11. Sonntag nach Trinitatis, 27. August 2006 |
Liebe Gemeinde! - „Paulus“, möchte man am liebsten sagen und in ein Gespräch mit ihm eintreten, „das sind dogmatisch-formelhafte Aussagen, die du hier machst. Manches davon glaube ich zu verstehen, schon deshalb, weil es in der Reformationszeit eine Wirkungsgeschichte ausgelöst und zur Neugründung einer Kirche geführt hat. Aber vieles bleibt mir in seinem Sinn und seiner Logik verborgen. Mit meinem Leben hat das nichts zu tun.“ - Und vielleicht würde Paulus antworten: - „Entschuldige, Paulus, wenn ich dich unterbreche. Aber war denn dieser Streit überhaupt nötig, wegen solch nebensächlicher Fragen des Kults. Viele Leute draußen werden ohnehin nur verständnislos den Kopf geschüttelt und den Streit als Theologengezänk abgetan haben. In unserer Zeit wird auch aus den Reihen der Kirche selbst immer wieder ein eindeutig erkennbares christliches Profil gefordert, das die Kirche nach außen haben muss. Wir reden vom Corporate-Identity-Bewusstsein, dass alle Mitarbeitenden in der Kirche haben sollten. Damit die Kirche identifizierbar bleibt in einer pluraler werdenden Gesellschaft. Ist da ein interner Streit nicht eher kontraproduktiv. Müsste nicht der Erkennbarkeit nach draußen eine geistige Formierung nach innen korrespondieren? Tendenziell gilt bei uns die Devise: Die Einheit hat Vorrang vor der Klärung von Wahrheitsfragen.“ - Darauf Paulus: „Nein, die Einheit rangiert nicht vor der Wahrheit, schon gar nicht bei Fragen, in denen es um das gelingende oder misslingende Leben geht. Man kann doch nicht den Streit um die Wahrheit unterdrücken. Ein erzwungener Konsens hätte ohnehin nicht langel Bestand. Und eine geistige Formierung passt nicht zum christlichen Glauben, in dem jeder Einzelne Verantwortung für seinen Glauben trägt. Ich war vor meinem Beitritt zum Christentum selbst ein praktizierender Jude, noch dazu ein strenger. Über die Maßen habe ich das Religionsgesetz studiert und mich bemüht, seine Gebote zu halten. Aber dann habe ich erkannt, dass die Sünde gegenüber Gott nicht darin bestand, dass ich die Gebote nicht hinreichend erfüllte. Vielmehr in meiner Eigenmächtigkeit. In meinem Willen, aus eigener Kraft zu leben, um dadurch die Anerkennung anderer Menschen und Gottes zu verdienen. Ich erkannte, dass die an sich guten Gebote Gottes durch die Art und Weise meines Umgangs mit ihnen in den Sog meiner Eigenmächtigkeit gerieten. Sie wurden zum Instrument, zur Funktion meiner Selbstüberhebung, als könnte ich selbst mir durch ihre Befolgung ein gerechtfertigtes und gelingendes Leben sichern. Meine Eigenmächtigkeit hat mich immer weiter nach vorn getrieben. Ich wollte immer besser werden. Und doch ahnte ich bereits, dass sich der angestrebte Erfolg nicht einstellen würde. Ich kam mir vor wie Sisyphos aus der griechischen Sagenwelt. Immer wieder neu rollte ich den Felsen den Berg hinauf, ohne jemals dort anzukommen. Niemals hatte ich das Gefühl, dass mein Dasein in dieser Welt und vor Gott endgültig gerechtfertigt war. Aber dann ist mir ein Licht aufgegangen. Mir wurde bewusst: Du musst ja deine Daseinsberechtigung gar nicht erleisten. Du bist doch schon längst gewollt und gemocht. Du darfst schon leben. Du wurdest nicht einfach ungefragt in die Welt geworfen, um nun, einmal da, diese Daseinsberechtigung durch deine Taten nachträglich zu rechtfertigen. Das war bereits geklärt. Diese Gewissheit hatte ich. Und die andere: dass mir meine vorherige Eigenmächtigkeit vergeben war. Durch Christus. Für diese Gewissheit brauchte ich nun keine Vorbedingungen mehr zu erfüllen. Dieser Einstellungswechsel war nicht leicht. Ich musste meine Eigenmächtigkeit, den Wunsch, mich selbst und mein Leben zu kontrollieren, eintauschen gegen Ohnmacht. Musste mein Ich aufgeben und meinen Kopf in den Schoß Gottes legen, mich auf die Zusage eines anderen verlassen. Wenn sich solch eine nicht leichte Einstellungsänderung vollzieht, dann kann man doch nicht einfach schweigen, wenn andere den als falsch erkannten Weg neu propagieren. In Fragen des gelingenden und misslingenden Lebens hat die Wahrheit immer Vorrang vor der Einheit. - „Paulus, du hast vorhin gesagt, dass deine Gegner dir nicht nur deine Autorität als Apostel streitig machen, sondern auch noch deine theologische Kompetenz anzweifeln. Was heißt das konkret?“ - „Sie werfen mir vor, ich würde die Gnade Gottes in der Geschichte Israels und seine besondere Gnade im jüdischen Gesetz für ungültig und nichtig erklären. Nichts davon ist wahr. Nicht die Gebote Gottes sind schlecht, sondern unser Umgang mit ihnen. Dass wir sie in unsere Eigenmächtigkeit einziehen . Hier gibt es nur die Alternative: entweder die nachträgliche Selbstrechtfertigung aus den eigenen guten Leistungen und Taten oder aber das Vertrauen auf das gnädige Urteil Gottes, dass wir längst gerechtfertigt sind. Beides zusammen geht nicht. Wenn die Daseinsrechtfertigung durch uns selbst geschehen kann, dann ist Christus umsonst gestorben. Und sie sagen, dass Christus die Sünde billige, wenn er sie vergibt. Sie haben ein sehr verdünntes Verständnis von dem, was „Sünde“ bedeutet. Es ist im tiefsten jene Eigenmächtigkeit: der Wille, sein eigener Gott sein zu wollen, das Leben aus eigener Kraft zu führen, die selbstmächtige Selbstrechtfertigung. Derjenige, der sich dessen gewiss sein kann, dass er längst gerechtfertigt ist, gibt doch diese Eigenmächtigkeit auf, nimmt Abschied davon. Nicht mehr das eigenmächtige Ich macht diesen Menschen aus, sondern das Vertrauen auf Gott, dass er längst gerechtfertigt ist. Ich werde nicht in meinem eigenmächtigen Sein bestätigt, sondern im Gegenteil davon getrennt. Deshalb habe ich gesagt: „Ich lebe, doch nun nicht ich, sondern Christus lebt in mir.“ Christus wäre nur dann ein Diener der Sünde, wenn man sich damit trösten würde, dass man zwar gesündigt hat, dass nun aber alles vergeben ist und man weiter bleibt, was man war. Wenn die Gnade keine Buße zur Folge hätte.“ - An dieser Stelle würde ich Paulus unterbrechen und sagen: - Und Paulus würde ein letztes Mal wohl mit Gegenfragen antworten: Amen Dr. Hans-Georg Babke
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