Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, J. Neukirch, C. Dinkel, I. Karle

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13. Sonntag nach Trinitatis, 10. September 2006
Predigt zu Matthäus 20, 20-28, verfasst von Arne Ørtved (Dänemark)
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


(Text der dänischen Perikopenordnung)

Es ist manchmal gar nicht so leicht, Mutter zu sein. Es ist ja nicht nur dies, dass es schwer und schmerzvoll ist, das Kind zu erwarten und zur Welt zu bringen und die meiste Zeit für das Kind dazusein, solange es noch klein ist. Sondern es geht auch darum, dass man so eng an seine Kinder gebunden ist. Vielleicht ist es bei Müttern von der Hand des Schöpfers so gemacht; vielleicht entsteht es während der Zeit des Wartens und bei der Geburt. Jedenfalls sind Mutter und Kind gefühlsmässig so eng miteinander verbunden, dass das Band zwischen ihnen fast nicht zerrissen werden kann.

Muttergefühl heißt das mit einem populären Wort; aber es ist sehr viel mehr als ein Gefühl; es ist auch eine fast unendliche Fürsorge und ein Sich-Sorgen-machen weit über das hinaus, was notwendig wäre, weil die Kinder doch in der Regel irgendwann einmal selbständig werden. Sie können nicht nur auf eigenen Beinen stehen, so sollen es auch.

Es ist notwendig, dass sich die Kinder, wenn es an der Zeit ist, von ihrer Mutter losreißen, und dass die Mutter sie loslässt. Für beide Seiten ist das oft ein harter Prozess. Und manchmal geht es so schief, dass es nicht gelingen will. Mutter und Kind bleiben fortgesetzt abhängig voneinander, so dass das Kind nie erwachsen wird und sich nie wirklich einem anderen Menschen zuwenden und ihn von ganzem Herzen lieb gewinnen kann. Daraus kann viel Unglück entstehen, das oft sogar auch Unschuldige trifft.

Dachte Jesus nicht genau daran, als er einmal in einer Diskussion über Ehe und Scheidung sagte, dass ein Mann seinen Vater und seine Mutter verlassen und sich an seine Ehefrau halten soll, und dass die beiden ein Fleisch sein sollen? Die mütterliche Fürsorge, die für kleine Kinder so gut und notwendig ist, kann sich zu einer unerträglichen und gefährlichen Tyrannei entwickeln. Auch viele Volksmärchen handeln von dieser Problematik.

Mütter sind ja nicht böse, wenn sie so handeln. Ganz im Gegenteil; es ist beinahe so, dass sie zu gut sind. Es beherrscht sie und wird zu einer Art Besessenheit. Sie wollen die Kinder nicht entlassen, denn dann müssten sie fürchten, nichts mehr zu haben, wofür sie leben sollten. Sie klammern sich an die Mutterrolle.

Es beginnt mit der Liebe zwischen einer Mutter und ihren Kindern. Und es ist doch gerade der Sinn des Lebens, dass man seinen Nächsten lieben soll anstatt sich selbst; und der allernächste Nächste, den eine Frau haben kann, ist ihr eigenes Kind. Aber dann hat sie Angst vor ihrer eigenen Liebe, weil sie so groß und so anspruchsvoll ist, und sie verwandelt sich in ihr Gegenteil, – nicht in Hass, sondern in Macht. Und Mütter haben große Macht, denn sie können den Kindern ein anhaltendes Schuldgefühl einflößen, wenn sie immer und ewig zu hören bekommen, wieviel ihre liebe Mutter für sie getan habe. Sie tragen allmählich an einer unüberschaubaren Schuld ihr gegenüber; und ihre Tränen sind immer so berechtigt.

Nun könnten sich meine Gedanken vielleicht so anhören, als hätte ich etwas gegen Mütter. Im Gegenteil! Ich finde, dass Mütter eine der besten Erfindungen des Schöpfers sind. Nein, ich sage dies alles nur, um zu zeigen, wie unermesslich schwer es ist, Mutter zu sein; und glücklicherweise bewältigen die meisten die Aufgabe auf die allerbeste Art und Weise. Zugleich können wir besser verstehen, warum die Mutter der Zebedäussöhne mit ihren beiden erwachsenen Söhnen zu Jesus kommt, um ihnen einen Platz im Himmel in der Nähe Gottes zu sichern. Hier ist das Maß der mütterlichen Fürsorge gewiss überschritten. Die Söhne sind doch erwachsen; und nicht einmal die Kraft einer Mutter würde reichen, um nach dem Tode und der Endzeit für ihre Kinder zu sorgen.

Man kann sich wohl ein bisschen darüber wundern, dass dieses kleine Ereignis der Nachwelt überliefert worden ist, denn es ist doch etwas peinlich, sowohl für die Mutter als auch für die beiden Söhne und nicht zuletzt auch für die Jünger, die nachher unwillig sind über den Versuch der Muttersöhnchen, sich in der künftigen Seligkeit einen Vorsprung zu verschaffen. Aber der Bericht steht also da; und am heutigen Sonntag hören wir ihn, wir, die wir all das sehr wohl kennen, was sich da zwischen ihnen abspielt.

Ja! Wir! – Viele Mütter sind heute in der Kirche – und viele Söhne – und viele eifersüchtige Jünger. Es könnte faktisch kaum besser sein. Hier ist alle Aufmerksamkeit konzentriert auf eine recht emsige Mutter, auf ein paar Söhne, die ihre alte Mutter vorschieben, und auf einige kleinliche Kameraden, die Angst haben, dass ihnen etwas entgeht. Was sagt Jesus zu ihnen? Was sagt er zu uns?

Ihr wisst nicht, was ihr bittet! Könnt ihr den Kelch trinken, den ich trinken werde? – Wenn wir das in unsere moderne Welt übersetzen, bedeutet das: Könnt ihr das durchmachen, was ich durchmachen werde mit Kreuzigung und Tod? Ja! – Nein, aber danach haben wir ja gar nicht gefragt. Nein, aber es gehört trotzdem zur Sache, denn wir können nichts von hier mitnehmen, wenn wir einst sterben müssen. Weder Geld noch Verheißungen, heimliche Absprachen, Verdienste, Frommigkeit, Ehre, Charme und womit wir uns sonst noch schmücken können oder worauf wir uns hier auf Erden stützen können. – Alles das wird mit uns vergehen, wenn wir sterben. Nichts können wir mit uns nehmen; nichts können wir Gott gegenüber oder im Reich der Liebe, das am selben Ort ist, gebrauchen.

Das sagt Jesus zu der lieben Mutter. Nicht einmal die Liebe einer Mutter kann etwas bewirken, weil die Plätze im Reich Gottes gegen keinen Preis käuflich sind, nicht einmal für etwas so Großes wie die Mutterliebe. Nicht einmal Jesus selbst kann diese Plätze jemandem versprechen, und zwar nicht, weil er keine Macht oder keinen Einfluß im Reich seines Vaters hätte; sondern weil dort nichts nach derartigen Regeln vor sich geht, wo man Vorabsprachen und andere Vorteile erlangen kann.

Im ersten Augenblick kann man leicht enttäuscht sein, ja, vielleicht sogar böse, wenn man das hört. Ich meine: Wo kommen wir denn da hin? Dann würde es ja überhaupt nichts nützen, dass man getauft ist und in die Kirche geht und sich ordentlich benimmt und mit Jesus gut Freund ist und ganz stark an ihn glaubt! – Nein, das nützt keine Spur; man kann gar nichts machen.

Aber wenn man sich dann die Sache überlegt und sich selbst und seine eigenen Vorzüge oder seinen Mangel an Vorzügen etwas genauer betrachtet, mag es wohl so kommen, dass man plötzlich sehen kann, dass er sehr gut so ist, dass die Dinge im Reich Gottes nicht nach gewöhnlichen Regeln vor sich gehen; sondern dass wir Ihn über die Plätze und alles andere dort souverän bestimmen lassen.

Es gibt eine andere Art, Menschen zu betrachten, als die unsrige, eine andere Art, sie zu beurteilen, als nach Verdienst. Es gibt eine andere Art, ein Reich einzurichten, als das Reich, in dem man sich auf gesetzlichem und ungesetzlichem Wege Rechte verschafft. Es gibt eine andere Art, miteinander zu leben, als die, bei der man immerzu den anderen zuvorkommen und sich selbst Position, Macht, Vorteile schaffen muss.

Das Reich Gottes ist völlig anders als unser Reich. In jeglichem Punkt. Alles ist auf ganz andere Weise eingerichtet und funktioniert ganz anders, nämlich nach der Gesinnung und dem Maßstab Gottes. Dort ist alles von Liebe durchdrungen; deshalb weiß man auch nie, wer die Ehrenplätze bekommt; nur Gott weiß es, wenn die Zeit gekommen ist. Dort geht es darum, sich immer selbst zu vergessen in der Inanspruchnahme durch den anderen Menschen; es geht darum, zu dienen, anstatt sich dienen zu lassen.

Das bringt keinerlei Vorteile mit sich, es sei denn für die Kleinen. Für die, die hier in unserer Welt allzeit außenvor gehalten werden oder im Kampf um Vorteile und Macht unterlegen sind. Vielleicht sehen wir jetzt ein, welch wunderbare Erleichterung es sein muss, alle verbissene Energie abzulegen in einem Reich, in dem man das Leben nur um seiner selbst willen leben kann, ohne etwas zu erreichen, ohne sich vorzudrängeln, sondern in dem man sich freimütig und heiteren Sinnes seinem Nächsten zuwenden und das Leben mit ihm oder mit ihr in Liebe teilen kann.

So ist es im Reich Gottes. Und es hat bereits begonnen, wenn wir hier den Mut und das Vertrauen bekommen, unser Eigenes aufzugeben und uns Christus anzuvertrauen, der sein ganzes Leben unter diesen Bedingungen gelebt hat, und mit dem zusammen Tag und Nacht zu leben und zu sterben wir getauft sind.

Amen!

Pastor Arne Ørtved
Birkebæk 8
DK-7330 Brande
Tlf.: ++ 45 – 97 18 10 98
E-mail: ortved@mail.dk

Übersetzung aus dem Dänischen: Dietrich Harbsmeier

 


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