Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: C. Dinkel und I. Karle

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Predigtreihe in der Evangelischen Schlosskirche der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Bonn zum Thema "Weltmeisterschaft", 2006
3. Sonntag nach Trinitatis, 2. Juli 2006
Predigt zu 1. Johannes 1,5 - 2,6, verfasst von Hartmut Löwe
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


1. Völlig selbstverständlich ist hier von Gott die Rede, ohne Wenn und Aber, geradezu jubelnd, nur positiv. Nichts von Gottesfinsternis und Gotteskrise, nichts von Gottvergessenheit und Gottesblindheit. Johannes schreibt: "Gott ist Licht, und in ihm ist keine Finsternis." Er faßt damit die Botschaft Jesu in einem Satz zusammen.

In der Tat, das war die Erfahrung der Jünger mit ihrem Meister. Wo er hinkam, wichen die dunklen Wolken, die sich vor die Sonne geschoben hatten. Wenn er sprach, blieb Gott nicht stumm und fern und fremd. Wen er anrührte, war nicht länger krank und hoffnungslos.

Für uns ist Gott immer wieder ein dunkles Wort, eine Last der Gedanken und eine Anstrengung des Herzens. Für uns ist Gott immer wieder unbegreiflich und rätselhaft. Er läßt, so scheint es, das Böse gewähren und wehrt den Kriegen nicht. Er läßt die Armen darben, während sich die Tische der Reichen biegen. Er bricht das Leben junger Menschen jäh ab und läßt die Alten, die gehen wollen, nicht sterben. Er läßt Naturkatastrophen geschehen, die nicht unterscheiden zwischen Gerechten und Ungerechten. In Auschwitz hat Benedikt XVI. ratlos geklagt: Wo warst du, Gott, als deine Kinder ins Gas getrieben wurden; wo bist du, dessen Name heilig heißt und gerecht?

Johannes sagt: Ihr dürft nicht auf diesen dunklen Gott starren. Ihr müßt blicken auf den Gott, den Jesus offenbar gemacht hat: Der auf den verlorenen Sohn wartet, ihm entgegenkommt, mit ihm ein Fest feiert; der dem gibt, der bittet; den finden läßt, der sucht; dem auftut, der anklopft; der Lazarus aus dem Grabe ruft, Wasser in Wein verwandelt, die Blinden heilt. Dieser Gott Jesu ist Licht, in ihm ist keine Finsternis.

Ihr müßt unterscheiden, sagt Johannes. Der verborgene Gott, den ihr nicht versteht, der im Dunkel wohnt, der Schrecken verbreitet und Furcht; geht euch nichts an. An dem Gott, der sich für jedes Unglück zuständig erklärt - "Ist etwa ein Unglück in der Stadt, das der Herr nicht tut?", heißt es bei Amos (3,6) - könnt ihr nur scheitern. Der frißt zuerst euren Glauben und dann euch selber auf Der zieht euch den Boden unter den Füßen weg, legt sich wie Mehltau auf euer Gemüt, verwirrt euer Denken und Handeln. Ihr sollt dem offenbaren Gott vertrauen, euch nicht mit dem verborgenen abquälen, ihr sollt dem Gott Jesu Glauben schenken: der Licht ist, in ihm ist keine Finsternis.

Wer Terror gebietet, zu Kreuzzügen aufruft, Flugzeuge in Bomben umfunktioniert, sich Menschenopfer gefallen läßt, rachsüchtig die Verfehlungen der Menschen straft - der ist eine Fratze Gottes, ein Gott der Finsternis. Mein Gott und euer Gott, mein Vater und euer Vater, sagt Jesus, hat mit diesem Abgott nichts zu tun. Er ist nur und ausschließlich "ein Backofen voller Liebe". (Luther)

Und die Passion Jesu, das namenlose Leid in der Menschheitsgeschichte, die Konzentrationslager und Gaskammern? Da stoßen Glaube und Vernunft an unübersteigbare Mauem, da ist das Gute verborgen unter dem Bösen, die Liebe unter dem Zorn, das Licht in der Finsternis. Schon der Beter des Alten Testaments weiß:

Spräche ich: Finsternis möge mich
decken und Nacht statt Licht um
mich sein -,
so wäre auch Finsternis nicht finster bei
dir, und die Nacht leuchtete wie der
Tag.
Finsternis ist wie das Licht.
(Psalm 139,11f)

2. Seit Gott sprach: Es werde Licht!, kündigt das Licht an jedem Morgen einen neuen Tag an. Das hat sich auch in den Zeiten der künstlichen Sterne und Sonnen nicht geändert. Diese hindern nur die Menschen, den ehernen Rhythmus wahrzunehmen. Das Licht des Morgens vertreibt heute wie einst die Dunkelheit der Nacht, richtet uns aus auf Neues, verheißt Zukunft. Jeder neue Morgen ist eine Erinnerung an den ersten Tag der Schöpfung, als Gott das Licht ins Dasein rief, indem er das Licht von der Finsternis schied. Weil Gott Licht ist und Licht schafft, stehen wir Menschen immer wieder am Anfang eines neuen Morgens.

Wenn es hell wird, sehen die Augen, was am Tage ist. Licht klärt auf, schafft Klarheit. Das Lied der Kirche singt: "Zünd uns ein Licht an im Verstand." (EG 126,3) Gott will eine unverstellte Sicht auf die Dinge, er befördert Erkenntnis und hindert sie nicht. Dunkelmänner können sich nicht auf den Gott der Bibel berufen. Gott selbst ist die innere Kraft einer das Dunkel erhellenden Aufklärung, er will den Ausgang des Menschen aus der vom Zwielicht der Sünde verschuldeten Unmündigkeit.

Weil die europäische Aufklärung auch die dunklen Seiten der Religionen aufgedeckt hat, haben viele lange Zeit gemeint, die Vernunft sei dem Glauben feind, Religion sei ein Relikt aus den Zeiten der Unwissenheit. Das Gegenteil ist richtig. Seit den Anfangen des Christentums und in seinen großen Zeiten stand stets der Glaube im Bund mit der Vernunft gegen Aberglauben und Unwissenheit. Wohin das Christentum kam, gründete es Schulen und brachte die Kenntnis des Lesens und Schreibens unter die Leute. Klöster waren Pflanzstätten der Wissenschaft, nicht nur der Frömmigkeit. Der Glaube der Christenheit verträgt keine Scheuklappen, hält nicht in Traditionen gefangen, verhilft dem homo incurvatus in seipsum zum aufrechten Gang. Er gibt den Blick frei auf die faszinierenden Möglichkeiten des menschlichen Geistes, freilich auch auf seine Fehlbarkeit, seine Verführbarkeit, seine Endlichkeit, seine Grenzen.

Die erste Aufklärung hatte sich gegen die Irrtümer und Borniertheiten der Religion gewandt. Mittlerweile aber sind die Maßlosigkeiten und Allmachtsphantasien mancher Wissenschaften zu einer nicht geringeren Gefährdung der Schöpfung und des Menschen geworden. Nötig ist deshalb in dieser Situation eine neue, eine zweite Aufklärung, ein erneuertes Bündnis von Glaube und Vernunft unter den veränderten Bedingungen einer Zeitenwende, der Ausgang des Menschen aus den Fesseln einer bloß technischen Vernunft. Nötig ist eine neue Bescheidung, das Gewinnen neuer Maßstäbe, ein neuer Geschmack für Ehrfurcht und Demut, eine neue Wahrnehmung des Gottes Jesu Christi. Die Frage darf nicht mehr nur heißen: was alles kann und will ich tun?, die Frage muß auch heißen: was muß ich lassen, was bekommt der Menschheit nicht?

3. Gott, der Licht ist, verbreitet Klarheit. Er bringt Klarheit auch in unsere Lebensführung. Er wehrt dem Selbstbetrug, als sei mit uns alles in Ordnung. Johannes schreibt:

"Wenn wir sagen, wir haben keine Sünde, so betrügen wir uns selbst, und die Wahrheit ist nicht in uns. Wenn wir aber unsere Sünde bekennen, so ist er treu und gerecht, daß er uns die Sünden vergibt und reinigt uns von aller Ungerechtigkeit." (1,8f)

Das Wort Sünde wird inzwischen sogar von Theologen verschwiegen. Zu mächtig waren die Angriffe einer religionsfeindlichen Psychoanalyse, zu verschämt ist der Wille zur Selbstbehauptung einer ängstlich gewordenen Theologie. Aber wer christlich vom Menschen reden will und in ihm nicht mehr den Sünder sehen kann, spricht harmlos von ihm, oberflächlich, banal.

Da liegt ein Jahrhundert mit unvorstellbaren, von Menschen ins Werk gesetzten Greueln hinter uns und man macht uns weiß, der Mensch sei, alles in allem, in Ordnung, zwar mit einigen Unvollkommenheiten ausgestattet, im ganzen aber recht passabel, ja eigentlich sogar gut. Nein, meine Freunde, die Alten haben tiefer geblickt, wenn sie die Bosheit des Herzens gesehen haben, die immer wieder Böses heckt. Wir Menschen sind seltsam zwielichtige Wesen: vom Guten und Schönen und Wahren angezogen, gleichzeitig aber voller Gier und Haß und Niedertracht. "Wenn wir sagen, wir haben keine Sünde, so betrügen wir uns selbst, und die Wahrheit ist nicht in uns."

Damit fängt der aufrechte Gang des Menschen an, daß er nicht länger den Buckel der Sünde leugnet, den er mit sich herumschleppt, daß er aller Verharmlosung und Schönrednerei seines Wesens widerspricht. Das freilich ist erst der Anfang, nicht einmal die Hälfte des Christentums. Vielleicht sogar ist die Einsicht in unsere Verlorenheit und Sündhaftigkeit, unsere Gottesferne erst möglich, wenn wir an den Gott glauben können, der das Bekenntnis unserer Sünden hört und zu uns spricht: Ego te absolvo, dir sind deine Sünden vergeben.

Der christliche Glaube ist ja nicht verliebt ins Negative, er kokettiert nicht mit den dunklen Seiten des Menschen. Denn er kennt einen Gott, der gerecht ist und gnädig, der uns unsere Sünde nicht durchgehen läßt, sie aber zugleich vergibt, der uns zurechtbringt, ins Leben hilft.

Die Größe des Menschen wird erst wirklich deutlich, wenn sein Elend nicht mehr geleugnet wird; Größe und Elend bedingen sich gegenseitig, sind nur in dieser Verschränkung wahr. Vielleicht drückt der Hymnus der Osternacht die Wahrheit des Glaubens am tiefsten aus, wenn er singt: ,,0 selige Schuld Adams, die eines solchen Erlösers gewürdigt wurde."

Vergebung ist nicht, wie Voltaire gespottet hat, Gottes métier. Solcher Spott verkennt die Erbärmlichkeit von uns Menschen und die Heiligkeit Gottes in gleicher Weise. Gott will nicht, daß der Sünder Sünder bleibt. Er hat ihm deshalb seinen Willen kundgetan, seine Gebote gegeben. Die sind nicht nur Ratschläge, mit denen wir nach eigenem Gutdünken schalten und walten können. Sie wollen ernst genommen, getan werden:

"Wer sagt: Ich kenne ihn, und hält seine Gebote nicht, der ist ein Lügner, und in dem ist die Wahrheit nicht ... Wer sagt, daß er in ihm bleibt, der soll auch leben, wie er gelebt hat."(2,4.6)

Wenn viele Zeitgenossen für Gott blind geworden sind und ihn aus den Augen verloren haben, dann liegt das auch daran, daß die, die Kinder Gottes, Kinder des Lichts sein sollen, so Gebote-vergessen leben, von Güte, Gerechtigkeit und Wahrhaftigkeit kaum etwas spüren lassen, stehlen, falsch Zeugnis reden, ehebrechen wie jedermann und jedefrau. Wer dem Licht begegnet ist und weiter in der Finsternis lebt, der begibt sich in einen Selbstwiderspruch, dementiert den, an den er vorgibt zu glauben, fängt nach geschehener Vergebung erneut einen Flirt mit der Sünde an.

Wir Christen leben zu sehr im Zwielicht, so daß es den Menschen schwerfällt, an den Gott zu glauben, der Licht ist, in dem keine Finsternis ist.

Die Werk der Finsternis sind grob
und dienen nicht zu deinem Lob;
die Werk des Lichtes scheinen klar,
dein Ehr sie machen offenbar. (EG 441,6)

4. Johannes faßt die Botschaft Jesu in dem Satz zusammen: "Gott ist Licht, und in ihm ist keine Finsternis."

Wir haben den Satz hin und her gewendet, die Wohltaten des Lichts bedacht, das die Nacht vertreibt, Gerechten wie Ungerechten einen neuen Tag bringt, die Wahrheit Gottes offenbar macht, uns aufklärt über Weg und Ziel und Sinn unseres Lebens, Klarheit in unser Leben bringt, aus Sündern Kinder des Lichts macht.

Wer jedoch direkt ins Licht blickt, wird geblendet. Die Lichtfülle Gottes verbietet es, ihn vollständig zu erfassen, ihm, bildlich gesprochen, in die Augen zu sehen. Dafür sind unsere Augen nicht gemacht, daran werden sie zuschanden.

Wir können immer nur einzelne Strahlen des göttlichen Lichts auffangen, nie die überwältigende Lichtfülle, die Gott in Wahrheit ist. Deshalb wissen wir auf viele Fragen keine Antworten, sind wir oft genug auch in den Dingen des Glaubens ratlos. Aber der, der anfängt zu glauben, wird hineingenommen in eine Bewegung von der Nacht zum Tag, von der Finsternis ins Licht, vom Dunkel ins Helle, von der Verborgenheit zur Klarheit. Einmal, am Ende, wird es für ihn keine Gottesfinsternis mehr geben und keine Gottesblindheit, kein Fragen und Verstummen. Dann schaut, der jetzt glaubt, von Angesicht zu Angesicht die Klarheit Gottes, die Fülle des Lichts - wie Jesus, unser Bruder und Herr.

Amen

Bischof em. Dr. Hartmut Löwe
Zuschriften über: r.schmidt-rost@uni-bonn.de


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