Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, J. Neukirch, C. Dinkel, I. Karle

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9. Sonntag nach Trinitatis, 13. August 2006
Predigt zu Lukas 18, 1-8, verfasst von Niels Henrik Arendt (Dänemark)
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


(Text der dänischen Perikopenordnung)

Das Evangelium von heute endet mit einer sehr direkten Frage:

Wird Jesus, wenn er kommt, überhaupt Glauben auf Erden finden? Jesus stellt die Frage seinen Jüngern. Sie muss weh getan haben. Sie meinten doch von sich selbst, dass sie glaubten.

Die Frage schmerzt genauso, wenn sie uns gestellt wird: Gibt es den Glauben bei uns, ist da überhaupt etwas, was der Rede wert wäre? Hat das, was wir als unseren Glauben betrachten, überhaupt etwas mit Glauben zu tun? Wenn es unser Glaube ist, der auf der Waagschale liegt, schlägt die Waage dann überhaupt aus? Sören Kierkegaard, der nicht viel Vertrauen zu dem Ernst im Glauben vieler Menschen besaß, grübelte einmal über die Frage Jesu nach, ob er zu gegebener Zeit Glauben auf Erden finden werde. Kierkegaard sah voraus, dass der Abfall vom Christentum immer größer werden würde. Am Ende würden nicht mehr eigentliche Christen übrig sein, als es ganz am Anfang gegeben hatte (aber natürlich viele sogenannte Christen). Der einzige Trost, den Kierkegaard in dieser Misanthropie zu sehen vermochte, bestand darin, dass die allerletzte Zeit nicht mehr fern sein konnte – gemessen an dem Abfall, den er in seiner eigenen Zeit beobachtete.

Es ist wirklich eine ernste Frage, die Jesus stellt, eine schmerzliche, provozierende Frage. Stellen wir sie uns im Ernst selbst, dann wird uns klar, dass wir mit ganz uns gar nichts aufwarten können. Wir sollten sie vielleicht etwas öfter an uns selbst richten – jedesmal dann, wenn wir anfangen, uns ein wenig besser vorzukommen als andere, jedesmal dann, wenn wir uns selbst zu Richtern aufwerfen, wenn wir glauben, alles besser zu wissen, oder wenn wir überzeugt sind, dass wir Recht haben? Würde Jesus überhaupt irgendetwas wie Glaube an uns wiedererkennen können, wenn wir vor ihm stehen?

Nun ist die Frage gestellt. Aber wenn wir weiterkommen wollen, müssen wir uns Klarheit schaffen, was Jesus unter Glauben versteht. Und davon gibt er uns selbst ein genaues Bild mit seiner kleinen Erzählung von der bittenden Witwe. Stellen wir die Gegenfrage: was ist dieser Glaube?, wenn Jesus nach unserem Glauben fragt, dann lautet die Antwort: Es war eine Witwe... Sie, die allen Grund hatte, aufzugeben, zu sagen: jetzt gibt es niemanden mehr, der helfen könnte, – sie gab nicht auf. Sie hielt aus. Daher wissen wir dies vom Glauben. Glaube ist Ausharren.

Die Witwe ist ein Bild des wahren Glaubens. Der ungerechte Richter dagegen ist kein Bild von Gott. Denn Jesus fährt fort und sagt, wenn der Ungerechte so handeln kann, wie viel mehr sollte da nicht Gott, der Gerechte, seinem Kind zu Hilfe kommen. Das ist das Zweite, was wir über den Glauben lernen: er ist Zutrauen zu Gott. Glaube ist nicht, wenn man meint, es gebe gewiss irgendwo einen Gott. Was bedeutet überhaupt so eine Aussage in unserem Leben? Es geht nicht um Meinungen, sondern darum, Gott zu glauben, wenn er verspricht, uns beizustehen. Glaube ist: etwas ganz Bestimmtes von Gott zu glauben – nämlich das, was Jesus über ihn erzählt. Und das macht einen großen, einen entscheidenden Unterschied in unserem Leben aus. Deshalb ist Glaube an Gott auch dies, dass wir Jesus für glaubwürdig halten in dem, was er über Gott zu erkennen gibt. An Gott glauben und Jesus in dem glauben, was er sagt, diese beiden Dinge lassen sich im Christentum nicht voneinander trennen.

Ausharren und Vertrauen – das ist der Glaube, von dem Jesus überlegt, ob er ihn finden wird. Und es ist gar nicht so merkwürdig, dass er sich diese Frage stellt, denn wir wissen ja nur zu gut, dass wir genau hier unsere Schwierigkeiten haben können. Wir sind nicht so stark, wir geben leicht auf, geben dem Missmut freien Lauf.

Am schlimmsten ist es nachts. Ich glaube, viele kennen das. Da tun wir uns schwer, am Glauben festzuhalten. Wir machen uns Sorgen. Wir denken, sei es im Verhältnis zu unserer Familie oder im Verhältnis zu unserer Arbeit oder im Verhältnis zur Welt oder im Verhältnis zu uns selbst – wir denken: wie soll es nur gehen? wie kann das gut enden? hättest du vielleicht anders handeln sollen – und warum hast du es dann nicht getan? Man liegt da und versteigt sich immer mehr in seinen Gedanken, man wird immer bedrückter, mutloser. Ich zweifle nicht, dass auch die Dunkelheit eine Rolle spielt in solchen Schicksalsstunden, und ich finde, es gibt immer mehr davon, je älter man wird.

Abendlicher Seufzer, nächtliches Weinen, Ratlosigkeit, seelische Qual – unser Liederdichter Grundtvig kannte diese Phänomene. Das Aufgeben, die Schwermut.

Wenn es einem so geht, hat man zwei Möglichkeiten. Man kann sich dem hingeben. Man kann die Nacht sein Herz umlagern lassen. Man kann der Müdigkeit und Mutlosigkeit den Sieg überlassen und einfach nur weiterspekulieren, man dämmert so dahin und schläft am Ende ein, weil der Körper glücklicherweise sein Recht verlangt. Die zweite Möglichkeit ist, nicht aufzugeben, nicht müde zu werden – und zu beten. Und um nicht missverstanden zu werden: die Finsternis, der Missmut können uns auch am hellichten Tage überwältigen. Jesus erzählt sein Gleichnis ja gerade Menschen, denen es so geht. Er erzählte, sie sollten immer beten und nie müde werden, sagt Lukas. Jesus muss gewusst haben, wie unglaublich kurz der Weg ist vom Ruf des Glaubens: nun habe ich nur dich, mein Gott, aber wenn ich nur dich habe... bis zu dem Seufzer des Unglaubens: ich habe niemanden, der mir hilfen will. Und es kann wohl in beide Richtungen gehen. Es ist, als handele es sich nur um zwei Seiten derselben Ratlosigkeit, und man kann nicht sagen, welche Seite die Oberhand gewinnt.

Ausharren und Vertrauen, Misstrauen und Aufgeben – wo soll das enden? Nun aber ist die Botschaft an uns, dass Jesus also nicht unberührt ist von unserem unsicheren und ratlosen Vorwärtstaumeln. Er will mit großer Macht die schwachen Keime der Ausdauer und des Vertrauens in uns fördern. Wird er Glauben bei uns finden?, so wird gefragt. Aber wenn wir heute genau hinhören, dann hören wir, dass er selbst an ihm festzuhalten sucht. Wir dürfen Gott bitten, im Vertrauen auf ihn und das Leben bewahrt zu werden. Und schon damit, dass wir das tun, haben wir das Richtige getan, sind wir auf wunderbare Weise schon den größten Teil des Weges gegangen.

Das Evangelium von heute ist wahrhaftig eine Quelle des Freimuts und Lobgesangs. Dass wir Tag und Nacht mit Vertrauen und Zuversicht der Zukunft entgegensehen können. Gott ist da. Anstatt zu fragen: wie soll das ein gutes Ende nehmen, hat die Frage zu lauten: wie kann das anders enden als gut?

Und wenn der Text die direkte Frage stellt: gibt es überhaupt das Ausharren und das Vertrauen bei uns, das Jesus Glauben nennt, ja, dann braucht selbst diese Frage in all ihrem Ernst uns nicht zu veranlassen, aufgebend den Kopf zu schütteln. Gott gibt uns, was nötig ist – er gibt uns die Macht, die die Witwe den ungerechten Richter gegenüber besaß. Glauben wir Jesus auf sein Wort, dann haben wir das Recht, auf Gott mit all dem einzustürmen, womit wir selbst nicht fertig werden zu können meinen. Er, der alle Macht im Himmel und auf Erden hat, gibt uns Macht über sich selbst. Das Ausharren und das Vertrauen sind keine Charaktereigenschaften oder besondere Fähigkeiten – sie sind Waffen, die uns in die Hand gegeben sind, die wir gebrauchen können und mit denen wir den Stärksten auf unserer Seite haben.

Amen

Bischof Niels Henrik Arendt
Ribe Landevej 37
DK-6100 Haderslev
Tel.: +45 74 52 20 25
E-mail: nha@km.dk

Übersetzung aus dem Dänischen: Dietrich Harbsmeier

 


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