Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: C. Dinkel und I. Karle

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5. Sonntag nach Trinitatis, 16. Juli 2006
Predigt zu Genesis 12, 1-4a, verfasst von Frank Fuchs
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


1 Und der HERR sprach zu Abram: Geh aus deinem Vaterland und von deiner Verwandtschaft und aus deines Vaters Hause in ein Land, das ich dir zeigen will.
2 Und ich will dich zum großen Volk machen und will dich segnen und dir einen großen Namen machen, und du sollst ein Segen sein.
3 Ich will segnen, die dich segnen, und verfluchen, die dich verfluchen; und in dir sollen gesegnet werden alle Geschlechter auf Erden.
4 Da zog Abram aus, wie der HERR zu ihm gesagt hatte, und Lot zog mit ihm.

Liebe Gemeinde!

Im letzten Jahr sind ca. 145 000 Deutsche ausgewandert. Das war die höchste Abwanderung seit 1950, wie das Statistische Bundesamt vor einer Woche bekannt gab. Immer mehr Menschen scheinen Deutschland den Rücken kehren zu wollen. Viele Talente zieht es ins Ausland. Deshalb schlagen Migrationsforscher Alarm. Die Wirtschaftszeitschrift „manager“ hat als Aufmacher für ihre Juliausgabe den Titel: „Deutschland blutet aus. Warum mehr Talente auswandern als je zuvor“.

Ein Grund dafür ist sicherlich die wirtschaftlich schwierige Situation mit vielen Arbeitslosen. Meistens gehen talentierte Arbeitskräfte, die auch im Ausland eine Chance haben. Es gehen Handwerker genauso wie IT-Fachleute, Arbeiter genauso wie Wissenschaftler.

Fast jeder hat in seinem Leben schon einmal über Auswanderung nachgedacht. Ubi bene, ibi patria. Sagt der Lateiner. Wo es dir gut geht, da ist deine Heimat. Wer sich ein besseres Leben erhofft, der ist auch bereit, in ein anderes Land zu ziehen. Heute spricht man gern von Arbeitsnomaden, die dorthin ziehen, wo sie Arbeit finden.

Die Nachricht von der höchsten Auswanderung von Deutschen scheint so gar nicht zu passen in die Euphorie und Feierstimmung während der Fußball Weltmeisterschaft, die am vergangenen Sonntag mit dem Titelgewinn Italiens zu Ende ging. Auch die deutsche Nationalmannschaft konnte sich erhobenen Hauptes mit dem Gewinn des 3. Platzes verabschieden, der fast wie der Gewinn der Weltmeisterschaft gefeiert wurde. Nicht nur deutsche, sondern auch viele ausländische Politiker lobten die große Gastfreundschaft und den unverkrampften Umgang der Deutschen zu ihrem Land, der sich während der Weltmeisterschaft in einem Schwarz-Rot-Goldenen Fahnenmeer manifestiert hatte. Auf die Euphorie folgt aber meistens die Ernüchterung. Das Rauschhafte des Festes geht zu Ende und es folgt der Kater des Alltags. Die eher wenig erfreuliche Tagespolitik erhält wieder größere Aufmerksamkeit.

Der heutige Predigttext scheint geradezu für Auswanderer prädestiniert zu sein.
Geh aus deinem Vaterland und von deiner Verwandtschaft und aus deines Vaters Haus. Diese Worte können zum Aufbruch ermutigen.

So war dieser Text ursprünglich für einen Auswanderer, nämlich Abram oder besser Abraham, wie er später genannt wurde, bestimmt. Als sein Vater Terach gestorben war, erhielt Abraham den Auftrag, sich wieder auf den Weg zu machen. Dies ist verbunden mit einer großen Verheißung. Dem Abraham wird versprochen, dass er einen großen Namen haben wird. Damit ist gemeint, dass ihm Ruhm und Ehre zuteil werden. Tatsächlich erlangte er großen Reichtum für die die damaligen Verhältnisse. Er kam in den Besitz einer großen Herde von Schafen und Rindern und hatte die dazugehörigen Hirten angestellt.

Immer wieder gibt es Auswanderer, die sich einen großen Namen machen bzw. denen eine beachtliche Karriere gelingt. In der Bibel ist es im 1. Buch Mose ein Nachfahre Abrahams, Joseph, der zum 2. Mann von Ägypten aufsteigt und dem es so gelingt, seine Familie vor der Hungersnot zu retten.

Auch in Amerika gab es manche große Karriere von Einwanderern. Henry Kissinger etwa gelang der Weg vom verfolgten deutschen Juden hin zum 2. Mann im Staat. In den 70er Jahren war er amerikanischer Außenminister unter den Präsidenten Nixon und Ford. Oder Arnold Schwarzenegger wanderte aus Österreich nach Amerika aus und wurde zunächst ein gefeierter Filmstar und hat es inzwischen zum Gouverneur von Kalifornien gebracht. Der Franzose Nicolas Sarkozy ist zwar nicht ausgewandert, doch ist er der Sohn eines Auswanderers. Sein Vater kam in den 50er Jahren nach Frankreich, als er aus dem kommunistischen Ungarn floh. Sarkozy ist Vorsitzender der UMP und Minister für Wirtschaft und Finanzen in Frankreich. Es könnte sogar sein, dass der ungarnstämmige Sarkozy Präsidentschaftskandidat seiner Partei und schließlich Präsident von Frankreich wird. Jedenfalls ist das sein Ziel.

Solche Erfolgsgeschichten dürfen aber nicht vergessen lassen, dass sich viele Träume von Auswanderern nicht erfüllt haben. Im 19. Jahrhundert wanderten viele Menschen aus Deutschland wegen der mit der Industrialisierung verbundenen sozialen Schwierigkeiten ins „Gelobte Land“ Amerika aus. Viele schätzten auch die große Freiheit jenseits des Atlantiks sehr. Nach dem 2. Weltkrieg lag Deutschland wirtschaftlich am Boden und viele versuchten ihr Glück in Übersee. Es dauerte aber bei den meisten viele Jahre bis sie sich in ihrer neuen Umgebung eingelebt und ein zufriedenstellendes Auskommen erwirtschaftet haben.

Viele sagen heute lapidar den Satz. „Dann wandere ich eben aus.“ Dies sagte zum Beispiel jemand aus Enttäuschung, weil die neue Gesundheitsreform wiederum mit einer Erhöhung der Beiträge einhergeht. Ein solcher Satz zeigt, wie groß die gesellschaftliche Unzufriedenheit ist. Nach einer Studie der Beratungsfirma McKinsey aus dem Juni denken inzwischen 56 Prozent der Studierenden darüber nach auszuwandern. Es gibt inzwischen aber auch Handwerker und Arbeiter, die eine neue Bleibe in Skandinavien, der Schweiz oder Groß-Britannien gefunden haben. Die wenigsten wandern gerne aus. Auswanderung ist immer auch schmerzhaft, weil man die Familie und Freunde verlassen muss.

Auch für Abraham war es kein leichter Weg. Sicherlich war es erleichternd für ihn, dass er seine Familie mitnehmen konnte. Aber Abraham brauchte vor seinem Aufbruch ins Ungewisse keine Angst zu haben. Entscheidend war nämlich, dass er an Gott glaubte. (1. Mose 15,6; Röm 4,3). Gegen allen Augenschein setzt er auf Gottes Zusage, dass es ein guter Weg sein würde. Er brauchte also nicht einmal großen Mut dafür aufzubringen, um sich auf den Weg zu machen. Er glaubte an Gottes Verheißung, die darin bestand, dass Abraham Nachkommen bekommen sollte, die ihm bisher versagt waren, weil seine Frau Sara keine Kinder haben konnte. Aber ihm wird noch mehr verheißen: Du sollst ein Segen sein. Abraham wird gesegnet und durch ihn sollen auch die Menschen, die zu ihm gehören, den Segen Gottes erfahren. Abraham konnte sich mit der Gewissheit auf den Weg machen, dass seine Träume in Erfüllung gehen würden. Obwohl er nicht mehr jung war, stand ihm noch eine große Zukunft bevor.

Aber das ist noch nicht alles: Durch ihn sollen gesegnet werden alle Geschlechter auf Erden. Abraham bekommt die größte Verheißung mit auf den Weg, die einem Menschen gegeben werden kann. In seinen Segen sind auch die Menschen eingeschlossen, die nach ihm kamen. In diesen Segen sind die Juden und Christen eingeschlossen, die in Abraham den „Vater des Glaubens“ sehen. Und auch zu den Muslimen besteht hier eine Verbindung, weil sie sich zu Abraham als ihrem Erzvater bekennen.

Du sollst ein Segen sein. Das gilt nicht deshalb, weil Abraham sich auf den Weg macht, damit es ihm wirtschaftlich besser geht, sondern das gilt deshalb, weil Gott ihn mit seinem Segen auf den Weg schickt.

Du sollst ein Segen sein. Es ist ein Wort, das allen gelten kann, die in eine bessere Zukunft aufbrechen wollen. Du sollst ein Segen sein. Weil du in dem Bewusstsein aufbrechen sollst, dass Gott dich begleitet. In seinem Segen sollst du handeln und so wirst auch du ein Segen für andere Menschen sein. Du sollst nicht einfach auf deine eigene Kraft und deinen eigenen Mut vertrauen, obwohl das sicherlich auch wichtig im Leben ist, sondern du sollst zuallererst auf Gott vertrauen.

Eine Auswanderung stellt einen riesigen Einschnitt im Leben dar. Es handelt sich um einen Aufbruch, der den meisten Menschen eher schwer fällt. Das Wort an Abraham kann aber auch für die kleinen Aufbrüche im Leben gelten. Ein Aufbruch kann ein Umzug oder eine neue Arbeitsstelle oder einfach nur ein neues Projekt sein, für das man sich einsetzen möchte. Und dazu gehört für mich auch die Frage, wie ich ein Segen für andere sein kann, für meine Familie, für Freunde, für die Menschen, die mich brauchen – für die Menschen in meinem Lebensumfeld und darüber hinaus. Und auch diejenigen, die wirklich auswandern, sollten sich genauso überlegen, wie sie in ihrem neuen Land ein Segen sein können, nicht nur für sich, sondern auch für andere.

In diesen Tagen brechen viele Menschen in die Ferien auf. Wie Abraham packen sie ihre sieben Sachen ein und machen sich auf den Weg. Auch der Urlaub kann nicht nur für einen selbst ein Segen sein, sondern auch für die beteiligten Menschen. Freunde, die gemeinsam wegfahren, schöpfen neue Kraft, indem sie sich über vieles austauschen. Familien erholen sich nicht nur körperlich, sondern auch seelisch, indem sie gemeinsam etwas erleben und über Dinge reden können, wofür sonst keine Zeit ist. Auch Ehepartner können von neuem zusammenfinden, indem sie mehr Zeit füreinander haben als sonst. Du sollst ein Segen sein. Dieses Wort gibt Gott uns mit auf den Weg. Wir können ein Segen sein – für uns selbst und für andere.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

Anmerkung: In Hessen, Rheinland-Pfalz und dem Saarland beginnen an diesem Wochenende die Sommerferien. In Bremen, Niedersachsen und Thüringen beginnen sie am darauffolgenden Mittwoch.

Pfarrer Dr. Frank Fuchs
Evangelische Kirchengemeinde Babenhausen / Hessen
Fahrstraße 43
64832 Babenhausen
Email: PfarrerBabenhausenHarreshausen@t-online.de


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