Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, J. Neukirch, C. Dinkel, I. Karle

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7. Sonntag nach Trinitatis, 30. Juli 2006
Predigt zu Matthäus 10, 24-31, verfasst von Arne Ørtved (Dänemark)
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


Die Angt ist ein merkwürdiges Phänomen. Plötzlich ist sie da. Oft ohne erkennbare Ursache. Man kann sie nicht selbst zuwege bringen; und man kann sich auch nicht ohne Weiteres von ihr befreien. Man kann zwar selbstverständlich mit ihr kämpfen, aber im Ernst nichts dagegen machen. Auch andere Menschen können nichts dagegen machen. Sie können einen ein wenig trösten; aber das wirkt oftmals genau in die falsche Richtung, so dass man noch mehr Angst hat als vorher.

Und so ist es faktisch auch mit der Freude. Sie macht sich auch zum Herrn über einen, und man kann singen und tanzen, und alles ist lauter Freude! Missmut und Angriffe anderer Menschen prallen von einem ab, weil man meint, sie seien so bedeutungslos verglichen mit der Freude, die einen beherrscht. Die Freude kommt über einen – oder sie widerfährt einem, wie man in alter Zeit mit einem schönen Wort sagte.

Wann lernt ein Mensch die Angst kennen? Das geschieht sehr früh! Vielleicht bereits im Mutterleib; aber jedenfalls im Augenblick der Geburt. Es ist ein mächtiger Schock für einen Menschen, geboren zu werden, und dann ist die Angst da. Aus gutem Grund wissen wir nicht viel darüber, wie sie wirkt. Wir können nur die Reaktionen registrieren. Aber kann man nicht beobachten, dass die Angst die Kleinen schon ganz am Anfang ihres Lebens heimsucht? Plötzlich schüttelt sich ihrer kleiner Körper aus unerklärlichen Gründen, und sie brechen in Tränen aus. Oder die Seligkeit kommt über sie, und sie murmeln zufrieden.

Während sie allmählich größer werden, wird es deutlicher: Die Angst, allein zu sein. Die Angst vor der Dunkelheit, vor dem Wasser, vor der Höhe, vor dem Lärm, vor der Stille, vor dem Unvorhergesehenen, vor dem Tod. Die Kindheit ist voller Angst, und es ist eine Form kräftiger Verdrängung, wenn man sagt, die Kindheit sei glücklich und harmonisch.

Ein Mensch kennt die Angst seit dem Augenblick seiner Geburt. Sie ist sozusagen in das Leben mit eingebaut, nicht als Gefahr in unserer Umgebung, sondern als ein Erlebnis von etwas Bedrohendem und Zerstörendem, gegen das wir wehrlos und dem wir ausgeliefert sind. Wir können die Angst nicht abschütteln und ihr nicht entfliehen. Sie ist nicht dasselbe wie bange zu sein, denn da kann man in der Regel die Adresse angeben, wovor man bange ist, und vielleicht kann man die Ursachen auch beseitigen.

Aber das kann man nicht mit der Angst. Man kann natürlich das Licht anmachen, wenn man vor der Dunkelheit Angst hat. Aber die Dunkelheit lauert trotzdem hinter dem Licht. Denn es ist ja nicht die Dunkelheit selbst, die uns Angst macht, sie hat nur die Angt in einem hervorgerufen. Die Angst vor dem Gefährlichen, dem Lauernden, dem Zerstörerischen. Ja, letzten Endes ist es wohl die Angst vor dem Tode! Oder ist es vielleicht in Wirklichkeit die Angst vor Gott? Dass Er, der mir aus der Dunkelheit draußen das Leben geschenkt hat, es plötzlich wieder zurückziehen will.

Erwachsen werden ist nicht, dass man die Angst kennen lernt; sondern dass man die Verantwortung für sein Leben übernimmt; und das verleiht der Angst eine besondere Perspektive. Mit der Angst entdeckt man nämlich, dass es Dinge gibt, die man nicht in den Griff bekommt, wie erwachsen und tüchtig und stark und ausgebildet man auch sein mag. Die Anst ist Gottes Schranke zwischen ihm selbst und den Menschen. Bevor das Wort Angst erfunden wurde, hieß das Gottes-Furcht.

Im Alten Testament wird an vielen Stellen beschrieben, was geschieht, wenn der Mensch sich Gott nähert oder umgekehrt. Menschen beben vor Schreck und Erwartung. Sie wissen, dass die Kraft Gottes gewaltig ist; und sie enthält sowohl Schöpfung als auch Vernichtung. Deshalb darf kein Mensch Gott sehen. Wir lesen, wie Menschen sich auf die Erde werfen, wenn sie die Nähe Gottes hören oder ahnen. Man denke nur an Mose vor dem brennenden Dornenbusch.

Auch von religiösen Mythen und Erzählungen anderer Völker kennen wir die Gottesfurcht. Also das Erlebnis, dass eine Kraft von den Göttern ausgeht, die den Menschen in einen Zustand der Ohnmacht und des Ausgeliefertseins versetzt. Erst in moderner Zeit haben wir angefangen, die Gottesfurcht wegzuerklären, indem wir sie Angst nennen. Die Psychologie hat sich der Sache angenommen. Man ist der Auffassung, die Angst habe mehr oder weniger natürliche Ursachen und sei heilbar. Aber kann man etwas heilen, was zum Menschsein gehört?

Der Prediger sagte es so, nachdem er zunächst alle Freuden und Widrigkeiten des Lebens aufgezählt hatte: Ich sah die Arbeit, die Gott den Menschen gegeben hat, dass sie sich damit plagen: Er hat alles gut und richtig gemacht zur rechten Zeit, er hat auch den Gang der Welt den Menschen ans Herz gelegt, jedoch ohne dass sie irgend etwas von dem, was Gott tut, ergründen könnten. Ja, wir können das Leben wahrlich durch unsere Spekulationen und Erklärungen und Vertuschungen schwierig machen. Gewiss ist uns der Gang der Welt ans Herz gelegt, aber damit haben wir doch nicht den Auftrag erhalten, alle Rätsel des Daseins zu lösen, und ganz bestimmt nicht, Gott abzuschaffen.

Jesus macht alle Spekulationen zunichte, die seit den Tagen Adams und Evas an der Tagesordnung gewesen sind: Fürchtet euch nicht! Kauft man nicht zwei Sperlinge für einen Groschen? Dennoch fällt keiner von ihnen auf die Erde ohne euren Vater. Aber nun sind alle Haare auf eurem Haupt gezählt. Darum fürchtet euch nicht; ihr seid besser als viele Sperlinge.

Es gibt also nichts mehr zu diskutieren oder zu befürchten. Die Angst gibt es, und sie ist offenbar nicht zu umgehen. Im Gegenteil! Durch sie lernen wir die Bedingungen unseres Lebens erst wirklich kennen. Dass wir sterben müssen. Das Leben hat seinen starken und unumgänglichen Gegensatz im Tod. Er lauert hinter allen Dingen und kann seinen kalten Schatten in das Licht des Lebens werfen. Die Angst ist gewiss eine Tatsache; aber Gott ist größer als die Angst und als der Tod. Und der Mensch ist sein liebstes Wesen. So aufmerksam folgt er uns, dass selbst unsere Haare auf dem Kopf gezählt sind. Ein Bild der unendlichen Fürsorge und Aufmerksamkeit. –

Aber woher können wir denn wissen, dass das mit der Fürsorge richtig ist? Sollen wir wirklich daran glauben, nur weil Jesus es sagt? Gibt es etwas, das darauf hindeuten kann, dass Jesus Recht hat? Dass wir Menschen nichts zu fürchten haben? dass wir bloß jeden Tag leben können, als ob es weder Tod noch Vernichtung gäbe? und dass wir, wenn die Angst uns überkommt, es nur Gott überlassen sollen, uns so schnell wie möglich da herauszuhelfen, weil es ja keinen Grund zur Angst gibt?

Ja, das sollen wir. Wir sollen es glauben, obschon alles dagegen spricht und obwohl es keinerlei Zeichen oder Beweis gibt, dass Jesus Recht hat. Aber wie stellt man sich an, um zum Glauben an diese Worte: Fürchtet euch nicht zu kommen? Wir sollen die Worte hören, sie annehmen, uns ihnen anvertrauen. Das ist unsere einzige Möglichkeit. Entweder er oder die Angst! Entweder hat Jesus die Macht und Vollmacht, zu sagen: Fürchtet euch nicht! , oder Kirche und Taufe und Christentum sind ein einziger Bluff. Und dann haben wir im Ernst Grund, etwas zu fürchten.

Unsere einzige Chance besteht darin, wie die Kinder zu werden. Nicht kindlich oder kindisch. Denn wir sind doch erwachsene Menschen mit Verantwortung für alles, was unser ist. Sondern wir sollen im Glauben wie die Täuflinge sein, die in all ihrer Wehrlosigkeit daliegen und das Zeichen des Kreuzes als Zeugnis empfangen, dass sie dem gekreuzigten und auferstandenen Herrn Jesus Christus angehören. Wir sollen erkennen, dass wir also auch hier im Leben mitten in unserem ganzen Erwachsensein wie die Kinder sind. Wir sind Gott völlig preisgegeben und brauchen das Zeichen des Kreuzes.

Aber Gott will unser Bestes. Er meint, wie sind mehr wert als viele Sperlinge, und er hat unsere Haare auf dem Kopf gezählt. Er ist der Gott der Liebe; und der, der uns heute zu überreden versucht, dass wir die Angst aufgeben, ist sein eigener Sohn, der es selbst erfahren hat, dieses ausgesetzte Leben zu führen und mit dem Tod zu enden. Aber mit ihm folgt auch die starke Botschaft der Auferstehung: Trotz der Angst und des Todes geht es an zu leben; ja, mehr als das: es ist eine unvergleichliche Gabe und Aufgabe, zu leben. Auf dem Grund des Wortes: Fürchtet euch nicht! können wir der Angst und dem Tod Trotz bieten und diese Leben in Glauben und Liebe leben.

Amen

Pastor Arne Ørtved
Birkebæk 8
DK-7330 Brande
Tlf.: ++ 45 – 97 18 10 98
E-mail: ortved@mail.dk

Übersetzung aus den Dänischen: Dietrich Harbsmeier

 


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