Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, J. Neukirch, C. Dinkel, I. Karle

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7. Sonntag nach Trinitatis, 30. Juli 2006
Predigt zu Philipper 2, 1-4, verfasst von Ludwig Schmidt
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


"1 Ist nun bei euch Ermahnung in Christus, ist Trost der Liebe, ist Gemeinschaft des Geistes, ist herzliche Liebe und Barmherzigkeit, 2 so macht meine Freude dadurch vollkommen, dass ihr eines Sinnes seid, gleiche Liebe habt, einmütig und einträchtig seid. 3 Tut nichts aus Eigennutz oder um eitler Ehre willen, sondern in Demut achte einer den anderen höher als sich selbst, 4 und ein jeder sehe nicht auf das Seine, sondern auch auf das, was dem andern dient."

Liebe Gemeinde!

Auch eine christliche Gemeinde ist keine Insel der Seligen, in der alle harmonisch miteinander leben. Es gibt manchmal in einer Gemeinde erhebliche Spannungen. Einige Gemeindeglieder treten zum Beispiel für ein Projekt ein, von dem andere meinen, dafür lohne sich nicht der Aufwand an Zeit und Geld. Das kann zu heftigen Auseinandersetzungen führen. Ältere und jüngere Christen haben teilweise recht unterschiedliche Vorstellungen über das, was man als Christ tun oder lassen soll, und haben deshalb wenig Verständnis für die anderen. Ein Mann oder eine Frau sind vielleicht in einer Gemeinde angesehen, weil sie sich mit großem Engagement für die Gemeinde einsetzen und sozusagen dafür sorgen, dass der Betrieb läuft. Andere stehen am Rand und fühlen sich zurückgesetzt. Umgekehrt gewinnt gelegentlich auch jemand, der sich stark in der Gemeinde engagiert, den Eindruck, dass sein Einsatz als selbstverständlich angesehen wird und ist darüber enttäuscht. Manchmal wissen Kreise und Gruppen voneinander nur noch, dass es in der Gemeinde auch noch andere Menschen gibt, die sich zur Gemeinde halten, aber sie fühlen sich ihnen nicht verbunden, ja, Gemeinde kann sogar zu einem leeren Wort werden, weil ihre Mitglieder lediglich nebeneinander her leben. Ich kenne nicht die Verhältnisse in Ihrer Gemeinde, aber ich nehme an, dass auch Sie das eine oder andere Beispiel erlebt haben. Schon der Apostel Paulus rief mit unserem Bibelabschnitt die Christen in Philippi zur Einheit und zu gegenseitiger Achtung und Wertschätzung auf. Obwohl ihm diese Gemeinde viel Freude bereitete, rechnete Paulus damit, dass es auch in ihr zu Spannungen kommen würde.

Nun stoßen freilich Ermahnungen meist auf taube Ohren, wenn sie nicht begründet werden. Warum sollten Christen an der Einheit ihrer Gemeinde interessiert sein, wenn sie nichts miteinander verbindet? Warum sollte ich einen anderen Christen achten, obwohl er mir unsympathisch ist? Das versteht sich nicht von selbst. Deshalb begründet Paulus, warum es für Christen wichtig ist, dass sie an der Einheit der Gemeinde festhalten und sich gegenseitig achten. Dazu beschreibt er in vier Punkten, was er in der Gemeinde voraussetzt. Der erste ist „Ermahnung in Christus“. Es gibt natürlich auch Ermahnungen, die nicht „in Christus“ gesprochen werden. Aber für Christen stellt sich ja die Frage, wie sie mit ihrem Verhalten im Alltag ihrem Glauben an Jesus entsprechen. Wir brauchen die Ermahnungen in Christus, weil wir als Christen nicht automatisch das Richtige tun. Deshalb enthält das Neue Testament Anweisungen für die christliche Lebensführung, und wir müssen immer wieder bedenken, was sie heute für uns bedeuten und wie wir uns in unserer Lage richtig verhalten. Als Zweites nennt Paulus „Trost der Liebe“. Damit ist das freundliche Zureden aus Liebe gemeint, mit dem ein Christ einen anderen Christen tröstet, wenn er traurig ist. Paulus setzt in einer Gemeinde außerdem „Gemeinschaft des Geistes“ voraus. Es geht dabei um die geistliche Gemeinschaft, die Christen miteinander verbindet, weil sie an Jesus Christus glauben. Als Letztes nennt Paulus „herzliche Liebe und Barmherzigkeit“. Christen unterstützen andere Christen, die der Hilfe bedürfen, auch wenn sich die Nächstenliebe nicht auf Mitchristen beschränkt. Das alles setzt also Paulus für die christliche Gemeinde voraus.

Nun stellt sich natürlich die Frage, ob diese Voraussetzungen wirklich so selbstverständlich sind, wie Paulus hier annimmt. In Briefen an andere Gemeinden hat er das anders gesehen. In ihnen ermahnte er zu dem Verhalten, das er hier voraussetzt, und begründete diese Mahnungen. Sie sind ein Thema für eine eigene Predigt. Heute geht es darum, dass Paulus mit der Beschreibung, was es bereits in der Gemeinde gibt, die Christen in Philippi an einen Grundsatz erinnert, der für alle Christen gilt: Ihr müsst doch zugeben, dass sich unter Christen jeder nicht nur um seine eigenen Angelegenheiten zu kümmern hat, weil ihr durch den Glauben an Jesus miteinander verbunden seid. Dem können wir schwerlich widersprechen. Die Basis jeder christlichen Gemeinde ist der Glaube an Jesus, auch wenn heute viele Leute noch Kirchensteuer zahlen, denen Jesus gleichgültig ist. Eine Gemeinde, in der der Glaube an Jesus nicht im Zentrum steht, ist keine christliche Gemeinde. Was wäre denn an ihr das Christliche, wenn der Glaube an Jesus nicht mehr ihre Grundlage bildet? Weil dieser Glaube Christen miteinander verbindet, können auch wir nicht bestreiten, dass sich unter Christen jeder nicht nur um seine eigenen Angelegenheiten zu kümmern hat. Dann gilt aber auch für uns, wozu Paulus die Christen in Philippi ermahnt: „dass ihr eines Sinnes seid, gleiche Liebe habt, einmütig und einträchtig seid.“ Damit fordert uns Paulus auf: Denkt bei euren Entscheidungen und bei dem, was ihr tut, an die Einheit der Gemeinde. Sie ist nicht nur eine Theorie, sondern an der Einheit der Gemeinde soll sichtbar werden, dass ihr durch den Glauben an Jesus miteinander verbunden seid. Wenn wir diese Aufforderung ernst nehmen, wird es nicht dazu kommen, dass eine Gemeinde wegen Angelegenheiten, die für den Glauben an Jesus nicht wesentlich sind, in Gruppen auseinander fällt, die sich heftig bekriegen. Das gibt es leider. Es entspricht auch nicht dem Glauben an Jesus, wenn eine Gruppe versucht, ihre Interessen in der Gemeinde mit allen Mitteln durchzusetzen. Eine Gemeinde ist nicht der Ort für Machtkämpfe, wie wir sie aus der Politik kennen. Weil Jesus unser Herr ist, kommt uns keine Macht über andere Christen zu. Freilich müssen manchmal in einer Gemeinde Entscheidungen getroffen werden, denen nicht alle zustimmen können. Aber das wird die Einheit der Gemeinde dann nicht zerstören, wenn sich alle ihrer christlichen Verantwortung bewusst sind und auf dieser Basis diskutieren. Wenn ich dem anderen zugestehe, dass er ebenso wie ich seine Entscheidung aus dem Glauben an Jesus heraus getroffen hat, werde ich sie tolerieren können, auch wenn ich sie für falsch halte. Denkt an die Einheit der Gemeinde! Wie soll es in der Ökumene Fortschritte geben, wenn schon in einer Gemeinde Kreise und Gruppen nur nebeneinander her leben?

Die Einheit in einer Gemeinde ist freilich nur möglich, wenn einer den anderen achtet, und es ihm nicht darum geht, dass er in der Gemeinde angesehen ist. Es gibt keine Christen erster und zweiter Klasse. Ein Christ, der sich nicht für die Gemeinde einsetzen kann, ist nicht weniger wert als ein anderer, der sich für sie stark engagiert. Für Jesus sind beide gleich. Deshalb schreibt Paulus: „Tut nichts aus Eigennutz oder um eitler Ehre willen.“ Es soll einem Christen bei seinem Einsatz für die Gemeinde nicht darum gehen, dass er sozusagen groß herauskommt. Wir glauben doch als Christen, dass Jesus für uns gestorben und auferstanden ist. Darauf - und nicht auf unseren Leistungen - beruht unsere Hoffnung auf das ewige Leben bei Gott. Freilich ist Undank keine christliche Tugend; es ist schade, wenn in einer Gemeinde nicht der Einsatz anerkannt wird, den jemand für sie aufbringt. Aber alles, was Christen für eine Gemeinde tun, kann nur Ausdruck der Dankbarkeit dafür sein, dass sie an Jesus glauben dürfen. Deshalb fordert Paulus in unserem Bibelabschnitt zur Demut auf. Es gibt freilich auch eine lästige Demut. Sie haben das wahrscheinlich auch schon erlebt: Zwei Leute stehen vor einer Tür. Der eine hält sie dem anderen auf, aber der sagt: „Nach ihnen.“ Darauf antwortet der erste: “Nein, nach Ihnen.“ So stehen die beiden vor der Tür, bis sich schließlich einer der beiden dazu aufrafft, durch die Tür zu gehen. Solche lästige Demut kann es auch in einer Gemeinde geben. Da kann zum Beispiel jemand hervorragend Veranstaltungen organisieren. Aber als eine Veranstaltung geplant wird, sagt er: „Ich kann die Organisation nicht übernehmen, weil ich dafür nicht geeignet bin.“ Die anderen müssen lange auf ihn einreden, bis er schließlich sagt: „Nun gut, wenn Ihr meint, ich schaffe das, dann übernehme ich die Organisation.“ Er wusste von vornherein, dass er die Veranstaltung organisieren konnte, aber er wollte es von den anderen bestätigt bekommen. Es ist keine christliche Demut, wenn wir die Fähigkeiten, die wir haben verleugnen. Natürlich ist es gut, wenn wir unsere Grenzen kennen, aber christliche Demut besteht nicht darin, dass wir bei uns Minderwertigkeitsgefühle züchten und pflegen. Demut ist das Gegenteil von Überheblichkeit. Wir sollen also nicht auf andere Christen herabsehen. Christen unterscheiden sich nun einmal voneinander in Lebensalter, Bildung, Fähigkeiten und ihrer sozialen und wirtschaftlichen Lage. Aber bei Jesus gilt kein Christ mehr als der andere, und so soll es auch in seiner Gemeinde sein, weil in ihr Christen durch den Glauben an Jesus miteinander verbunden sind. Amen.

Liedvorschläge

EG 265: Nun singe Lob, du Christenheit
EG 221: Das sollt ihr, Jesu Jünger, nie vergessen
EG 251,1-3.5-7: Herz und Herz vereint zusammen
EG 170: Komm Herr, segne uns

Prof. Dr. Ludwig Schmidt
Karmelitenstraße 15
91056 Erlangen
E-mail: gi_schmidt@t-online.de

 


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