Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, J. Neukirch, C. Dinkel, I. Karle

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8. Sonntag nach Trinitatis, 6. August 2006
Predigt zu 1. Korinther 6, 9-14 und 18-20, verfasst von Elisabeth Tobaben
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


Liebe Gemeinde!
„Ach, Sie laufen, Frau Pastor?“
Der gestylte Herr im gestreiften Freizeithemd steht mir plötzlich beim diesjährigen EWE-Nordseelauf* gegenüber.
Beim Einlaufen für die Etappe auf unserer Nachbarinsel Langeoog hat mich der Gast erkannt.
„Naja, meint er, „das scheint ja wohl die neue Masche zu sein bei manchen Intellektuellen.“
Ich erinnere an „Mens sana in corpore sanum“, ein gesunder Geist in einem gesunden Körper, aber mein Gegenüber schüttelt nur den Kopf.
Er sei ja nicht gegen körperliche Ertüchtigung an sich, aber das Eigentliche, da sei sei er denn doch zu sehr Wissenschaftler- das Eigentliche sei eben doch der Geist.
Ich bin einigermaßen verblüfft über diesen deutlichen Dualismus in einer Zeit, in der doch sonst so häufig betont wird, dass es um den ganzen Menschen gehe in der Einheit von Körper, Seele und Geist, und fühle mich zurückversetzt ins erste nachchristliche Jahrhundert.
Da gab es z.B. in der aufblühenden Hafenstadt Korinth eine starke Front, die auch eine solche deutliche Trennung von Körper und Geist vertrat.
Und das Pikante dabei war nur die Schlußfolgerung, die diese Gruppierung daraus zog.
Sie sagten nämlich: Wir sind Erlöste, und als solche tragen wir eine unvergängliche Geistsubstanz in uns.
Der Geist ist das Eigentliche, und weil wir Geistmenschen sind, ist es eigentlich völlig egal, wie wir leben.
Alles ist erlaubt! Das war ihr Grundsatz, ihre Lebensphilosophie.
Der Geist ist das Eigentliche, was spielen da körperliche Bedürfnisse schon für eine Rolle, am besten ist, man erfüllt sie ganz schnell und wendet sich dann wieder dem Eigentlichen zu.
Eine keineswegs unumstrittene Meinung!
Sie sollte sich später als gefährlicher Spaltpilz entpuppen, der die Gemeinde auseinanderzusprengen drohte und heftige Streitigkeiten auslöste.
Schon ganz am Anfang greift Paulus ein und versucht, Einfluss zu nehmen auf die streitdenden Parteien.
Er schreibt einen wütenden Brief nach Korinth, und fordert energisch Kirchenzuchtmaßnahmen ein.
Aber hören wir selbst, was er schreibt, und versuchen uns vorzustellen, wie dieser Brief in Korinth angekommen sein mag!
1. Korinther 6:
9. Oder wißt ihr nicht, dass die Ungerechten das Reich Gottes nicht ererben werden? Lasst euch nicht irreführen! Weder Unzüchtige noch Götzendiener, Ehebrecher, Lustknaben, Knabenschänder,
10. Diebe, Geizige, Trunkenbolde, Lästerer oder Räuber werden das Reich Gottes ererben.
11. Und solche Leute seid ihr gewesen, jedenfalls einige von euch. Aber ihr seid reingewaschen, ihr seid geheiligt, ihr seid gerecht geworden durch den Namen des Herrn Jesus Christus und durch den Geist unseres Gottes.
12. Alles ist mir erlaubt, aber nicht alles dient zum Guten. Alles ist mir erlaubt, aber es soll mich nichts gefangennehmen.
13. Die Speisen sind für den Bauch da und der Bauch für die Speisen; Gott wird beide vernichten. Der Leib aber ist nicht für die Unzucht da, sondern für den Herrn und der Herr für den Leib.
14. Gott aber hat den Herrn auferweckt und wird durch seine Kraft auch uns auferwecken...
18. Hütet euch vor der Unzucht! Jede andere Sünde, die ein Mensch tut, trifft nicht seinen eigenen Leib, doch wer Unzucht treibt, sündigt gegen den eigenen Leib.
19. Oder wißt ihr nicht, dass euer Leib ein Tempel des Heiligen Geistes ist, der in euch wohnt? Gott hat ihn euch gegeben. Ihr gehört nicht euch selbst.
20. Denn ihr seid gekauft worden für einen hohen Preis.

„Endlich sagt mal einer ein klärendes Wort!
Das habe ich damals gedacht, als Paulus‘ Brief bei uns eintraf und im Gottesdienst vorgelesen wurde.
Ach so, ich bin übrigens Claudio, Sklave des Allessandro; ich arbeite dort in der Küche und bin für den gesamten Lebensmitteleinkauf zuständig.
Ein verantwortungsvoller Posten, das schon, aber ich bin eben kein freier Mensch, ich gehöre meinem Herrn, wenn der morgen beschließen sollte, mich zu verkaufen, könnte ich nichts machen.
Deswegen bin ich ja auch gleich so angesprungen auf diese neue Lehre!
Als ich zum ersten Mal von Jesus Christus gehört habe, da konnte ich kaum fassen, was der Prediger sagte!
Zuerst fand ich die Predigt gar nicht so spannend, er erzählte ganz viel aus dem Leben Jesu, und das meiste kannte ich schon. Aber dann sagte der fremde Missionar plötzlich: „Wißt ihr nicht, dass Christus euch losgekauft hat für einen teuren Preis?“
Verstehen Sie? Losgekauft wie einen Sklaven!
Ich verstand plötzlich: wenn Christus mich gekauft hat, dann gehöre ich jetzt ja ihm, diesem Christus! So wie vorher Alessandro.
Das heißt, dem gehöre ich natürlich auch trotzdem noch, jedenfalls nach außen hin, aber eigentlich bin ich jetzt ein freier Mann!
Und wenn Christus einmal wiederkommt, dann werden es auch alle sehen!

Darum habe ich mich taufen lassen in der letzten Osternacht.
Als das Wasser über mir zusammenschlug, hatte ich einen Moment lang Angst, der Täufer würde mich so lange unter Wasser drücken, bis ich ertrinken würde.
Und als ich dann aus dem Fluss stieg und alle klatschten und riefen „Halleluja, Amen, Halleluja, preiset den Herrn!“ da wußte ich: es stimmt, was mir die Brüder mitgegeben hatten als Leitwort:
Du bist eine neue Kreatur.
Alles war wie abgespült, was früher gewesen war, was mich immer so fertig gemacht hatte..
Ich fühlte mich wie neu geboren!

Und anfangs ging auch alles gut, ich fühlte mich wohl in der Gemeinde, ich gehörte richtig dazu, als Sklave, stellen Sie sich das doch mal vor!
Ich durfte mitreden, und die Brüder hörten sogar auf das, was ich sagte.
Aber natürlich hatte letztlich immer noch Alessandro über mich zu bestimmen, ihm gehöre ich ja trotzdem immer noch!
Es ist, als würden zwei Welten in mir streiten, zwei Wirklichkeiten!
Ich fand das schwierig, manchmal wußte ich kaum, wonach ich mich richten sollte, und wie ich mein neues Leben als Christ führen sollte.
Vollends kompliziert wurde es dann, als die sogenannten „Geisterfüllten“ bei uns auftauchten.
Zuerst habe ich nur gedacht: „Was sind das denn für komische Angeber?“
Da stand doch tatsächlich einer auf, mitten im Gottesdienst, als gefragt wurde, wer denn heute die Auslegung der alten Texte und Jesusgeschichten übernehmen wolle, und behauptete, er habe längst den Stand der Vollkommenheit erreicht!
Er sei schließlich getauft.
„Das sind wir doch auch“, sagte ich zu Aquilus, der gerade neben mir stand.
„Ja“, antwortete er, „und trotzdem ringen wir immer wieder mühsam um den richtigen Weg!
Wie kann der da denn einfach behaupten, er wüßte genau, was gut und richtig ist? Das geht doch zu weit!“
„Alles ist erlaubt!“ rief da gerade der Prediger.
Und wiederholte ein paar Mal: „Alles ist erlaubt, alles, versteht ihr?“
Ein paar klatschten zögernd Beifall, andere schüttelten bloß den Kopf.
Jedenfalls haben wir an diesem Abend noch stundenlang diskutiert, ob man das denn so sehen dürfe, ob wir nicht irgendwie doch verantwortlich seien für unsere Welt, solange wir noch warten auf die Wiederkunft Christi, und und und...

Aber von dem Tag an wurde es anders in der Gemeinde.
Es kam sogar vor, dass Gemeindeglieder Prozesse gegeneinander führten, vor einem weltlichen Gericht! Das wäre vorher undenkbar gewesen!
Und einige ließen sich verleiten, Fleisch zu kaufen auf dem Markt direkt hinter dem Tempel der Aphrodite, obwohl man nie weiß, ob es nicht vielleicht doch von Opfertieren stammt, die der Göttin geopfert wurden.
Und es gab sogar Gemeindemitglieder, die wieder zu den Tempelprostituierten hineingegangen sind!
Früher fanden wir das ja alle völlig normal, aber inzwischen weiß ich ja, dass das Götzendienst ist!
Denn ich gehöre ja Christus mit Haut und Haar, so wie ein Sklave seinem Herrn, und wir sind als seine Gemeinde der „Leib Christi“ hier auf der Erde.
Wenn ich also m it einer Dienerin der Aphrodite schlafe, dann verbinde ich im Grunde Christus mit der Aphrodite - und da gruselt es mich richtig!
Den Geisterfüllten war das egal, sie waren ja schon nicht mehr ganz von dieser Welt.
Die schwebten ja immer ein paar Meter über dem Boden der Tatsachen.
Und Tatsache ist, dass die Tempelmädchen zwar Sex gegen Geld verkaufen müssen, aber sie selber gehören den Tempelwärtern, sind Sklavinnen -so wie ich.
Deswegen reagiere ich da wohl auch so empfindlich und denke: wir haben doch auch Verantwortung füreinander als Christenmenschen, oder?
Deswegen finde ich es gut, dass Paulus die Dinge beim Namen genannt hat.
Er hat ja so recht, wenn er sagt: „Es ist zwar alles erlaubt, aber nicht alles tut euch wirklich gut!“
Aber wie findet man das heraus?
Muß nicht jeder für sich immer wieder die Frage neu stellen und beantworten: Was ist richtig, was ist falsch?“

Hier verlassen wir Claudios Bericht, denn dies ist nun allerdings ein Streit, der weit über Korinth hinausreicht und sich durch 2000 Jahre Kirchengeschichte hinzieht.
„Ein Christenmensch ist ein freier Herr aller Dinge und niemandem untertan“ sagt Martin Luther, und zugleich: „Ein Christenmensch ist ein dienstbarer Knecht aller Dinge und jedermann untertan.“
Den einen Satz gibt es nicht ohne den andern, der Konflikt läßt sich nicht nach der einen oder anderen Seite hin auflösen, ein für allemal und für alle Zeiten und jeden Menschen entscheiden.
Es kommt darauf an, mit dieser Spannung leben zu lernen, am besten nach dem klugen Satz des Augustinus: „Liebe,. und dann tu was du willst.“
Amen.


* Vom „Kirchlichen Dienst in Freizeit, Erholung und Tourismus“ mitveranstalteter Lauf über 8 Etappen an der Küste im Rahmen der Dekade der Kirchen gegen Gewalt mit dem Thema „Mach nicht Halt, lauf gegen Gewalt“.


Elisabeth Tobaben
Inselkirche Juist
Elisabeth.Tobaben@evlka.de

 


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