Göttinger Predigten im Internet
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15. Sonntag nach Trinitatis, 24. September 2006
Predigt zu Galater 5, 25-26; 6, 1-3(4-6)7-10, verfaßt von Irene Mildenberger
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


Wenn wir im Geist leben, so lasst uns auch im Geist wandeln. Lasst uns nicht nach eitler Ehre trachten, einander nicht herausfordern und beneiden. Liebe Schwestern und Brüder, wenn ein Mensch etwa von einer Verfehlung ereilt wird, so helft ihm wieder zurecht mit sanftmütigem Geist, ihr, die ihr geistlich seid; und sieh auf dich selbst, dass du nicht auch versucht werdest. Einer trage des andern Last, so werdet ihr das Gesetz Christi erfüllen.
Denn wenn jemand meint, er sei etwas, obwohl er doch nichts ist, der betrügt sich selbst. Ein jeder aber prüfe sein eigenes Werk; und dann wird er seinen Ruhm bei sich selbst haben und nicht gegenüber einem andern. Denn ein jeder wird seine eigene Last tragen. Wer aber unterrichtet wird im Wort, der gebe dem, der ihn unterrichtet, Anteil an allem Guten.
Irret euch nicht! Gott lässt sich nicht spotten. Denn was der Mensch sät, das wird er ernten. Wer auf sein Fleisch sät, der wird von dem Fleisch das Verderben ernten; wer aber auf den Geist sät, der wird von dem Geist das ewige Leben ernten. Lasst uns aber Gutes tun und nicht müde werden; denn zu seiner Zeit werden wir auch ernten, wenn wir nicht nachlassen. Darum, solange wir noch Zeit haben, lasst uns Gutes tun an jedermann, allermeist aber an des Glaubens Genossen.


Liebe Schwestern und Brüder!
Es geht um unser Leben – das zieht sich durch die Bibelworte, auf die wir heute im Gottesdienst hören. Es geht darum, wie wir Menschen leben.
Der Mensch, der von Gott geschaffen und in den Garten Eden gesetzt wird, „dass er ihn bebaute und bewahrte.“ (Vgl. 1. Mose 2,4b-15, AT-Lesung) Gabe und Aufgabe ist das zugleich, die Schöpfung, deren Teil wir sind und die uns doch zugleich anvertraut ist.
Und dann die Aufforderung und Verheißung Jesu: Sorgt nicht um euer Leben! Euer himmlischer Vater weiß, wessen ihr bedürft. Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit. (Matthäus 6,25-34, Evangelium) Klare Prioritäten setzt Jesus hier.

Und nun also die Mahnungen und Zusagen des Apostels Paulus für unser Leben als Christen, besser: Für unser Leben als die, die geistlich sind, wie Paulus sagt, Pneumatiker und Pneumatikerinnen: Wenn wir im Geist leben, so lasst uns auch im Geist wandeln.
Denn wenn Paulus auch längst nicht mit allem einverstanden ist, was die Christen in Galatien tun, wenn er durchaus harte Kritik übt, das gilt für ihn ohne Zweifel: Wir leben im Geist, ihr seid geistliche Menschen. So spricht er ja auch alle als Brüder – und als Schwestern – an. Das ist die Voraussetzung für alles, was dann kommt.
Und am Ende – wie eine große Klammer – steht eine zweite Voraussetzung für unser Leben: Ihr habt Zeit! Jetzt habt ihr Zeit!
„Wir haben Zeit, denn wir leben im Geist.“ (*) Wie ist das zu verstehen? Helmut Gollwitzer hat das in einer Predigt am Beispiel des Sisyphus erklärt: Der muss im Hades als Strafe für seine Vergehen einen schweren Stein den Berg hinaufrollen. Und jedes mal, wenn er fast oben angekommen ist, rollt der Stein wieder hinunter und die Mühe beginnt von neuem. Sein Ziel kann er nicht erreichen. Eingespannt in diese unablässige Plackerei hat er nie Zeit – für andere nicht, für Gott nicht, für sich selbst nicht.
Bei euch ist das anders, sagt Paulus. Ihr lebt im Geist, ihr seid frei, nicht mehr in der alten Tret-Mühle gefangen. Ihr müsst nicht etwas nachjagen, dass ihr doch nicht erreichen könnt. Ihr braucht euch nicht zu sorgen. Ihr habt Zeit.

Aber offensichtlich reicht das nicht. Dieses Leben im Geist führt nicht automatisch dazu, dass wir auch entsprechend handeln. Die Zeit, die wir haben, recht nutzen. Sonst müsste Paulus uns das ja nicht einschärfen: Wenn wir im Geist leben, so lasst uns auch im Geist wandeln.

Im Geist wandeln – was ist damit gemeint? Paulus gibt dafür ganz unterschiedliche Hinweise. Zuerst einmal spricht er von einer sehr menschlichen Eigenschaft: Wir vergleichen uns mit anderen, messen uns an ihnen. Das gibt es offensichtlich auch unter denen, die im Geist leben. Mit fatalen Ergebnissen, sagt Paulus. Ehrgeiz, Stolz, Konkurrenz und Neid: Lasst uns nicht nach eitler Ehre trachten, einander nicht herausfordern und beneiden.
Das bringt nichts, das habt ihr nicht nötig. Besser sein wollen als die anderen, sich schlechter vorkommen: Das gehört zu den Sisyphusmenschen und ihrem ständigen eingespannt sein und sich abmühen und keine Zeit haben. Es kommt nicht darauf an, wie ich im Vergleich mit anderen bin.
Nicht besser oder schlechter sein als die anderen, höher oder tiefer stehen, das ist nicht entscheidend. Denn wenn jemand meint, er sei etwas, obwohl er doch nichts ist, der betrügt sich selbst. Ein jeder aber prüfe sein eigenes Werk; und dann wird er seinen Ruhm bei sich selbst haben und nicht gegenüber einem andern. Denn ein jeder wird seine eigene Last tragen.
Am Ende werde ich allein vor Gott stehen und nach meinem Lebenswandel gefragt werden, Rangordnungen zählen da nicht. Das jedenfalls meint Paulus wohl hier mit der Last, die ich alleine zu tragen habe.

Das heißt aber durchaus nicht, dass mir das Tun und Lassen der anderen egal sein soll. Auch Paulus selbst schaut bei seinen Gemeinden ja darauf. Nicht mit einem vergleichenden, messenden Auge, sondern mit liebevollem und sanftmütigem Blick:
Liebe Schwestern und Brüder, wenn ein Mensch etwa von einer Verfehlung ereilt wird, so helft ihm wieder zurecht mit sanftmütigem Geist, ihr, die ihr geistlich seid; und sieh auf dich selbst, dass du nicht auch versucht werdest.
Insofern darf ich dann auch vergleichen, soll es sogar, dass ich in so einem Fall erkenne: Ich könnte genauso da stehen wie der Bruder, die Schwester. Vor allem aber geht es nicht darum, die andere bei ihrer Verfehlung zu behaften, sie einzusortieren in ein oben oder unten, gut oder schlecht. Ganz behutsam redet Paulus hier: wenn ein Mensch etwa von einer Verfehlung ereilt wird. Nicht: Wenn einer einen Fehler macht, verkehrt handelt. Nicht um ein urteil geht es da, sondern um Hilfe, darum, den anderen abzubringen von seinem falschen Weg. Solche Menschen – wie wir sie ja alle irgendwann einmal sind, denn keiner ist vollkommen – nicht als Bruder, als Schwester abschreiben. Ihre Fehler mit tragen, wo sie nicht anders können. Und insofern gilt dann auch: Einer trage des andern Last, so werdet ihr das Gesetz Christi erfüllen.

Das gehört also dazu, zum Wandel im Geist: uns nicht mit anderen vergleichen, aber liebevoll aufeinander sehen und versuchen, uns gegenseitig zurecht zu bringen und einander zu tragen.

Ein zweites möchte ich benennen, was Paulus uns hier aufträgt: Gutes Tun. Was das im Einzelnen meint, dazu sagt Paulus nichts. Dafür schärft er erst einmal ein, wie wichtig solches Tun ist, und wie sehr es zum Leben und Wandeln im Geist gehört. Alles, was ihr tut, hat Konsequenzen, betont er: Irret euch nicht! Gott lässt sich nicht spotten. Er benutzt dazu ein bekanntes Bild aus der Landwirtschaft, das auch für uns naturferne, moderne Menschen verständlich ist: Was der Mensch sät, das wird er ernten. Aber dann gibt er diesem Bild eine unerwartete Wendung: Wer auf sein Fleisch sät, der wird von dem Fleisch das Verderben ernten; wer aber auf den Geist sät, der wird von dem Geist das ewige Leben ernten.
Nicht die Qualität des Samens interessiert Paulus, sondern der Ackerboden: Noch einmal der Gegensatz zwischen denen, die im Geist leben und wandeln, und den Fleisch-Menschen, den Sisyphusmenschen. Die haben keine Zeit. Wohl aber die anderen: Darum, solange wir noch Zeit haben, lasst uns Gutes tun an jedermann, allermeist aber an des Glaubens Genossen.
Die Hausgenossen des Glaubens steht da. Hausgenossen, die mit denen wir alltäglich zusammenleben – denn Gutes tun, das beginnt in der Nähe und im Alltag. Bei denen, mit denen wir unter einem Dach zusammenleben. Doch das muss nicht nur das Dach unserer Gemeinde, das Dach der Kirche sein. Die anderen schließt Paulus ja auch nicht aus. Und wir wissen ja auch gut, wie weit das gemeinsame Dach ist, unter dem wir mit anderen leben.
Gutes tun: Das kann so unterschiedlich aussehen. Ich denke dabei nur an verschiedene Anstöße vom letzten Sonntag, von dem großen ökumenischen „Gottesdienst auf dem Markt“, den die verschiedensten Leipziger Gemeinden miteinander gefeiert haben. Gleich hier nebenan, auf dem Nikolaikirchhof. Da war die Kollekte für die ökumenische Ausländer- und Flüchtlingsarbeit. Da war aber auch der Aufruf, am 3. Oktober durch eine große Gegendemonstration den nächsten Aufmarsch der Nazis und ihren wieder einmal geplanten Marsch zum Völkerschlachtdenkmal zu verhindern – und diese Gegendemonstration in der Kirche zu beginnen. Da war das Anspiel von Schülerinnen und Schülern, die zeigten, wie geschwisterliche Liebe sich an unerwarteten Orten entdecken lässt, und dass es auch darum geht, Zeit und Aufmerksamkeit zu teilen, nicht nur Geld. Und da waren die kleinen, unauffälligen Begebenheiten eines friedlichen Miteinanders, das Platz machen und zusammenrücken, achtsam sein und teilen.
Gutes tun – das sieht immer wieder neu und anders aus. Eines aber gehört oft dazu. Gutes tun kann ermüdend sein, kraftlos machen, entmutigen, weil man keinen Erfolg sieht (– so sind die Naziaufmärsche z. B. bereits bis 2014 angemeldet). Darum ermutigt Paulus uns zur Ausdauer: Ihr habt nicht nur jetzt Zeit. Eure Zeit wird kommen, eure Erntezeit. Verliert die Hoffnung nicht: Lasst uns aber Gutes tun und nicht müde werden; denn zu seiner Zeit werden wir auch ernten, wenn wir nicht nachlassen.
Verliert die Hoffnung nicht, sagt Paulus, und erinnert uns an die Voraussetzung unseres Lebens. Wir brauchen uns nicht wie Sisyphus umsonst abzumühen. Wir haben Zeit. Wir leben im Geist.
Amen


Pfarrerin Dr. Irene Mildenberger
Liturgiewissenschaftliches Institut der VELKD, Leipzig
liturgie@uni-leipzig.de

(*) Diesen Predigtgedanken und weitere Anregungen verdanke ich einer Predigt von Helmut Gollwitzer zu unserem Text aus dem Jahr 1939, zu finden in dem 1964 erschienenen Band: Helmut Gollwitzer: ... und lobten Gott. Predigten – gehalten in der Gemeinde Berlin-Dahlem 1938-1940, Seite 93-100.


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