Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, J. Neukirch, C. Dinkel, I. Karle

Spenden Sie dem Förderverein Göttinger Predigten im Internet e.V.
für die Fortführung seiner Arbeit!

14. Sonntag nach Trinitatis, 17. September 2006
Predigt zu 1. Thessalonicher 1, 2-10, verfaßt von Henry von Bose
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


Liebe Gemeinde,

„Großes beginnt mit einem Brief.“ Das ist in der Schweiz an den Briefkästen der Post zu lesen. Wie mag es manchen dabei ergehen, wenn sie einen Brief einwerfen? Vermutlich beantworten etliche den Satz mit einem Schulterzucken: so weit ist es mit diesem Brief gerade nicht her, eher eine beiläufige Korrespondenz. Mitunter aber nimmt der Werbespruch: “Großes beginnt mit einem Brief“ den erhöhten Herzschlag der Absender wohl doch auf; wenn Liebe im Spiel ist, noch recht am Anfang, und die Hoffnung wächst, dass Sehnsucht in Erfüllung geht.

Vom ersten Brief des Apostels Paulus an die Gemeinde in Thessalonich lässt es sich mit Bestimmtheit sagen: mit ihm hat Großes begonnen. Dieser Brief ist das älteste Schriftstück, das uns von Paulus überliefert ist; damit zugleich ist er der älteste Teil des Neuen Testaments.

In der heiligen Schrift Belesene kennen den ersten Satz der gesamten Bibel: „Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde.“ Den Beginn des Neuen Testaments, dem historischen Ursprung nach, zu kennen, kann ebenfalls Wirkung tun. Es ist der Gruß an die Gemeinde in Thessalonich: „Gnade sei mit euch und Friede!“ Und dann liegt Paulus zuerst der Dank für den vorbildlichen Glauben der Gemeinde am Herzen.

Das ist das Urgestein des Neuen Testaments, der tragende Grund der Schriften des Evangeliums von Jesus Christus. Gnade und Friede werden gewünscht und es wird gedankt. Von Anfang an also geht es beim Reden vom christlichen Glauben darum, Beziehungen zu pflegen, sorgsam aufeinander Acht zu geben und sich des angemessenen Verstehens zu vergewissern.

Schon aus diesem ersten Abschnitt ist grundlegend zu erschließen, was Christen vom Glauben wissen sollen: wie er entsteht, woran er sich erweist und wo er sich zu bewähren hat. Klingt das noch wie die knappe Entfaltung einer Lehre vom rechten Glauben, wird zugleich unüberhörbar deutlich, wie tief der christliche Glaube Menschen mit neuer Lebenskraft erfüllt, mit bis dahin ungeahnter Freiheit beschenkt.

„Liebe Brüder, von Gott geliebt, wir wissen, dass ihr erwählt seid.“ (Vers 4)

Bereits in diesem ersten kurzen Brief, am Anfang seines umfangreichen literarischen Werks, begründet Paulus seine Sicht des Menschen aus der Mitte seiner theologischen Grundüberzeugung. Die Rechtfertigung des Menschen allein aus Gnade ist der Kern der Botschaft des Apostels. Mit ihr trägt er die Verkündigung des Heils hinaus in die Welt seiner Zeit. Später tut es in seiner Tradition die Kirche in aller Welt.

Jesus Christus hat mit seinem Leben, seinem Tod und seiner Auferstehung Rettung gebracht, ewige Bewahrung. Er hat neuen Grund gelegt für die Führung wirklichen Lebens – voller Barmherzigkeit und Gerechtigkeit. Er hat das alles aus purer Liebe für die Menschen getan, im Namen Gottes und der Kraft des Heiligen Geistes.

Mit seiner unerschütterlichen Bejahung der Menschen hat er sein Werk für sie vollbracht. Von ihm, von Gottes Sohn, empfängt der einzelne Mensch sein Urteil: er erklärt ihn für recht. Das geschieht aus Gnade allein, ohne Zutun, ohne eine besondere Leistung des Menschen. Nach evangelischem Verständnis ist und bleibt ein Mensch lebenslang für die Anerkennung bei Gott auf diese Gnade angewiesen: das macht ihn um Christi willen zum rechten Menschen. Gott verheißt ihm in seiner Treue: ich bleibe dein gnädiger Gott.

So erklärt Paulus in seinen Predigten und dann in seinen Briefen, was Jesus Christus für die Menschen getan hat. Die Lehre der Rechtfertigung sagt es allgemein theologisch: Gott ist gnädig. Vergebung der Sünde und Gerechtigkeit vor Gott erlangen Menschen nicht durch Verdienst, Werk und Genugtuung – heißt es im Augsburgischen Bekenntnis (Artikel 4). Vor Gott gerecht werden sie aus Gnade um Christi willen durch den Glauben.

Diese Sätze sind zwar theologisch zweifelsfrei richtig, sie sollen aber auch das Herz des einzelnen Menschen erreichen und wärmen. Sie werden zum Zuspruch, zu tröstlicher Gewissheit, wenn der einzelne glauben kann: sie gelten mir, auch ich bin gemeint. Ich bin von Gott anerkannt, ich bin ihm recht. Er vergibt mir und nimmt alles weg, was mich von ihm trennen könnte.

Die allgemein formulierte Lehre wird zu meiner konkreten, persönlichen Wahrheit: so geschieht mir Gnade. So wächst und lebt in mir das Bewusstsein, Gottes Wahl ist auf mich gefallen, er hat mich aus seiner unergründlichen Liebe erwählt. Der feste Grund dafür, dass ich Christ bin, liegt hier: in Gottes Erwählung.

Von diesem Grundverständnis persönlicher Glaubenserfahrung schreibt Paulus an die von ihm gegründete Gemeinde in Thessalonich. Er bekräftigt ihnen in seinem Brief aus Athen was er ihnen erklärt hat, als er bei ihnen war. Er verbindet was er den Glaubensgeschwistern sagen will mit einer starken eigenen Anteilnahme.

Er betont deshalb zu Beginn seine Dankbarkeit. Sie haben seine Predigten so hören können, dass ihnen das Herz für den Glauben erschlossen wurde. Das verdanken sie wie jeder Mensch der Kraft des Heiligen Geistes: dass sie glauben können, sich von ihren ehemaligen Göttern zu Gott, dem Vater bekehrten, dass sie die ihnen eröffnete Freiheit zur Liebe in den Dienst an ihre Mitmenschen stellen und all ihre Hoffnung auf den Herrn richten.

Glaube, Liebe, Hoffnung: auch dieses Motiv zieht sich von hier aus, also von Anfang an wie ein roter Faden durch die paulinischen Briefe.

Der von Gottes eigener Kraft gewirkte Glaube erweist sich in der täglichen liebevollen Mühe um die Bedürfnisse der Nächsten. Darin bewähren sich die Gemeindeglieder in Thessalonich vorbildlich. Sie folgen dem Beispiel ihres Apostels und richten sich nach seinen konkreten Hinweisen.

So weit es in ihrer Macht steht, weisen sie Unordentliche zurecht, trösten sie Kleinmütige und tragen Schwache (5,14). Nach aller Möglichkeit hüten sie sich davor, zu weit zu gehen und andere im Handel zu übervorteilen (4,6).

Solche anspruchsvollen Regeln machen anschaulich, warum Paulus betont: dem Beispiel des Herrn folgen, bedeutet, das Wort Gottes gelten zu lassen sowohl in guter Zeit als auch in Bedrängnis.

An seinem eigenen Beispiel weist Paulus auf solche Bedrängnis hin. Er weiß wie schwer es ist, an der Treue im Glauben, der Arbeit in der Liebe und der geduldigen Hoffnung festzuhalten, wenn Menschen einen dabei ablehnen und sogar verdrängen wollen, ja verfolgen. Paulus ist in seinem ganzen öffentlichen Wirken von Anfechtung begleitet gewesen. Nur wenige Menschen haben ihm zunächst die Türen und die Herzen geöffnet. Er hat sich für seine neue Lehre verteidigen müssen, in den jüdischen Gemeinden und den religiös ganz anders geprägten Gemeinschaften seiner Zeit ist er stark angefeindet worden.

Nicht anders ergeht es der jungen Gemeinde, die er in Thessalonich gegründet hat. Sie hat den Glauben an den gekreuzigten und auferstandenen Christus in einer der neuen Lehre befremdet gegenüberstehenden Atmosphäre zu behaupten, - in einer blühenden Hafenstadt mit regem kulturellem Leben, einer ausgeprägten Verehrung des Fruchtbarkeitsgottes Dionysos und den ägyptischen Gottheiten Isis, Sarapis und Osiris. Die Christen in Thessalonich haben es in ihrer Stadt mit dem Glauben an das Kreuz und die Auferstehung Christi genauso schwer wie mit ihrer Lebensführung nach Gottes Geboten. Deshalb schickt Paulus der Gemeinde seinen Begleiter Timotheus zur Unterstützung. Er soll sie stärken, damit sie in ihren Bedrängnissen nicht wankend werden (3,2f).

Paulus wird später an diesen seinen Mitarbeiter selbst schreiben: „Alle, die fromm leben wollen in Jesus Christus, müssen Verfolgung leiden“ (2. Tim 3,12). Immer wieder bedeutet, dem Beispiel Jesu folgen, im Schatten seines Kreuzes stehen und wegen des Glaubens an ihn Leid tragen müssen.

Verfolgung wegen des Glaubens kennen wir in unserer Gesellschaft hier im Westen seit 60 Jahren nicht mehr. In der ehemaligen DDR war das bis vor 17 Jahren noch ganz anders. Wer Erfahrungen aus der Ökumene hat, in Südamerika, in Asien, weiß dagegen durchaus von Beispielen bitterer Verfolgung bekennender Christen auch heute.

Bedrängt fühlen sich aber natürlich auch Menschen hier bei uns, die daran tragen, dass sie trotz ihres Glaubens und aller Treue im Alltag unverständlich Schweres zu erleiden haben. Die Erfahrung, glauben zu können, geht nicht mit aneinander gereihten Erfolgserlebnissen einher. Ganz gewiss aber mit Anfechtungen und Belastungen, die tragen zu müssen, viele als sehr anstrengend erleben, die immer wieder auch tragen zu können, sie zugleich aber als eine ganz eigene Gnade erfahren.

Die Demenzerkrankung des Ehepartners nach jahrzehntelanger Lebensgemeinschaft mit allen schrecklichen Begleiterscheinungen aushalten müssen; die schier aussichtslose Arbeitslosigkeit des eigenen Kindes und die mit ihr zerstörten Hoffnungen nicht überwinden können; mit den Folgen eines verhängnisvollen Fehlers, ob nun schuldhaft oder mit gutem Glauben begangen, leben zu müssen – immer wieder gelingt es einzelnen, solche Last in einem Maß mit dem Glauben zu verbinden und Trost trotz allem zu empfinden, dass andere sich das zum Vorbild nehmen. Sie geben Anlass, dafür zu danken, dass sie bei aller Not auf Gottes Wort hören, neu Geduld in der Hoffnung finden und Mur zur Arbeit in der Liebe.

Treu sein können in Bedrängnis: das gehört zum Leben mit dem Glauben in der Reife der zunehmenden Jahre.

Treu sein können in guter Zeit, nicht weniger. Zur Zeit des eigenen Wohlergehens das Danken nicht vergessen und ebenso wenig ohne Not die Bedrängten, das erfordert einen selbstkritischen Umgang mit meinen eigenen Begabungen des Glaubens.

„Großes beginnt mit einem Brief“. Die Werbung der Schweizer Post um mehr Schriftlichkeit bestätigt eine Urerfahrung des christlichen Glaubens. Mit den Briefen des Apostels nimmt sie ihren Anfang.

Zuerst geht es im Glauben immer um den Dank. Dankbarkeit ist eine der stärksten Kräfte des Glaubens: ich weiß, dass Gott selbst mit seinem Geist die Freiheit zum Glauben, zur Liebe und zur Hoffnung gibt.

Ein anderer Satz aus der Schweiz, ein Hausspruch in Chur aus dem 18. Jahrhundert sagt: „Dem, den Gott liebt, er auch ein Herz zum Danken gibt.“

Amen.

Henry von Bose, Kirchenrat
Mitglied im Vorstand des Diakonischen Werks Württemberg
c/o Jaud.C@Diakonie-Wuerttemberg.de

 


(zurück zum Seitenanfang)