Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: C. Dinkel und I. Karle

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6. Sonntag nach Trinitatis, 23. Juli 2006
Predigt zu Apostelgeschichte 8, 26-39, verfasst von Eugen Manser
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


Liebe Gemeinde,

„...er zog aber seine Straße fröhlich.“ Ein schöner Schluß! Ich kenne ihn sonst nur aus Märchen: „...und sie lebten herrlich und in Freuden.“

Da fragt man sich doch: Was geht solchem Gefühlswandel einer Menschenseele von Tiefdruckgebieten zu stabiler Schönwetterlage für eine Geschichte voraus?

Ich finde Geschichten, in denen ein Mensch sich verändert, verwandelt aus Ratlosigkeit in eine Stimmung frohen Mutes, sehr rar und deshalb sehr kostbar. Lassen Sie uns an der Geschichte mit dem schönen Schluß „...er zog aber seine Straße fröhlich“, teilnehmen.

Da war ein Mann, merkwürdigerweise wird uns sein Name nicht verraten, ein hoher Staatsbeamter aus Äthiopien, Finanzminister der Königin. Der war 2000 km gereist, um in Jerusalem „anzubeten“.

Irgendwer muß ihn ja dazu bewegt haben. Ob ihn seine Chefin, die Königin von Äthiopien selbst nach Jerusalem geschickt hat, sozusagen zur religiösen Weiterbildung? Oder ob der Drang in ihm selbst war, in der berühmten Gottesstadt Jerusalem anzubeten? Dann hat sie ihm immerhin einen langen Urlaub für diese Reise gewährt.

Jerusalem muß in der alten Welt einen ähnlichen Ruf gehabt haben wie heute Taizé in Europa.

Und Königin sowohl als auch ihr Minister waren sich offenbar beide darin einig, daß ein Finanzminister sich nicht nur Gedanken machen sollte über das Geld, sondern auch über Gott, daß er nicht nur die Marktgesetze studieren sollte, sondern auch die Gottesgesetze, daß er nicht nur im Staatsdienst sein sollte, sondern auch im Gottesdienst.

Wodurch die lange Fahrt eines Menschen auf seinem Lebenswagen zu Gott hin ausgelöst wird, bleibt letztlich im Dunkeln.

Das ist für uns Glaubende nicht ganz leicht zu akzeptieren. Wie gern hätten wir ein Programm oder eine Methode, mit der Menschen dazu gebracht werden könnten, sich auf den Weg zu Gott zu machen. Daß wir unsere Kinder, unsere Freunde und Zeitgenossen in den tiefen Brunnenstuben ihrer Herzen bewegen könnten, dort wo die Entschlüsse geboren werden! Wir können Menschen allenfalls überreden, manipulieren, ihnen etwas befehlen – sie zu einem Entschluß bringen, das können wir nicht.

Der äthiopische Schatzmeister hatte sich entschlossen, nicht nur zu Gedankenfahrten, sondern zu einer wirklichen weiten Reise.

Wir wissen nicht, was er in Jerusalem erlebt hat. Vermutlich ist es ihm ergangen wie jedem Weitgereisten. Vom Vorhof der Heiden aus hat er an den Tempelgottesdiensten teilgenommen und sich zugleich angezogen und fremd gefühlt. Immerhin war er so bewegt von dem, was er erlebte, daß er eine große Investition tätigte: Er kaufte sich eine Heilige Schrift. Nicht gleich die allerheiligste, die Thora, aber doch eine sehr anerkannte- eine Schriftrolle des Propheten Jesaja. Er muß große Hoffnungen mit dieser Schriftrolle verbunden haben, kaufte er sie doch zu einer Zeit, in der man noch sagen konnte: Es ist wahr, denn ‚es steht geschrieben‘. Auch muß er sehr gespannt auf den Inhalt gewesen sein, denn er packte die Schriftrolle schon auf der Heimfahrt nach Äthiopien aus und begann im dahin rollenden Wagen zu lesen.

Aber hier fing nun die große Enttäuschung an: Er versand nicht, was er las. Er hatte sich von dieser Heiligen Schrift so viel versprochen und nun las er und las er und wurde nicht klug daraus. Manchmal ein Lichtblick, dann wieder lange unverständliche Wortreihen. Er wurde immer mißmutiger.

Vor sich hatte er die öde gerade Straße, bei sich auf dem Schoß ein Buch mit sieben Siegeln.

Da tauchte plötzlich neben seinem Wagen ein Fremder auf, ein Wanderer auf der einsamen Steppenstraße. Der Minister hatte ihn gar nicht bemerkt. Wer weiß, wie lange der schon neben seinem Wagen herlief – ob er seine erfolglosen Leseversuche mitgehört hatte?

Er hatte; denn jetzt fragte er ihn über den Wagenrand: „Sag mal, verstehst du auch, was du da liest?“

„Wie soll ich’s denn verstehen, wenn mir niemand dabei hilft? Kannst du mir helfen?“ fragte der Äthiopier. „Ja, ich glaube, das kann ich. Ich heiße Philippus und bin von Gott dazu berufen, mich um die Armen zu kümmern und Menschen zu Gott zu führen.“ „Dich schickt der Himmel!“, rief der Minister. Und Philippus darauf: „Ja, das ist wahr, mich schickt der Himmel. Hier auf diese öde Straße hat mich Gott befohlen – und da treffe ich dich.

Und kurz darauf saßen sie beide nebeneinander im Wagen und lasen und redeten über das Gelesene, verglichen es mit ihren eigenen Lebenserfahrungen und wurden dabei reicher und hoffnungsvoller.

Wir wissen nicht, wie lange die beiden miteinander gefahren sind, ob Stunden oder Tage – wir ahnen nur, daß sie in ihrem Gespräch mit der Bibel Gott er-fahren haben

Vielleicht ist in Glaubenssachen nicht das Wissen entscheidend, sondern das Verstehen. Gewußt hat der äthiopische Finanzminister ja einiges: Er wußte, daß man sein Heil in Jerusalem, in Zion suchen muß und nahm dafür eine beschwerliche Reise auf sich. Er beherrschte offensichtlich mehrere Sprachen und konnte sogar hebräisch, die Lieblingssprache Gottes, lesen.

Aber er hat nicht verstanden.

‚Verstehen‘ ist mehr als ‚Wissen‘. Wenn ich mich mit einem Menschen verstehe, dann vertrage ich mich mit ihm gut; wir schwingen auf einer Wellenlänge. Wenn ich einen Text verstehe, dann verinnerliche ich ihn so, daß er in mir von selbst weiterspricht. Wenn ich ein Ereignis verstehe, dann komme ich plötzlich selbst darin vor.

Beim Verstehen werden Trennungen überwunden.

All das ist dem Finanzminister auf seiner Heimfahrt gemeinsam mit seinem Fahrgast Philippus widerfahren.

Daß er nun den Wagen anhalten läßt, um sein neu gewonnenes Verständnis von Gott und der Welt im Fest der Taufe zu besiegeln und zu feiern, verstehe ich gut.

„Philippus“, sagte der Minister, „der neue Anfang ist jetzt gemacht. Das Wichtigste habe ich verstanden, und ich weiß jetzt auch, wie ich es machen muß, um das Andere noch einigermaßen zu verstehen. Gibt es einen Hinderungsgrund, daß ich mich taufen lasse?"

Einem gestrengen Kirchenmann und Buchhalter des Glaubens wären gewiß eine Menge Hinderungsgründe eingefallen: Der Glaubensunterricht auf dem rollenden Wagen sei zu kurz gewesen. Der Mann wisse noch viel zu wenig. Er habe auch keine Glaubenspraxis. Er sei überhaupt nicht vertraut mit dem Leben einer christlichen Gemeinde.

Philippus läßt keinen dieser Einwände gelten; denn die wichtigste Voraussetzung für die Taufe war erfüllt: Der weitgereiste Fremde aus Afrika hatte verstanden und war nun nicht mehr Fremder, sondern Glaubensbruder.

Und so fordert er ihn auf: „Steig aus! Nichts steht deiner Taufe im Wege. Ich taufe dich.“

Und die beiden gehen zu einem Wasser am Wegrand. Wir sehen sie stehen wie einst Johannes den Täufer und Jesus. Über ihnen stand groß der lichte Himmel.

Und ganz gewiß hat der Finanzminister auch das Gotteswort gehört, das Gott einem jeden bei seiner Taufe zuspricht: ‚Du bist mein lieber Sohn; an dir habe ich Freude!‘ Denn wie sollte sonst der schöne Schlußsatz der Geschichte entstanden sein als sich der Wagen nach der Taufe entfernte: „...er zog aber seine Straße fröhlich.“?

Vermutlich hat der äthiopische Finanzminister nach seiner Heimkehr noch viele seiner Landsleute zum Verstehen angeleitet, so wie es ihm mit Philippus ergangen ist. Und ein klein wenig von dieser unkonventionellen Art können wir bis heute an der Äthiopischen Kirche sehen. In der Grabeskirche zu Jerusalem, diesem umstrittenen Heiligtum der Christenheit, haben die äthiopischen Christen ihr Quartier und ihren Anbetungsort – auf dem Dach!

Amen.

Eugen Manser
eugen.manser@gmx.de


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