöhnlich, dass man Menschen begegnet, die der Meinung sind, es passiere zu wenig bei einem Gottesdienst. Die Kirche sei allzu anständig und bequem, und man beziehe ja überhaupt keine Stellung zu irgendwas.

Eine solche Meinung kann man natürlich haben, das steht jedem frei, die Frage ist nur, wer es im Grunde ist, der zu anständig und bequem ist, wenn es darauf ankommt.

Es ist auf jeden Fall interessant zu beobachten, dass dieselben Menschen, die lauthals nach Farbigkeit, Haltung und Stellungnahme rufen, es oft nicht verkraften können, wenn das Evangelium Klartext redet und kein Blatt vor den Mund nimmt. Wenn sie auf Worte stoßen wie denen im heutigen Evangelium, machen sie sich davon, denn dann wird es ihnen zu grob.

Viele von denen, die die Kirche zu anständig finden, wollen, wenn es darauf ankommt, am liebsten genau so gut frisiert wieder weggehen, wie sie gekommen sind. Wenn die Verkündigung an all den guten Idealen und der guten Stimmung kratzt und sie stört, ja, dann ist man verärgert, und bei manchen ist es dann so, dass sie dann nur noch widerwillig in die Kirche gehen.

Viele möchten gern mit Kirche und Christentum zu tun haben, wenn sie von Liebe reden und davon, dass wir gut zueiander sein sollen, denn dann drücken sie ja all das aus, was man auch selbst für gut und richtig hält. Aber die Kirche sollte es unterlassen, von all den leidigen Dingen wie Sünde, Sündenvergebung und dergleichen zu reden, denn das möchte man sich nicht anhören, und heute sind es wohl die wenigsten, die sich selbst als einen Sünder auffassen.

Indessen: es ist nicht möglich, das Evangelium so zu behauen und zuzuschneiden, dass alles Unbehagliche außen vor gelassen wird, ohne dass man das Evaangelium damit verrät, ja, man würde dann etwas völlig anderes bekommen als das, worum es eigentlich geht. Deshalb können wir also auch nicht das Evangelium von heute beiseite schieben, bloß weil es uns anstößig erscheint. Wir kriegen es an den Kopf geworfen in all seiner scheinbaren Brutalität, und es ist Jesus, der diese krassen Worte zu den großen Scharen, die ihm folgten, sagt: „Wenn jemand zu mir kommt und hasst nicht seinen Vater und seine Mutter, seine Frau und Kinder, Brüder und Schwestern, ja, sein eigenes Leben, der kann nicht mein Jünger sein.“

Das ist zweifellos eine harte Behandlung, aber indem es also Jesus selbst ist, der sich so äußert, sind wir gezwungen, Halt zu machen und zuzuhören, jedenfalls hier in der Kirche, denn es könnte ja sehr wohl sein, dass sich mitten in dem scheinbaren Wahnsinn ein Sinn verbirgt.

Aber ehe wir uns überhaupt an den Versuch machen, die Aussage zu verstehen, müssen wir uns klar machen, dass sie nicht vom Evangelium im NT im übrigen losgerissen werden darf, denn dann würde sie im Ernst sinnlos.

Für uns ist es ja nicht gerade ungewohnt, dass Jesus Dinge sagt und tut, die gegen gewöhnliches und normales menschliches Denken verstoßen, dass er unsere Vorstellungen und Werte auf den Kopf stellt und uns den Teppich der Selbstsicherheit unter den Füßen wegzieht, normalerweise aber tut er das, indem er die Liebe als das entfaltet und verkündet, was unser Dasein tragen soll, und normalerweise ist es unsere Unzulänglichkeit der Liebe gegenüber, die er aufdeckt.

Das verstehen wir nicht immer voll und ganz, d.h. wohl verstehen wir das mit der Liebe, das glauben wir jedenfalls zu verstehen – und wir erkennen es auch an; aber wir verstehen nicht, dass wir immerzu mit unseren eigenen Unzulänglichkeiten konfrontiert werden sollen.

Wenn Jesus die Liebe entfaltet, die wir von unserem eigenen Leben her wiederzuerkennen glauben, dann passt das zu unserem Idealbild vom Christentum, das in erster Linie eine Liebesreligion ist. Dann befindet sich das Christentum in schöner Übereinstimmung mit uns selbst, meinen wir.

Aber heute spricht Jesus also nicht von Liebe, sondern von Hass – und zwar nicht nur gegen die, die wir sowieso schon hassen, sondern auch von Hass gegen die, die wir lieben, die uns alles bedeuten, und dann kommt unser Bild vom Christentum zweifellos ins Wanken.

Das Ganze ist ja völlig unmenschlich!

Ja, und vielleicht ist es auf gewisse Weise genau das, worauf Jesus aus ist, nämlich zu zeigen, dass die wahre Liebe unmenschlich ist. Nicht unmenschlich in dem Sinne, dass sie gegen das verstößt, was zu sein der Mensch mit Recht geschaffen ist, sondern in dem Sinne, dass er mit dem ins Gericht geht, wozu sich der Mensch selbst gemacht hat.

Denn die wahre, gottgewollte Liebe ist nicht ohne Weiteres dieselbe wie die menschliche Liebe.

Warum ist sie das nicht?

Weil die menschliche Art und Weise, seine Angelegenheiten zu ordnen, ihren Mittelpunkt immer im Menschen selbst haben wird, wohingegen die wahre Liebe ihren Mittelpunkt in – ja, natürlich in der Liebe selbst hat, in Gott, dem Ursprung und Ziel aller Dinge.

„Du sollst keine anderen Götter haben,“ sagt das erste Gebot, du sollst nichts anderes vor Gott stellen. Das ist es, wovon Jesus spricht, wenn er vom Hassen spricht. Zu hassen bedeutet im AT beiseite zu schieben oder zu verstoßen, und in dieser Bedeutung ist das Wort bei Jesus zu verstehen. Er sagt m.a.W., dass der, der seinen Vater und seine Mutter, seine Kinder, seinen Ehepartner, ja sogar sich selbst nicht Gott gegenüber beiseite schiebt, – dass der sein Jünger nicht sein kann.

Was man im Dasein an die erste Stelle setzt, ist eigentlich der Gott, den man hat. Es geht hier nicht um eine Stellungnahme gegen die Kernfamilie oder dergleichen, sondern darum, dass Jesus ganz einfach den Dingen und den Proportionen ihren rechten Ort zuweist. Er nennt das, was normalerweise für einen Menschen das Größte ist, „alle guten Namen, die besten, die ich kenne: Mutter, Schwester, Geliebte: meine Liebe!“, und dann sagt er: Solange das das Größte für dich ist, kannst du nicht mein Jünger sein. Das trifft uns alle, niemand von uns kann – angesichts dieser Unmöglichkeit – von sich behaupten, ausgerechnet wir seien Jesu wahre Jünger.

Aber warum nun derartige absolute – und unmögliche – Forderungen? Weil wir uns hier selbst als diejenigen, die wir sind, sehen können, gefangen und verwickelt wie wir sind in unserem Eigenen – und das heißt, in unserer Konzentration auf unser eigenes Selbst. Genau hier, im Verhältnis zur Unmöglichkeit des Absoluten, können wir uns selbst im rechtenVerhältnis zur Liebe begegnen. Zu der Liebe, die nicht nur sich selbst und ihre Nächsten liebt, sondern die alle familiären und freundschaftlichen Bande und Beschränkungen sprengt.

Demgegenüber kommen wir alle zu kurz. Aber das Christentum hat glücklicherweise mehr auf dem Herzen, als uns in unserem Unvermögen zu enthüllen. Der Herr steht nicht nur an der Seitenauslinie und macht sich mit verhöhnenen Zurufen lustig, wenn wir auf dem Fußballfeld sind. Vielmehr ist uns gesagt, dass wir mitten in der Ohnmacht und den Beschränkungen unserer eigenen Liebe von ihm unendlich geliebt sind, geliebt von dem, von dem alle Liebe ausgeht.

Ja, aber, was ist mit dem Hass und mit der Verstoßung derer, die einem am nächsten stehen und die man am meisten liebt? Es kann doch nicht wahr sein, dass wir sie – als Ideal – voll und ganz verstoßen sollen? Doch, zunächst einmal und grundsätzlich sollen wir das, denn wir dürfen keine anderen Götter haben, aber dann ist hinzuzufügen: Sollte das Unmögliche geschehen, dass wir Gott zu lieben vermöchten vor allem anderen in unserem Leben, so dass wir rechtmässig Jünger Jesu heißen können, ja, dann würden wir auch unser Leben in Liebe leben, so wahr das Leben in Christus ein Leben in Liebe ist, und damit würden wir unsere Nächsten lieben wie alle die anderen, die wir sonst nicht würdig finden. Gott zu lieben vor allem anderen bedeutet, dass das Vorzeichen für unsere Liebe verschoben wird; es hat nicht länger uns selbst als Mittelpunkt, und nur als solche ist sie wahr und echt.

Dieser unmöglichen Forderung von Seiten Jesu gegenübergestellt, sind wir zu dem Eingeständnis gezwungen, dass wir uns nur erlauben können, uns Christen und Jünger zu nennen, wenn wir eingestehen, dass wir es nicht selbst vermögen, – dass wir all das, was uns täglich Sicherheit und Geborgenheit schenkt, weder aufgeben wollen noch können – alles das, ohne das wir nicht leben können: Familie, Haus, Heim, Arbeit.

Mit anderen Worten: Sollten wir selbst zu Gott kommen, uns selbst zu Christen machen, ja, dann würde nichts daraus werden.

Aber das Evangelium, die frohe Botschaft, ist nun, dass Gott eben deshalb, eben wegen unseres Unvermögens, Mensch geworden ist. Da wir nicht zu ihm kommen können, ist er stattdessen zu uns gekommen. Da wir nicht imstande sind, ihn allem anderen im Leben voranzustellen, ist er zu uns gekommen, weil er uns allem anderen voranstellt.

Jesu Wort heute ist mit anderen Worten kein Rezept, wie wir leben sollen, denn so kann niemand von uns leben – das konnte nur Jesus selbst! Die Worte sind vielmehr als scharfe Antworten an uns gemeint. Sie sind als eine notwendige Herausforderung gemeint, die uns zu der Einsicht bringen soll, was das Leben ist und worauf es beruht: Wir leben von all dem und durch all das, was wir geschenkt bekommen!

Amen

Pastor Erik Bredmose Simonsen
Præstebakken 11
DK-8680 Ry
Tel.: +45 86 89 14 17
E.mail: ebs@km.dk

Übersetzung aus dem Dänischen: Dietrich Harbsmeier


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