Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: C. Dinkel und I. Karle

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3. Sonntag nach Trinitatis, 2. Juli 2006
Predigt zu 1. Johannes 1,5 - 2,4, verfasst von Tanja Schmidt
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


Liebe Gemeinde,

Wenn Christen und Christinnen ausdrücken wollten, wie Gott für sie erfahrbar ist, haben sie schon in den frühen Tagen der Christenheit gesagt: „Gott ist Licht“. Sie wollten damit sagen: Gottes Liebe ist nur mit der Sonne zu vergleichen. Gottes Liebe ist wie das Sonnenlicht, das uns mit wohltuender Wärme bescheint und das uns Menschen wachsen und gedeihen lässt.

Aber was genau bedeutet es für unser Leben, dass wir Christen im Lichtbereich Gottes leben? Darüber denkt der Verfasser des ersten Johannesbriefes in einem Schreiben an seine Gemeinde nach, und ich möchte ihm heute dabei folgen. Ich lese den heutigen Predigttext:

Und das ist die Botschaft, die wir von ihm gehört haben und euch verkündigen: Gott ist Licht, und in ihm ist keine Finsternis. Wenn wir sagen, dass wir Gemeinschaft mit ihm haben, und wandeln in der Finsternis, so lügen wir und tun nicht die Wahrheit. Wenn wir aber im Licht wandeln, wie er im Licht ist, so haben wir Gemeinschaft untereinander, und das Blut Jesu, seines Sohnes, macht uns rein von aller Sünde. Wenn wir sagen, wir haben keine Sünde, so betrügen wir uns selbst, und die Wahrheit ist nicht in uns. Wenn wir aber unsre Sünden bekennen, so ist er treu und gerecht, dass er uns die Sünden vergibt und reinigt uns von aller Ungerechtigkeit. Wenn wir sagen, wir haben nicht gesündigt, so machen wir ihn zum Lügner, und sein Wort ist nicht in uns.
Meine Kinder, dies schreibe ich euch, damit ihr nicht sündigt. Und wenn jemand sündigt, so haben wir einen Fürsprecher bei dem Vater, Jesus Christus, der gerecht ist. Und er ist die Versöhnung für unsre Sünden, nicht allein aber für die unseren, sondern auch für die der ganzen Welt.Und daran merken wir, dass wir ihn kennen, wenn wir seine Gebote halten. Wer sagt: Ich kenne ihn, und hält seine Gebote nicht, der ist ein Lügner, und in dem ist die Wahrheit nicht. Wer aber sein Wort hält, in dem ist wahrlich die Liebe Gottes vollkommen. Daran erkennen wir, dass wir in ihm sind. Wer sagt, dass er in ihm bleibt, der soll auch leben, wie er gelebt hat.

„Gott ist Licht“, schreibt der Verfasser des Briefes. Und: „Wir wandeln in diesem Licht.“ Was aber heißt es für uns, dass wir im Lichtbereich Gottes leben? Ist damit gemeint, dass wir immer auf der Sonnenseite des Leben stehen? Das wird vermutlich keiner unter uns von sich behaupten. Unsere Erfahrungen zeigen uns ja, dass das nicht so ist. Wir Christinnen und Christen sind keine heldenhaften Lichtgestalten. Wir kennen die Schattenseiten des Lebens. Auch wir sind manchmal traurig und verzweifelt. Und wie alle Menschen machen wir Erfahrungen des Scheiterns und Versagens. Das gilt zum einen für unsere Beziehungen miteinander. In unseren Arbeitsbeziehungen und Freundschaften und vor allem auch in unseren Liebesbeziehungen gelingt es uns bei allem guten Willen nicht immer, liebevoll und versöhnlich miteinander umzugehen. Im schlimmsten Fall müssen wir uns sogar das Scheitern einer Partnerschaft oder Ehe eingestehen. Das ist sehr schmerzlich. Vor allem schmerzt uns natürlich die Trennung, der Verlust des einstmals oder noch immer geliebten Menschen. Aber schmerzlich ist auch die Einsicht, dass wir unseren eigenen Ansprüchen an uns selbst und eine Beziehung nicht entsprechen konnten Und auch in Studium und Beruf schaffen wir es nicht immer, unsere hochgesteckten Ziele zu verwirklichen. Manchmal müssen wir uns eingestehen, dass die Ziele, die wir uns selbst gesetzt haben, unrealistisch und von uns nicht zu erreichen sind.

In unserer Leistungsgesellschaft ist es jedoch besonders schwer, sich selbst und den anderen solches Scheitern, das doch eigentlich zum Leben dazu gehört, einzugestehen. Denn in unserer Gesellschaft herrscht das Bild vor, dass jeder im Prinzip alles erreichen kann, wenn er sich nur genügend anstrengt. Misslingt uns etwas, dann wird uns allein die Schuld daran gegeben. Wenn unsere Ehe scheitert, dann bekommen wir zu hören, dass wir eben die falsche Entscheidung für den falschen Ehepartner getroffen haben. Und wenn wir nach dem Studium keine Arbeit bekommen, dann haben wir das falsche Fach gewählt oder nicht gut genug gelernt. So reden und spotten dann die Leute. Und bei uns verstärken sich die Gefühle schuldhaften Versagens, die wir ohnehin schon haben.

Verständlicherweise tun wir daher vieles, um die Schattenseiten unseres Lebens vor uns selbst und vor den anderen zu verbergen. Wir haben Angst um unser Image. Um das Bild, das wir von uns selbst haben und das die anderen von uns haben sollen.

Die Angst ums eigene Image treibt – glaube ich – jeden und jede von uns mehr oder minder stark. Nicht nur, wenn wir mit dem eigenen Scheitern fertig werden müssen, sondern auch dann, wenn es uns gerade wohl ergeht in Beruf und Beziehung. Ich jedenfalls muss mich manchmal dabei ertappen, wie mich die Angst treibt, nicht im rechten Licht gesehen zu werden. Die Angst also, zu kurz zu kommen im Ansehen der Leute. Von solcher Angst getrieben fangen wir dann an, unser Image aufzupolieren. Das geschieht oft subtil und ohne böse Absicht. Wir stellen uns einfach besonders gut dar, setzen uns vor anderen in Szene durch unsere Gestik und Mimik, betonen die eigenen Kenntnisse oder geben ein wenig an mit eigenem Erfolg. Manchmal setzen wir uns sogar bewusst auf Kosten anderer in Szene. Indem wir ihnen die erforderliche Anerkennung, das freundliche Wort, das jeder Mensch zum Leben braucht, vorenthalten. Oder indem wir sie herabsetzen, um uns groß zu machen. „Sünde“ nennt die Bibel diesen Sachverhalt. Nach dem Verständnis des Johannes sind jedoch alle Menschen Sünder. Denn alle Menschen versuchen in ihrer Angst, dass ihr Scheitern erkannt wird oder dass sie schlicht zu kurz kommen, sich selbst auf Kosten anderer ins rechte Licht zu rücken und so die Aufmerksamkeit und Anerkennung zu bekommen, derer wir alle bedürfen. Der Unterschied ist nur, dass wir in der Kirche zu denen gehören, die immerhin wissen, dass sie Sünder und Sünderinnen sind. „Wenn wir jedoch sagen, wir haben keine Sünde, so betrügen wir uns selbst“, stellt Johannes in seinem Brief nüchtern fest.

Aber woher nehmen wir die Kraft zu diesem Realismus? – Gott gibt uns diese Kraft. Wenn wir ins Rampenlicht der Öffentlichkeit treten, sind wir bemüht, unsere Schattenseiten zu verbergen. Vor Gott müssen wir das jedoch nicht. Und es ist doch sein Licht, von dem wir letztlich leben. Dieses göttliche Licht hat zwar Ähnlichkeiten mit der Sonne, aber es nicht die Sonne. Denn die Sonne wärmt nicht nur und scheint freundlich auf uns, sie kann uns auch verbrennen und vernichten. Gottes Licht verbrennt uns jedoch nicht. Sein Licht ist das Licht der Auferstehung, das Osterlicht. Was das für unser Leben bedeutet, wird in dieser Kirche sinnenfällig erfahrbar: Wie jede Kirche ist sie nach Osten ausgerichtet. Von dort fällt das Morgenlicht in den Kirchraum. Es bündelt sich jedoch im Bild des Gekreuzigten und Auferstandenen hier vorne am Taufbecken. Christus, der Sohn Gottes, schaut liebevoll auf uns. Seiner Liebe vertrauen wir uns an, wenn wir uns hier versammeln. Vor ihm müssen wir nichts verbergen, weil er selbst in die Schattenseiten unseres Lebens hinab gestiegen ist und sich ihnen gestellt hat. Gott weiß um unsere Unzulänglichkeiten und um unser Scheitern. Auch unser moralisches Versagen, das wir bei allem guten Willen nie vermeiden können, kennt er besser als wir selbst. Er kennt das alles, er hat es bis in die letzte Konsequenz erlitten - und trotzdem sagt er uns nicht die Treue auf.

Vor Gott müssen wir uns daher auch nicht ins rechte Licht rücken. Vielmehr rückt er uns ins rechte Licht. So wie es Schatten erst dort gibt, wo Licht ist, so können wir uns den Schattenseiten unseres Lebens im Lichte seiner Liebe stellen. In ihm finden wir ein annehmendes Gegenüber, das uns bejaht mit unseren Fähigkeiten und Stärken, aber auch mit unseren Fehlern und Schwächen, unserem Scheitern und Versagen. In Gottes Liebe sind wir umfassend geborgen und gehalten. Und im Licht seiner Liebe können auch wir liebevoll auf das schauen, was uns gar nicht liegt, was unserem Bild von uns selbst so ganz und gar widerspricht. Vor allem können wir uns selbst mit unserem Scheitern, mit den Brüchen unserer Biographie und auch mit unserer Schuld versöhnen. Wir können uns vergeben, weil wir mit ganzem Herzen daran glauben, dass Gott uns vergeben hat.

Nein, wir sind keine heldenhaften Lichtgestalten. Aber wir sind Kinder des Lichts, die darauf vertrauen dürfen, dass sie von Gott bedingungslos angenommen sind. Und weil wir darauf vertrauen, dass Gott und liebt, können wir uns einen versöhnlichen und zugleich realistischen Blick auf uns selbst gestatten.

Das Bewusstsein, im Licht von Gottes Liebe zu leben, hat dann auch Konsequenzen für das Leben von uns Christen und Christinnen untereinander. Wer Gott vertraut, so schreibt Johannes, der achtet auch seine Gebote. Das heißt in unserem Zusammenhang: Wer sich selbst im Licht von Gottes Güte geborgen weiß, der muss nicht dauernd Imagepflege betreiben. Damit meine ich nicht, dass wir vor den Menschen all unsere Verletzlichkeiten preisgeben sollen. Menschen gehen nie nur gut und liebevoll miteinander um, und so ist es auch wichtig, sich manchmal vor ihnen zu schützen und sich keine allzu große Blöße zu geben. Wer darauf vertraut, dass Gott ihn liebt, kann sich jedoch zumindest ein Stück weit unabhängig machen, von dem was andere Menschen von ihm denken. Er muss sich nicht ständig um sich drehen und darüber nachdenken, was die anderen wohl von ihm halten und wie er ihre Aufmerksamkeit und Anerkennung erringen kann. Vor allem bekommt er die nötige Gelassenheit, die er braucht, um liebevoll am Image der anderen mitzuwirken. Wer sich von Gott bejaht weiß, der muss sich nicht groß machen auf Kosten anderer. Er kann vielmehr andere groß machen. Er kann ihnen Achtung schenken, ihnen die notwendige liebevolle Aufmerksamkeit und Anerkennung zuteil werden lassen, die sie zum Leben brauchen.

Auf diese Weise tragen wir das Licht Gottes in die Welt hinaus. Wir lassen andere Menschen die Liebe, die Wärme und Freundlichkeit erfahren, von der wir leben, und die auch sie so nötig haben. Wir werden so zum Licht der Welt.

Dazu helfe uns Gott, – heute und an jedem neuen Tag.

Amen

Tanja Schmidt
Tanja.Schmidt@ruhr-uni-bochum.de

 


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