Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, J. Neukirch, C. Dinkel, I. Karle

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15. Sonntag nach Trinitatis, 24. September 2006
Predigt zu Lukas 10, 38-42, verfaßt von Elof Westergaard (Dänemark)
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


1.
Jesu Antwort an Marta, dass nur eines nötig ist, ist eine Antwort auf ihre Kritik an der Schwester Maria.
Jesus ist zu Besuch bei diesen zwei Schwestern. Marta ist emsig damit beschäftigt, für Jesus zu sorgen, während Maria zu seinen Füßen sitzt und ihm zuhört. Marta ist allerdings nicht zufrieden. Sie hat einen scheelen Blick. Sie ist gereizt und zornig. Sie will, dass die Schwester ihr hilft, und am Ende hebt sie die Stimme und sagt zu Jesus: „Herr, ist es dir egal, dass meine Schwester mir allein alle Sorge für dich überlässt?“

2.
Hat Marta erwartet, darin bestätigt zu werden, dass ihre Gereiztheit berechtigt war, dann muss sie allerdings enttäuscht sein. Jesus lehnt ihre Forderung ab, dass er Maria zurechtweisen soll. Er antwortet Marta vielmehr mit den Worten: „Du hast viel Sorge und Mühe. Aber eines ist Not.“

3.
Das Eine, das Not ist, was ist das nun? Ja, Jesus fügt hinzu, dass Maria das gute Teil gewählt hat, und das soll nicht von ihr genommen werden. Das bedeutet zunächst einmal, dass Maria das eine, das Not ist, tut, wenn sie sich niedersetzt und Jesus zuhört.
Das Urteil ist für eine unmittelbare Betrachtung gegensätzlich ausgefallen. Es ist jetzt über Marta gefällt. Das Urteil hat seinen Urheber gewechselt: Marta verurteilt Maria, und wir verurteilen jetzt Marta.

4.
Die beiden Frauen stehen mit ihren Handlungsweisen als Gegensätze da, und wir können uns selbst in ihnen widerspiegeln. Unsere Auffassung, was wichtig ist, können wir auch von ihrem unterschiedlichen Verhalten her diskutieren.
Die aktive Hausfrau gegenüber der eher passiven, aber teilnehmenden Hausherrin, Diener gegenüber Nutznießer.
Diese Gegensätze lassen sich auf mannigfache Weise beschreiben – je nachdem, wem die Sympathie zuneigt und für wen das Verständnis am größten ist: für Marta oder für Maria.

5.
Sich auf den Gegensatz zwischen den beiden Schwestern zu konzentrieren, zu betonen und hervorzuheben, welche Handlungen die besten sind, kann also Diskussion bewirken, aber derlei Diskussionen sind doch nur von zweitrangiger Bedeutung. Wenn wir nur eine Tugend aus diesem gegensätzlichen Verhältnis der beiden Frauen machen, machen wir es uns zu leicht.

6.
Jesus sagt zwar: „Maria hat das gute Teil gewählt,“ aber damit sagt er ja nicht, dass Marta das schlechte Teil genommen hat, wenn sie auf ihre Weise handelt, als Jesus das Haus betritt.
Es wäre ein Fehlschluss, wenn man sich ein solches Urteil bildete. Jesus verhält sich nicht zu Martas Aktivität im Hause, sondern vielmehr zu ihrer Kritik an der Schwester und zu ihrem Urteil über sie.

7.
Martas Gereiztheit und Zorn wegen der Schwester sind unbegründet. Sie macht sich ohne Grund Sorgen und ist ohne Grund aufgebracht, antwortet Jesus. Marta hat kein Recht, ihren eigenen Einsatz mit dem, was die Schwester tut, zu vergleichen und dann die Schwester dementsprechend zu verurteilen.
Eine andere Person, eine Figur in einem der Gleichnisse Jesu, fällt uns an dieser Stelle ein, sie veranschaulicht, worin Marta mit ihrer Kritik an ihrer Schwester fehlgeht.
Es ist der Pharisäer, der im Tempel mit Worten über all das Gute, das er selbst getan hat, zu Gott betet und der dann hinzufügt, dass er glücklicherweise nicht ist, wie alle die anderen, wie z.B. der Zöllner, der auch im Tempel steht.
Hinter der Gereiztheit Martas verbirgt sich dasselbe rechthaberische Vertrauen auf sich selbst und seine eigenen Taten, wie wir es bei dem Pharisäer des Gleichnisses finden.
Sie sorgt sich um etwas, worum sie sich im Grunde nicht zu sorgen hat. Sie ist über etwas aufgebracht, worüber sie recht besehen nicht aufgebracht sein dürfte. Ihr fehlt die Demut, die macht, dass sie die vielfältige Art und Weise sehen kann und Sinn für sie hat, wie wir Menschen einander zur Freude und zu Nutzen sein können.
Es kann etwa sein, dass man einen Tisch schön deckt, dass man Blumen in eine Vase stellt und eine Speise zubereitet. Es kann ein Gespräch oder auch nur das Zuhören sein. Die Nähe kann viele Kleider und Ausdrucksformen haben.

8.
Wir wollen also von diesem Bericht aus weder die eine oder die andere Schwester verurteilen. Wir sollen nicht wie Marta denken: es kann einen auch aufregen, dass sie dasitzt und nichts tut. Oder umgekehrt, wir wollen uns nicht über Marta beschweren, weil sie für das Wohlergehen Jesu sorgt, indem sie im Haus herumläuft und für Essen und Trinken sorgt.
Urteile nicht, sondern gewähre beiden Platz, Platz für Mannigfaltigkeit, Platz für einen jeden, der getauft ist, mit dem Stärken und Schwächen, die ein jeder hat.
Das ist leichter gesagt als getan, denn wir tun es doch immerzu, dass wir uns gegenseitig verurteilen und bewerten. Aber der Blick, den Jesus auf die Welt richtet, der Blick Gottes, sieht alle unsere Urteile unter einer anderen Perspektive, nämlich unter dem Urteil und der Gnade Gottes.

9.
Aber man kann nun einwenden: Gewiss sagt Jesus nicht, dass Marta falsch handelt, aber er sagt doch, dass nur eines Not ist. Was bedeutet nun dieses eine Notwendige? Was ist es?

10.
In dem Lied von Adolph Brorson singen wir: „Eines ist Not; das Eine, Gott, lehre mich recht zu kennen! Die Welt kann mir nichts geben, auch wenn sie fein und leicht erscheint, sie ist nur eine Last, die nagt und plagt...“
Das Eine Notwendige ist hier der Gegensatz zur Welt, der Gegensatz zu dem, was hier auf Erden ist.
Brorson fährt fort: „Willst du dies Eine fassen, suche es nicht auf dieser Welt, lass das Irdische hinter dir, suche es dort oben...“ Das Eine Notwendige ist also „dort oben“ und nicht „von der Welt“. Was ist das für ein Geschwätz? Sind es Weltentsagung, Himmelfahrt und Pilgerreise, die das Notwendige wären? Geht es nur darum, das Leben hier fahren zu lassen? Das Glück jenseits zu finden?
Nein! Brorson fährt fort: „Suche es droben, suche es, wo Gott-heit und Mensch-heit sich vereint finden, und wo alle Fülle der Vollkommenheit herrscht, dort, dort ist das Eine Notwendige in Wahrheit, dort, dort ist mein Einziger, mein Alles in Einem.“
Bei Brorson steht das Verlangen nach dem Himmel – es ist auch Teil unserer Hoffnung – in einem Spannungsverhältnis zu dem, was bereits hier gegeben ist, nämlich dem Einen Notwendigen, der derjenige ist, in dem Gott-heit und Mensch-heit sich vereint haben. Einfacher gesagt: Es ist Jesus. Er ist das Eine Notwendige.

11.
Er ist das Eine Notwendige, weil er uns Anteil gibt am Blick Gottes auf die Welt. D.h. er stellt unsere Urteile unter eine andere Perspektive. Sie stehen nicht bloß allein, geprägt von allen unseren eigenen Sorgen, von unserem Neid, unserer Eifersucht, von unserem Zorn, unserer Dummheit, Bestialität und unserem Unverstand. Wir sind in ihm unter Gottes Urteil und Gnade gestellt.

12.
Wir brauchen uns also nicht mehr Sorgen zu machen. Er gibt uns Raum und Hoffnung, dass wir wie Marta und Maria Anteil erhalten an der Gegenwart und Gnade Gottes. Wie Jesus damals in ihr Dorf und in ihr Haus kam, so kommt er fortgesetzt mit seinem Wort. In Jesu Namen. Amen!

Pastor Elof Westergaard
Mariehøj 17
DK-8600 Silkeborg
Tel.: +45 – 86 80 08 15
E-mail: eve@km.dk

Übersetzung aus dem Dänischen: Dietrich Harbsmeier

 


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