Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, J. Neukirch, C. Dinkel, I. Karle

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14. Sonntag nach Trinitatis, 17. September 2006
Predigt zu 1. Thessalonicher 1, 1-10, verfaßt von Heiko Naß
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


1 Paulus und Silvanus und Timotheus an die Gemeinde in Thessalonich in Gott, dem Vater, und dem Herrn Jesus Christus: Gnade sei mit euch und Friede!
2 Wir danken Gott allezeit für euch alle und gedenken euer in unserm Gebet
3 und denken ohne Unterlass vor Gott, unserm Vater, an euer Werk im Glauben und an eure Arbeit in der Liebe und an eure Geduld in der Hoffnung auf unsern Herrn Jesus Christus.
4 Liebe Brüder, von Gott geliebt, wir wissen, dass ihr erwählt seid;
5 denn unsere Predigt des Evangeliums kam zu euch nicht allein im Wort, sondern auch in der Kraft und in dem heiligen Geist und in großer Gewissheit. Ihr wisst ja, wie wir uns unter euch verhalten haben um euretwillen.
6 Und ihr seid unserm Beispiel gefolgt und dem des Herrn und habt das Wort aufgenommen in großer Bedrängnis mit Freuden im heiligen Geist,
7 so dass ihr ein Vorbild geworden seid für alle Gläubigen in Mazedonien und Achaja.
8 Denn von euch aus ist das Wort des Herrn erschollen nicht allein in Mazedonien und Achaja, sondern an allen Orten ist euer Glaube an Gott bekannt geworden, so dass wir es nicht nötig haben, etwas darüber zu sagen.
9 Denn sie selbst berichten von uns, welchen Eingang wir bei euch gefunden haben und wie ihr euch bekehrt habt zu Gott von den Abgöttern, zu dienen dem lebendigen und wahren Gott
10 und zu warten auf seinen Sohn vom Himmel, den er auferweckt hat von den Toten, Jesus, der uns von dem zukünftigen Zorn errettet.

Liebe Gemeinde,

Viele Menschen bewahren ihre Briefe auf. Einige haben dafür verzierte Schachteln oder Schatullen. Andere schnüren sie zusammen, gebündelt nach Jahr oder Absender, sorgfältig verziert mit einer Schleife, hinterlegt in Schreibtisch, Koffern oder Schränken. Dieses Hüten und Bewahren – es ist ein Ausdruck dafür, dass Briefe doch etwas Besonderes, Kostbares bedeuten.

Ich gehöre nicht zu denen, die alle ihre Briefe behalten. Irgendwann wohl mehr aus Platznot habe ich mich dazu durchgerungen, die allermeisten Briefe, nachdem sie eine Zeit bei mir neben dem Schreibtisch eine Bleibe gefunden haben, doch zu zerreißen und – auch wenn ich jedes Mal zögere - in den Papierkorb zu geben. Nur einige habe ich aufbewahrt und ich freue mich daran, wenn sie mir wieder einmal in die Hand geraten. Ein Brief meines Großvaters, der schon viele Jahre verstorben ist. Es berührt mich, seine unnachahmlich kunstvolle, Höhe und Tiefe jeder Zeile ausschreibenden Handschrift zu sehen und darüber die Persönlichkeit dieses Menschen wieder in den Gedanken bei mir zu haben. Auch Briefe, die Menschen mir an wichtigen Stationen ihres oder meines Lebens schrieben, oder solche mit den ganz besonderen, vom Augenblick erfüllten Zeilen des Lebens gehören zu meinen Schätzen dazu.

Erinnerungen kommen näher beim Lesen heran, beinahe meint man die Stimme des Absenders wieder zu hören, es verknüpft sich der geschichtliche Faden von damals und heute.

Auch unser heutiger Predigttext ist ein solcher Brief. Er enthält Zeilen von großer Menschlichkeit und Tiefe: die Erinnerung an eine geglückte gemeinsame Beziehung, das herzliche Interesse am Wohlergehen des anderen und den Dank an Gott in dem Wissen, dass Geben und Gelingen in seiner und nicht in unserer Macht steht.

Diesen Brief schreibt der Apostel Paulus. Es ist der älteste uns überlieferte Brief der Christenheit, aufbewahrt nun beinahe schon zweitausend Jahre lang. Paulus schreibt an die Gemeinde in Thessaloniki.

Er hatte selbst diese Gemeinde zusammen mit Timotheus gegründet. Ein halbes Jahr hatte er dort in der griechischen Hafenstadt gelebt. Er kannte jeden einzelnen dort aus persönlichen Gesprächen. Die Zeilen des Briefes atmen die lebendige Erinnerung an diese glückliche gemeinsam geteilte Zeit. Wir denken ohne Unterlass vor Gott, unserm Vater, an euer Werk im Glauben und an eure Arbeit in der Liebe und an eure Geduld in der Hoffnung auf unsern Herrn Jesus Christus, schreibt Paulus.

Er wusste er sehr wohl, dass es nicht einfach war, sich in der damaligen Gesellschaft zu Christus zu bekennen. Die neue kleine Gruppe von Christinnen und Christen wurde sowohl in der jüdischen Synagogengemeinschaft wie in griechischen Nachbarschaft kritisch beäugt. Deshalb war Paulus nach seinem Abschied in einer steten Sorge, ob die Gemeinde noch weiter bestehen oder sich doch vielleicht wieder zerstreuen würde. Weil er selbst die Unruhe nicht aushalten konnte, sandte er schließlich Timotheus zurück. Eine ganze Zeit später trifft er ihn wieder. Er bringt gute Kunde: der Gemeinde geht es wohl, ja sie strahlt sogar aus auf andere christlichen Gemeinden in Griechenland. – Unter dem Eindruck dieser Nachricht schreibt Paulus seinen Brief. Noch heute spüren wir die große Freude, die sich schon in der ersten Zeile ausspricht: wir danken Gott allezeit für euch alle.

Da redet jemand, der sein Herz gebunden hat. Es wird spürbar, wie der Apostel die Menschen in seiner Gemeinde zu erreichen sucht. Lebendige Gesichter hat er vor Augen, während er seine Zeilen schreibt.

In gewisser Weise ist die Gemeinde in Thessaloniki sein Kind. Jetzt muss er sie ihre eigenen Wege gehen lassen. Nur aus der Ferne kann er mit einem Brief sich selbst dort Gegenwart verleihen und ausdrücken, was er empfindet.

Ich fühle mich beim Lesen dieser Zeilen erinnert an Briefe, die Menschen an ihre Kindern oder Patenkinder schrieben, um ihnen eine Botschaft für ihre Zukunft mit auf den Weg zu geben. Denken Sie an den Brief, den Matthias Claudius an seinen „lieben Sohn, Johannes“ schrieb und der mit den berühmten Zeilen beginnt:
Gold und Silber hab ich nicht;
Was ich aber habe, gebe ich dir,

Darum geht es in dem Brief bei dem Apostel Paulus wie auch bei Matthias Claudius, etwas davon weiter zu geben, was man im Leben als wert und wahr erfahren hat. Denn ich habe die Welt länger gesehen als du, schreibt Matthias Claudius. Aus der Erkenntnis über Zufall und die Herausforderungen im Leben, versucht er, die Summe an Wahrheit aufzuschreiben, die seinen Sohn auch ohne ihn und nach ihm sicher seinen Weg führen wird. Die Wahrheit richtet sich nicht nach uns, lieber Sohn, sondern wir müssen uns nach ihr richten. Es ist eine kunstvoll schlichte Sprache, aber sie wirkt, weil ihre Demut ehrlich ist.

Ich habe mich gefragt, was ich selbst schreiben würde, wenn ich heute meinen Kindern oder Patenkindern oder einem sonstigen lieben Menschen in einem Brief etwas von dem anvertrauen möchte, was mir wichtig ist. Ich merke, dass ich dabei aufpassen muss, um nicht allzu altersweise oder oberlehrerhaft zu sein. Ich wünsche nur, dass meine Erfahrungen meinen Briefgegenüber an seine Erfahrungen erinnern werden. Aber gleichzeitig möchte ich ihm die Freiheit lassen, zustimmend oder ablehnend zu sein.

Mir ist es wichtig, Augenblicke zu haben, an denen ich zur Ruhe kommen kann. Wer, wie wir, das Glück hat, am Meer zu wohnen, weiß nachzuspüren, wie wohltuend sich der Blick hinaus in die Weite auf den eigenen inneren Rhythmus auswirkt. Es ist so, als passte sich der Herzschlag den Bewegungen des Wassers an, an das Schlurfen der kleinen Steine in langen Wellen, wie Erich Fried es in einem Gedicht über das Meer beschreibt, um aufhören zu sollen und nichts mehr wollen wollen als nur das Meer.

Ich empfinde, dass eine solche Ruhe auch dort kommt, wo wir Zeit teilen können wie beim Sitzen um einen gemeinsamen Tisch. Solche Momente sind viel zu selten. Wir sind heute von Terminen sehr in Anspruch genommen und jeder ist die Woche über in seine eigene kleine Lebenswelt zerstreut. Zum gemeinsamen Sammeln bleibt da oft wenig Zeit und die Augenblicke, die dem vorbehalten sind, sind darum auch besonders.

Ich freue mich auch, wenn ich Kirchenglocken läuten höre. Ganz besonders schön empfinde ich das Stadtgeläut am Vorabend des Sonntags oder auch das sonntägliche Geläut der Glocken, das zum Gottesdienst ruft. Auch wenn nur noch ein kleiner Teil unserer Bevölkerung sich durch diesen Ruf in die Gotteshäuser einladen lässt, so weiß doch immerhin noch beinahe jeder, mit den Glocken eine Kirche zu verbinden. Darum kommt es darauf an, dass es Menschen gibt, die die Botschaft der Glocken in das Leben und das Miteinander hinein übersetzen. Es ist gut, wenn wir uns um Augenblicke der Ruhe und inneren Sammlung bemühen, so wie ich es mit den Stimmungen am Meer oder der Gemeinschaft bei Tisch zu beschreiben versucht habe. Es gibt sicherlich auch andere Orte und Möglichkeiten, Entspannung und Atemholen zu finden. Aber das sind jeweils nur Orte für sich. Wichtiger ist, dass wir nicht den Zusammenhang aus den Augen verlieren. An diesen Zusammenhang erinnern uns die Glocken, an die Botschaft, dass das Leben ein Ziel hat und wir gut daran tun, wenn unsere Seele sich von diesem Ziel berühren lässt. Davon will ich reden, wenn ich erzählen möchte, was mir wichtig ist.

Auch Paulus richtet seine Gedanken in seinem Brief am Ende unseres Abschnittes nach vorne. Hatte er zuerst an die gemeinsam geteilte Zeit erinnert, so legt er nun seinen Briefempfängern die Bitte ans Herz, weiter auf das Ziel hin ausgerichtet zu sein, das er mit folgenden Worten beschreibt: zu dienen dem lebendigen und wahren Gott und zu warten auf seinen Sohn vom Himmel, den er auferweckt hat von den Toten, Jesus, der uns von dem zukünftigen Zorn errettet. Paulus schreibt in dem dankbaren Bewusstsein, dass die Wege nicht auseinander sondern in die gleiche Richtung führen, wenn sie sich hier wie dort von Gott in den Dienst nehmen lassen. Er ist überzeugt, dass Gottes unsichtbare und doch lebendige Gegenwart Menschen verbindet, in dem er sie ausrichtet auf ein gemeinsames Ziel, das den Namen Jesus Christus trägt. Auf Jesus und sein Kommen, das Kommen seines Reiches, zu warten, heißt nicht, die Hand in den Schoß zu legen, sondern verwirklicht sich – mit den Worten Dietrich Bonhoeffers gesprochen – im Beten und im Tun des Gerechten. Sich von Gott in den Dienst nehmen zu lassen, führt uns dazu, einander als Nächste wahr zu nehmen, sich in die Schuhe eines anderen stellen zu können und zu sehen, was er am nötigsten hat. Es macht uns aufmerksam darauf, wo jemand Trost und Zuspruch braucht oder auch ganz konkrete materielle Hilfe. Seine Hoffnung zu setzen auf das Kommen Jesu heißt, sich von seinen Worten zum Frieden berühren zu lassen. Nichts ist heute wichtiger als der Friede zwischen den Völkern und Religionen, der eben dadurch größer ist als alle Vernunft, dass er nur von innen heraus wachsen kann, durch Zuhören und Verstehen, durch Verzeihen und die Liebe, die jemanden anderen annimmt, wie er ist und nicht voraussetzt, dass er sich erst ändern soll.

Der Brief des Paulus, auf den wir heute gehört haben, ist eine gute Ermutigung, sich selbst zu fragen, was wir weitergeben möchten und womit wir uns mit anderen verbunden sehen. Und wenn wir uns tatsächlich die Zeit nehmen, uns hinzusetzen und die vielleicht gefundene Antwort für einen anderen festzuhalten, dann haben nicht nur wir etwas Bleibendes davon.

Amen.

Pastor Heiko Naß
Referent der Kirchenleitung der Nordelbischen Kirche
hnass.nka@nordelbien.de

 


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