Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, J. Neukirch, C. Dinkel, I. Karle

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5. Sonntag nach Trinitatis, 16. Juli 2006
Predigt zu Matthäus 16, 13-26, verfasst von Kirsten Bøggild (Dänemark)
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


(Text der dänischen Perikopenordnung)

WIDERSPRÜCHE

Als Jesus die Jünger fragt, wer sie glaubten, dass er sei, antwortet Petrus voller Begeisterung: Du bist Christus, des lebendigen Gottes Sohn. Es ist die Begeisterung dessen, der sich soeben verliebt hat. Ein hingerissener Jubel. Als der einzige unter den Jüngern tritt Petrus vor und beantwortet die Frage. Es ist, wie wenn diese Antwort lange Zeit unterwegs gewesen ist. Als ob sie in seinem Unterbewusstsein ihr verborgenes stummes Leben gelebt hat in all der Zeit, in der sie zusammen gewandert sind. Jetzt bricht sie hervor, wie ein Vogel aus seinem Vogelbauer. Wie eine Liebe aus ihrem Schlaf. Er gebraucht keine Umwege und vorbereitenden Erklärungen. Die Antwort kommt augenblicklich, wie eine Explosion. Endlich kann er das sagen, was er lange geahnt, sich aber nie ganz klar gemacht hat. Aus Furcht vor den Folgen, vielleicht. Aus Angst vor seinen eigenen unfasslichen Gedanken. Jetzt, wo die Frage ihn offen und direkt trifft, hat er die Möglichkeit zu sagen, was er glaubt, und da tut er es! Zu seiner eigenen Freude und von Jesus bestätigt. So groß und unfasslich ist der Glaube, dass er nicht von Petrus selbst gekommen ist, sondern von Gott. offenbart für seinen inneren Blick. Wie eine göttliche Inspiration ist der Glaube in ihm gewachsen, und jetzt ist er zu einem öffentlichen Bekenntnis geworden, weil da einer ist, der ihn fragt. Nein, nicht irgend jemand, sondern Jesus selbst, der, auf den die Frage sich bezieht. Es ist eine höchst persönliche Frage: Wer glaubst du, dass ich bin? Die Antwort wird ihr künftiges gegenseitiges Verhältnis entscheiden, ob sie sich trennen oder einander folgen sollen. Ob sie einander verstehen, ob sie einander lieben?

Petrus’ Antwort ist kurz und klar. Aber was bedeutet sie? Es zeigt sich später, dass sie nicht das bedeutet, was Jesus selbst in sie legt. Denn Petrus legt seine eigenen Träume in das, was er sagt. Er spricht wie ein Verliebter von den Vorstellungen und Einbildungen seiner eigenen Verliebtheit. Es ist nicht nur eine göttliche Offenbarung, es ist auch Petrus’ eigene Auslegung, und diese Auslegung ist höchst eigensinnig. Dass Jesus Christus ist, Gottes Wahrheit, ist für Petrus die Erwartung einer großen und mächtigen Zukunft. Ein Versprechen, dass ein Glückstraum in Erfüllung geht. Er sieht in der Überzeugung, dass Jesus Gottes Sohn ist, eine Vorstellung, dass das Leben jetzt die Form annehmen wird, nach der er sich selbst gesehnt hat. Er glaubt an ein Schicksal, das sich nach seinen eigenen Vorstellungen gestaltet. Dass, wenn Jesus Gottes Sohn ist, er auch die Macht hat, das Reich Gottes auf Erden zu schaffen, und das Reich Gottes ist für Petrus noch dasselbe wie sein eigener menschlicher Traum von einem glücklichen Leben auf Erden. Von einem Leben, das ihm niemand und nichts nehmen kann, weil Gott selbst der Garant dafür ist, dass es kommen wird. Er verbindet Jesus mit der Macht, das Dasein so zu machen, wie Petrus es sich wünscht, ein Dasein nach seinen eigenen Vorstellungen und Einbildungen. Wie ein ekstatisch Liebender an ein glückliches Leben in unveränderter Liebe glaubt. Der sich noch nicht vorstellt, dass etwas den Traum, der in ihm erwacht ist, bedrohen oder zerstören könnte. Er hat sich in einen Jesus verliebt, der nicht existiert. Jesus ist nicht der, für den er ihn hält. Aber das weiß er noch nicht. Denn noch lebt er voll und ganz in der Welt seiner eigenen Einbildung. Wie wir es alle immer wieder tun – vielleicht die meiste Zeit unseres Lebens? Vielleicht nur in ekstatischen Durchbrüchen? In der Einbildung, dass die Welt so werden wird, wie wir sie haben wollen?

Nachdem es klar geworden ist, dass Jesus Christus ist, verbietet Jesus den Jüngern, es weiterzusagen. Das scheint verwunderlich. Denn warum verbietet er es? Dem Schweigegebot begegnen wir oft in den Evangelien. Aber warum auch hier? Ist es eine Ankündigung, dass da etwas ist, was sie nicht verstanden haben? Dass Jesus nicht der Glücksmensch ist, den sie sich vorstellen, und also ihnen und der Welt auch nicht das geben kann oder will, was sie sich wünschen? Dass sie nicht etwas verbreiten sollen, was nicht Stich hält? Wie so oft begegnen wir dem Verbot, über ihn als Christus zu sprechen, ohne weitere Begründung. Aber einer der Gründe könnte vielleicht der sein, dass nichts Falsches erzählt, keine falschen Hoffnungen geweckt werden sollen. Solange sie nicht wissen, was der Christus-Name bedeutet, sollen sie ihn nicht in der Öffentlichkeit mit diesem Namen in Verbindung bringen. Denn das würde nur zu Enttäuschung und Zorn führen, nicht aber zu Glauben und Hoffnung. Er ist ja nicht der König, der kommt und ihnen das Reich des Glücks schenkt, von dem sie träumen. Er ist nicht machtvoll und erfolgreich im menschlichen Sinne.

Im Gegenteil. Seine Zukunft ist kein menschlicher Glückstraum wie der des Petrus, sondern Leiden und Tod. Verurteilung und Hinrichtung. Auferstehung durch das Eingreifen Gottes, nicht durch das Eingreifen von Menschen, nicht durch eigenes Eingreifen. Er sieht dem in die Augen. Er akzeptiert sein Schicksal. Dass er Christus ist, hat einen anderen Inhalt, als die Jünger ahnen. Es bedeutet nicht, Macht über das Dasein zu haben, so dass es sich so gestaltet, wie man es selbst gern haben möchte, für sich selbst und für die Seinigen. Nein, es bedeutet, sich seinem Schicksal, dem Willen Gottes zu beugen. Denn Gott ist Herr. Weil Gott das Recht hat, über sein Schicksal zu bestimmen. Weil Gott sein Vater ist, der in seiner Liebe am besten Bescheid weiß. Dass Christus leiden und sterben wird, kann ein Mensch nicht verstehen, aber er kann wählen, es als seine unumgängliche Zukunft zu akzeptieren. Als den Willen Gottes. Als eine menschliche Bedingung, der sich Gottes Sohn zu unterwerfen hat, um ganz und wahr Mensch und ganz und wahr Gott zu sein. Gottes Wille ist ein Mysterium für den Menschen. Er kann sich empören – wie Adam und Eva im Garten Eden. Und er kann gehorchen – wie Jesus im Garten Gethsemane. Hätte Jesus sich empört, würden wir ihn heute kaum kennen. Denn dann hätte er bloß das getan, was Millionen von anderen Menschen auch getan haben. Sondern er akzeptierte sein Schicksal, gehorchte dem Willen Gottes und wurde so ein Gegenstück zu dem ungehorsamen Adam. Adam wurde zum Tod für die Menschheit, Jesus zum Leben. In beiden Fällen war es der Wille des Schöpfers, zu dem sie sich zu verhalten hatten. Der Schöpfer als der Herr des Schicksals. In ihrem und in unserem Leben. Denn von einem Ort aus sind unser Leben und Schicksale von etwas Größerem und Stärkerem als uns selbst bestimmt. Von einem Willen, der nicht der unsere ist. Auch wir bestimmen unsere Zukunft nicht, wie wir es selbst wollen. Auch wir müssen doch wählen, ob wir uns gegen das, was Gott will, erheben oder ob wir gehorchen und uns beugen wollen vor dem Schicksal, das das unsrige sein soll. Wenn Schicksal dasselbe ist wie Gottes Wille und Bestimmung.

Petrus erkennt, dass er den Menschen verlieren wird, den über alles liebt. Dass der, den er in seiner Begeisterung Christus nennt, sterben wird. Dass seine eigene Einbildung von der Zukunft zu Schanden werden wird und dass ihn etwas völlig anderes erwartet: Verlust, Trauer und völlige Verwirrung, was das Ganze soll. Genau in dem Augenblick, da er glaubt, er habe die Wahrheit gefunden, die Liebe, das Leben so, wie er es sich ersehnt, erfährt er, dass das eine falsche Vorstellung ist. Dass es ein menschlicher Wunschtraum ist, der in Wirklichkeit keinen Bestand hat. Ja, mehr als das: Es ist eine satanische Versuchung: Weil es nur ist, was er selbst will, und nicht, was Gott will. Er glaubte, Jesus sei als Sohn Gottes allmächtig, und als er vom Gegenteil überzeugt wird, bricht seine Vorstellungswelt zusammen. Dass die Wahrheit in Ohnmacht ausgedrückt ist, ist eine bittere Pille, für Petrus wie für alle anderen. – Man kann sagen, dass Petrus in dem Augenblick zu den Menschen gehört, die ihr Schicksal nicht akzeptieren wollen, ja, es hassen, weil es nicht so ist, wie sie selbst sich vorstellen, dass es sein sollte. Während Jesus zu den Menschen gehört, die ihr Schicksal akzeptieren, ja, es lieben, weil es von Gott gegeben ist. Obwohl es furchtbar aussieht. Das sind zwei verschiedene Haltungen, die in jedem Menschen miteinander ringen und zu denen wir Stellung nehmen müssen. Denn es sind unsere eigenen Lebensumstände. Entweder unser Schicksal zu hassen oder es zu lieben, nicht um dessen willen, wonach es aussieht, sondern weil es das ist, was es ist: Gottes Forderung, zu lieben, und Gottes Gnade, es zu tun, obwohl wir nicht verstehen, warum die Umstände sind und sein werden, wie sie sind.

Wir haben einen Ausdruck in der Sprache, der lautet „sein Schicksal tragen“. Also etwa das Leben, das man bekommt, dulden und aushalten, es nehmen, wie es ist – ohne Bitterkeit und Zorn. Karen Blixen wollte mehr. Sie sprach nicht nur davon, sein Schicksal zu tragen, sondern davon, sein Schicksal zu lieben. Wodurch es möglich wird, das Leben zu lieben, wie immer es sich formt. –

Christus trägt unsere Sünden, indem er sein Schicksal trägt, das Schicksal, dass er für unsere Sünden sterben muss. Die Frage ist, ob er auch sein Schicksal liebt? Ob es immer möglich ist, sein Schicksal zu lieben? Was wir wissen, ist die Überzeugung der Evangelien, dass er aus Liebe zu Gott und den Menschen starb. Dass seine Liebe also nicht durch das Schicksal, das er hatte, starb, sondern dass es umgekehrt war: dass seine Liebe ihm Schicksal gab. – Wir sind getauft, um ihm, seiner Geschichte, seinem Schicksal anzugehören. Wir sind getauft, um seine Liebe in uns aufzunehmen und sie unser Leben und unsere Identität formen zu lassen. Als unvollkommene Menschen, die sich ihr Leben lang auf eine Liebe stützen, die größer ist als unsere eigene Liebe. Eine Liebe, die uns davor bewahrt, in Verzweiflung darüber zugrunde zu gehen, dass das Leben nicht der eigensinnige menschliche Traum ist, von dem wir vielleicht gehofft haben, dass er das Leben wäre. –

Amen

Pastorin Kirsten Bøggild
Thunøgade 16
DK-8000 Århus C
Tel. +45 86124760
E-mail: kboe@km.dk

Übersetzung aus dem Dänischen: Dietrich Harbsmeier


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