Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, J. Neukirch, C. Dinkel, I. Karle

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7. Sonntag nach Trinitatis, 30. Juli 2006
Predigt über Philipper 2, 1-4, verfasst von Caroline Warnecke
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


Liebe Gemeinde,
da wir ja nun keine Gäste mehr sind und keine Fremdlinge, da wir Mitbürger der Heiligen sind und Gottes Hausgenossen (s. Wochenspruch), leben wir ja gewissermaßen alle unter einem Dach.
Die Älteren mit ihrer Lebenserfahrung, die Jüngeren mit ihren Träumen.
Familien und singles. Witwen und Ehepaare. Kinder rund Jugendliche.
Die Alteingesessenen und die Neuzugezogenen.
So viele verschiedene Menschen, Personen und Persönlichkeiten.
Unverwechselbare Gesichter und einzigartige Lebensgeschichten.

Das Haus Gottes gibt es ja schon sehr lange.
Die ersten, die es damals bezogen haben, so erzählt man sich, die lebten so richtig gemeinsam. Die teilten miteinander, was sie hatten: Ihr Hab und ihr Gut, ihr Leben und ihre Freude. Ihr Glück und ihr Leid.
Die Türen standen offen und die Herzen noch viel mehr.
Da kannte man sich; da grüßte man sich, da fragte man einander, wie´s denn so geht und wo es denn fehlt. Freundliche Gemüter und arglose Gedanken.
Da war keiner einsam und niemand allein.
Und in der Abendstunde, wenn der sich sammelte - dann saßen sie zusammen und erzählten sich ihre Geschichten - die gelungenen und auch die enttäuschenden. Und sie brachen miteinander das Brot und wussten genau, wem sie dafür zu danken hatten.
Aber das ist schon lange her.

Über die Zeit hin hat die Hausgemeinschaft unzählige Male gewechselt.
Eine Generation löste die andere ab; die Alten starben und die Jungen rückten nach.
Es gab friedliche Zeiten, aber zuweilen auch erbitterten Streit.
Man liebte sich und man hasste sich. Man freute sich und weinte miteinander. Man ging auseinander und versöhnte sich wieder.
Aber wie es so ist: der Kampf um das Erbe blieb hart. Sie haben gestritten und sich auch überworfen – getrennte Tische - bis heute. Eine wechselvolle Geschichte – aber eine, die immer weiterging. Und wenn man die Liebe zuweilen auch vor die Tür gesetzt hatte, die Hoffnung lässt sich aussperren, die sitzt bis heute in allen Ritzen und wenn sie sich zeigt, dann kann ihr kaum einer widerstehen.

Ein altes Haus - mit einer langen Geschichte.
Es steht mittlerweile schon unter Denkmalschutz.
Vieles hat man über die Jahre ausgebessert und zu erneuern versucht. Einsturzgefahr besteht Gott sei Dank nicht und am Fundament kann auch keiner rütteln. Da können wir wirklich von Glück sagen, dass unser Hausherr hier nicht auf Sand gebaut hat.
Und nun sind wir es, die das ein und andere zu renovieren und umzugestalten haben. Aber die Mittel sind knapper geworden. Wir können uns nicht mehr alles leisten. Wir müssen uns von einigen liebgewordenen Erbstücken trennen und Räume schließen, in denen wir uns zuhause gefühlt haben. Einiges mussten wir schon umwidmen und anderen überlassen. So bequem, wie wir´s kennen, wird es nicht bleiben.
Entscheidungen stehen an.
Und während so dabei sind und das Geld zählen, während auf allen Etagen diskutiert und geplant wird,
flattert uns heute am 7.So n. Tr. ein Brief in´s Haus.

Post bekommen ist ja immer ganz schön und ein Zeichen, dass jemand an uns denkt.
Dieser Brief ist nun einer von denen, die - einmal abgeschickt - sozusagen zeitlos durch die Welt gehen. Die göttliche Hauspost findet ihre Adressaten.
Der erste, der diesen Brief auf den Weg gebracht hat, war Paulus.
Ich lese mal vor, was er schreibt:

1 Ist nun bei euch Ermahnung in Christus,
ist Trost der Liebe,
ist Gemeinschaft des Geistes,
ist herzliche Liebe und Barmherzigkeit,
2 so macht meine Freude dadurch vollkommen, dass ihr eines Sinnes seid,
gleiche Liebe habt,
einmütig und einträchtig seid.
3 Tut nichts aus Eigennutz oder um eitler Ehre willen,
sondern in Demut achte einer den andern höher als sich selbst,
4 und ein jeder sehe nicht auf das Seine,
sondern auf das, was dem anderen dient.

Immerhin – und da sind wir ja schon mal ganz froh: eine Rechnung kriegen wir hier nicht präsentiert und nachzahlen müssen wir auch nichts.
Eine bunte Urlaubskarte mit vielen lieben Grüßen haben wir hier allerdings nicht in der Hand. Es ist ein bisschen gehaltvoller:
Freundlich, aber sehr bestimmt erinnern diese Worte noch mal an die Hausordnung.
An die Umgangsregeln - nach denen sich das Leben im Hause Gottes gestalten soll.

Ursprünglich hat Paulus diesen Brief an die Philipper geschrieben.
Das Gemeindehaus in Philippi, an dem Paulus kräftig mitgebaut hat, ist ziemlich gut ausgestattet. Gehobener Standard, vielleicht nicht alles vom Feinsten, aber doch alles zum Besten. Da ist Trost und Licht (EG 166). Da ist herzliche Liebe, da ist Gemeinschaft und Barmherzigkeit. Ein geistlicher Wohlstand, an dem Paulus sichtlich seine Freude hat.
Doch wunschlos glücklich ist er noch nicht. In den Becher voll Freude, den Paulus da vor sich hat, könnte noch ein bisschen ´was rein.
Irgendwas ist da los, was das Zusammenleben stört; es scheint ein bisschen zu knistern im Gebälk.
Da zänkeln einige miteinander, da ist man sich uneinig. Es gibt da wohl auch welche, die halten sich für ´was Besseres. Und andere überkleiden ihre Eitelkeit mit einem frommen Gewand.

Es ist ja immer ganz entlastend, zu hören, dass früher auch nicht alles besser war. Wenn alle unter einem Dach leben, dann läuft das selten einträchtig. Dann ist das eher konfliktträchtig.
So viele Menschen, so viele Lebensformen.
Wir alle mit unseren Eigenarten. Mit unsere Lebensweise.
Und was wir uns so erarbeitet haben über die Jahre. Da ist uns ja manches auch wichtig geworden, was wir nicht aufgeben möchten. Unsere Werte und Überzeugungen, persönliche Einsichten und abgerungene Erkenntnisse. Und im Gepäck ja immer auch das, was uns geprägt hat – manchmal mehr als uns lieb ist. Mein Schatten, über den ich nicht springen kann…

Paulus scheinen solche Erwägungen allerdings herzlich wenig zu interessieren:
- seid eines Sinnes, seid einmütig und einträchtig,
- ein jeder achte den anderen höher als sich selbst.
- ein jeder sehe nicht auf das Seine, sondern auf das, was dem anderen dient.

Das ist eindeutig.
Aber nicht so einfältig, wie man es häufig verstanden hat: als ob die Hausgenossen Gottes so was wie Selbstbewusstsein oder Ich-Stärke gar nicht haben dürfen.
Bedürfnisse zurückstellen,
sich aufopfern, bis man sich selber nicht mehr merkt.
Und die Konflikte lieber unter den Teppich kehren – wer weiß, was da womöglich alles auf den Tisch käme.
Aber wie kann ich jemanden achten, wenn ich keine Selbstachtung habe?
Wie kann ich jemanden schätzen, wenn ich für mich gar nichts übrig habe?
Wie kann ich demütig sein, wenn ich nicht weiß, worauf ich stolz bin?
Recht hat er natürlich auch, der Paulus:
auf der anderen Seite diese permanente Angst, zu kurz zu kommen. Dieses Ellenbogengerangel um Anerkennung. Der scheele Blick nach Ehre und Ruhm.
„Jeder denkt an sich, nur ich denke an mich.“

Vielleicht fragen wir zu häufig nach dem, was der andere hat - was der hat, was ich nicht habe. Vielleicht sollten wir häufiger fragen, was dem anderen fehlt? (vgl. PStd 1999/2000).
Im Menschen den Menschen erkennen. Im anderen den, der genauso bedürftig ist wie ich und der gleichzeitig genauso anerkannt ist, wie ich.

Als Menschen im Haus Gottes werden wir das immer wieder auszutarieren haben:
Die Demut und den aufrechten Gang;
die Bindungen, die uns verpflichten und die Freiheit, in der wir leben dürfen;
die Sorge um die anderen und die Pflege unseres eigenen Lebens.
Das Mitleiden im Verborgenen und das Selbstbewusstsein, mit dem wir uns zeigen dürfen.
Es gibt Konflikte, die sein müssen und Streitereien, die man lassen kann.
Paulus war ja einer, der eigentlich keinem Konflikt aus dem Weg gegangen ist.
Der hat gekämpft und gestritten, der hat gereizt und nicht locker gelassen. Diese vielen Auseinandersetzungen, die er geführt hat, – mit seinen Gemeinden, mit seinen Gegnern. In einer unglaublichen Leidenschaft - hat der eigentlich alles riskiert. Als er diesen Brief schrieb, saß er mit seinem Becher voll Freude hinter dunklen Gefängnismauern….
Einer, der wusste, was er wollte – und dabei immer nur eins im Sinn hatte. Paulus hatte überhaupt immer nur den einen im Sinn...

Im Haus Gottes gibt es einen Ort, wo sich alles sammelt:
die Unruhe unseres Lebens und die Zerstreuung unserer Gedanken.
die Angst, die wir haben und den Trost, den wir suchen.
An diesem Ort kommen die Konflikte zur Ruhe und die Stimmen werden leiser.
Hier geht das Erhabene in die Knie und das Gebeugte kann aufstehen .
Das Verlorene findet sich und das Getrennte kommt wieder zusammen.
Der Streit ist geschlichtet.

Es ist der einzige Ort, wo wir wirklich zur Besinnung kommen.

Der Brief, der uns zugestellt wurde, erinnert uns an diesen Ort im Hause Gottes.
Und Paulus tut das auf seine Weise; sein Brief geht noch weiter. Ich habe das eben nicht vorgelesen, wie´s weitergeht, aber das können wir ja auch zusammentun als Hausgenossen Gottes.
Im Gesangbuch die Nr 760 (Christushymnus) - im Wechsel.
Und warum sollten wir nicht aufstehen für den, der sich soweit zu uns herabgebeugt hat…. (Gemeinde steht auf)


P: So seid unter euch gesinnt,
wie es auch der Gemeinschaft in Christus Jesus entspricht:

Er, der in göttlicher Gestalt war,
hielt es nicht für einen Raub, Gott gleich zu sein,

sondern entäußerte sich selbst
und nahm Knechtsgestalt an,

ward den Menschen gleich
und der Erscheinung nach als Mensch erkannt.

Er erniedrigte sich selbst
und ward gehorsam bis zum Tode, ja zum Tode
am Kreuz.

Darum hat ihn auch Gott erhöht
und hat ihm den Namen gegeben, der über alle Namen ist,

dass in dem Namen Jesu sich beugen sollen aller
derer Knie,
die im Himmel und auf Erden und unter der Erde sind,

und alle Zungen bekennen sollen,
dass Jesus Christus der Herr ist, zur Ehre Gottes,
des Vaters.

Und der Friede Gottes, welcher höher ist als alle Vernunft, der bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. (Phil 4,7)
Amen.

Lied: EG 182, 1-5

Pastorin Caroline Warnecke
Studieninspektorin am Gerhard-Uhlhorn-Konvikt
Göttingen
caroline.warnecke@zentr.uni-goettingen.de


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