Göttinger Predigten im Internet
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Erntedankfest, 1. Oktober 2006
Predigt zu 1. Timotheus 4, 1-5, verfaßt von Reinhard Brandt
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


4 Denn alles, was Gott geschaffen hat, ist gut, und nichts ist verwerflich, was mit Danksagung empfangen wird;
5 denn es wird geheiligt durch das Wort Gottes und Gebet.

Liebe Gemeinde,

am Erntedankfest leuchtet das unmittelbar ein: „alles, was Gott geschaffen hat, ist gut“.

Was auf dem Erntedank-Altar liegt oder davor: das Brot, die Rüben, die Äpfel und Birnen, Trauben vielleicht, Tomaten, der Käse; auch das, was als Lebensmittel abgepackt dabei steht, Mehl, Salz, Zucker und was sonst alles, auch Schokolade und Gummibärchen. „Alles, was Gott geschaffen hat, ist gut!“

Wie es sich an Erntedank gehört, haben wir vorhin gesungen: „Wir pflügen, und wir streuen / den Samen auf das Land, / doch Wachstum und Gedeihen / steht in des Himmels Hand.“ Und nach jeder Strophe wiederholt der Kehrvers und setzt es um, was wir als biblisches Wort heute hören: „Alle gute Gabe kommt her von Gott dem Herrn, drum dankt ihm, dankt, drum dankt ihm, dankt und hofft auf ihn!“ [EG.B 508]

Eben so tun wir, was der Apostel dem Timotheus und seiner Gemeinde schreibt: Die Gaben mit Danksagung empfangen.

Durch den Dank machen wir uns bewußt, was wir dem Schöpfer verdanken. Der Dank ist sozusagen ein Stück angewandte Schöpfungstheologie. Natürlich gibt es den Schöpfer auch ohne unseren Dank und ohne unser Denken. Natürlich hat er die Welt geschaffen und erhält sie. Aber im Dank nehmen wir an, daß er mich geschaffen hat; und alles, was mich umgibt, mir zu gute.

Knapp und schlüssig hat diese angewandte Schöpfungstheologie Martin Luther ausgedrückt, im Kleinen Katechismus, in der Auslegung des ersten Artikels des Glaubensbekenntnisses:

Ich glaube, daß mich Gott geschaffen hat samt allen Kreaturen,
mir Leib und Seele, Augen, Ohren und alle Glieder,
Vernunft und alle Sinne gegeben hat und noch erhält;
dazu Kleider und Schuh, Essen und Trinken,
Haus und Hof, Weib und Kind,
Acker, Vieh und alle Güter;
mit allem, was not tut für Leib und Leben,
mich reichlich und täglich versorgt ...

Nicht eine ferne Schöpfung am Anfang der Zeit steht dabei im Mittelpunkt des Interesses, sondern die angewandte Schöpfungstheologie: mich hat Gott geschaffen, mir alle Sinne und die Vernunft gegeben, dazu alles, von dem ich leben kann: „was not tut für Leib und Leben“.

Solch eine Anwendung meint der Brief des Paulus, wenn er jener Gemeinde einschärft: „Alles, was Gott geschaffen hat, ist gut, und nichts ist verwerflich, was mit Danksagung empfangen wird“. Paulus weiter: „denn es wird geheiligt durch das Wort Gottes und Gebet“.

Das Gebet! Recht die Gaben empfangen wir, recht Gott ehren wir, wenn wir die Gaben mit einem Segen und Gebet empfangen.

An dieser Stelle ist vom Tischgebet zu sprechen. Beten Sie vor dem Essen? Vor der Hauptmahlzeit wenigstens? Einmal täglich?

Ich will Sie ermuntern, nach vielleicht langen Jahren mit dem Tischgebet wieder zu beginnen. Nicht gedankenlos zu essen, sondern zu danken. Nicht als selbstverständlich zu nehmen, was wir verzehren! Nicht als hätten wir einen Anspruch darauf, daß wir genug haben! Viele Menschen haben das nicht. Sondern selbstverständlich zu danken für die Gaben, die wir empfangen.

„Alle guten Gaben, alles, was wir haben, kommt, o Gott von dir. Wir danken Dir dafür.“ mag man beten oder das gewohnte „Komm, Herr Jesus ...“ oder als Selbstverpflichtung:

„Wir wollen danken für unser Brot! Wir wollen helfen in aller Not! Wir wollen schaffen, die Kraft gibst du! Wir wollen lieben: Herr, hilf dazu!

Oder mit den Worten des Psalms:
„Aller Augen warten auf dich, Herr, und du gibst ihnen ihre Speise zur rechten Zeit. Du tust deine milde Hand auf und sättigst alles, was lebt, mit Wohlgefallen.“

Oder hundert andere Gebete! Kinder lieben einen Gebetswürfel, mit dem sie würfeln können, was heute gebetet wird. Ältere Kinder ziehen vielleicht ein Kärtchen mit einem Gebet oder suchen es bewußt aus: viele Möglichkeiten gibt es.

Vielleicht ist es wirklich ein Anlaß, wenn Kinder oder Enkel am Tisch sitzen! Oder ein älteres Paar schaut sich in die Augen und knüpft an an das, was in der Familie früher üblich war, bei der Mutter vielleicht. Oder wer alleine lebt, der kann die Zäsur gestalten: man hat gekocht, sich aufgegeben, man setzt sich an den Tisch: und dann erst inne gehalten und gebetet, bevor die Mahlzeit beginnt.

Oder vielleicht gibt ja dieser Erntedankgottesdienst den Anstoß, wieder mit dem Tischgebet zu beginnen.

So werbe ich bei Ihnen für das Tischgebet: eine einfache Übung gegen die Vergeßlichkeit und für das rechte Erkennen des Schöpfers und der Gaben.

Wenn Ihr Konfis auf Euren Kärtchen ein Stichwort zum Gottesdienst eintragen müßt, dann wäre neben „Erntedank“ dies das passende: „Tischgebet“! Und ob Ihr Eure Familie heute Mittag einmal herausfordert? Einfach mit der Bemerkung: „Wir könnten doch ein Tischgebet sprechen!“ Das wäre doch mal was!

So setzen wir um, was jener Brief unter dem Namen des Paulus der Gemeinde des Timotheus vorhält, richtig einschärft: „ Denn alles, was Gott geschaffen hat, ist gut, und nichts ist verwerflich, was mit Danksagung empfangen wird; denn es wird geheiligt durch das Wort Gottes und Gebet.“

„Denn!“ Der Predigtvers beginnt mit einem „denn“. Die Erinnerung des Paulus soll etwas begründen: „Denn alles, was Gott geschaffen hat, ist gut“. Und mit dem Hinweis, nichts sei verwerflich, ist angezeigt, daß offensichtlich genau dies strittig ist: was verwerflich sei!

Eben darum geht es in den drei Versen zuvor. Der Brief wendet sich gegen die Gegner in der Gemeinde, mit scharfen Worten, gegen den Abfall vom Glauben, gegen verführerische Geister, gegen teuflische Lehren und Lügenrede. Nicht um irgendeine Form der Frömmigkeit geht es, sondern um das Zentrum des Glaubens. Denn die Irrlehrer „gebieten, nicht zu heiraten und Speisen zu meiden“.

Um die Ehe und vor allem um das Essen geht es in dem Streit! Wirklich keine Beiläufigkeiten, sondern Urbedürfnisse: der Geschlechtstrieb und der Hunger! Die beiden Grundtriebe im Leben: am Leben zu bleiben und das Leben weiterzugeben in die nächste Generation.

Um die Gemeinschaft und die Leiblichkeit geht es also und darin um die Geschöpflichkeit: darum, daß „alles, was Gott geschaffen hat, gut ist, und nichts verwerflich, was mit Danksagung empfangen wird“.

Von den Fachtheologen werden jene Irrlehrer als „Gnostiker“ identifiziert. Sie sind aus der Gemeinde hervorgegangen, haben aber eigene Anschauungen entwickelt. Sie verstehen sich selbst so, als seien sie in ihrem Wesen mit dem höchsten Gott verbunden; dieser aber hat mit der Welt, wie sie ist, nichts zu schaffen, steht ihr ganz jenseitig gegenüber. Die Welt des Materiellen ist dagegen das Werk böser Dämonen. Der Gnostiker jedoch - so ihr Selbstverständnis - ist dieser Welt nicht völlig verfallen, er kann sich aus ihr befreien, er trägt einen göttlichen Lichtfunken in sich. Doch damit er nicht immer wieder von der Welt des Materiellen gefangen wird, muß er sich enthalten: mit dem Geschlechtstrieb, mit dem Essen. „Sie gebieten, nicht zu heiraten und Speisen zu meiden“.

Dagegen richtet sich der Protest des Apostels: Die Speisen hat doch „Gott geschaffen, daß sie mit Danksagung empfangen werden von den Gläubigen“ - und auch von denen, die die Wahrheit erkennen wollen, die in Gefahr sind, den Gnostikern zu folgen.

Ich vermute, liebe Gemeinde, daß jene Askese der Gnostiker damals heute nicht verbreitet ist, zumindest nicht in unserem kulturellen Umfeld. Und das Fasten „Sieben Wochen ohne“ zielt in entgegengesetzte Richtung: Es will gegen die Gedankenlosigkeit ja gerade bewußt machen, was wir an guten Gaben von unserem Schöpfer empfangen haben.

Aber auf etwas anderes will ich Ihre Aufmerksamkeit lenken: Verächtlicher Verzicht auf Gottes gute Gaben hatte schon damals eine Kehrseite: verächtlichen Verbrauch und Verzehr, gedankenlose Gier: Weil es ja nur Materie sei, die mit Gott nichts zu tun hat, deshalb kann sie verachtet und verschlungen, mißhandelt und mißbraucht werden.

Das aber ist eine Haltung, die heute vielfach zu entdecken ist, die ich, wenn ich ehrlich bin, auch bei mir entdecke: gebrauchen und verbrauchen, gedankenlos, als ob es nicht die gute Schöpfung Gottes wäre!

Ich denke, sogar das Gammelfleisch - das Thema darf zu Erntedank 2006 nicht fehlen - hat mit dieser Haltung zu tun! Natürlich bei den Betrügern, die aus Gier nach größerem Gewinn abgelaufene Ware umetiketieren! Aber vielleicht auch bei den Verbrauchern. Ich wage den ketzerischen Gedanken: die Verbraucher bekommen doch, was sie wollen: billiges Fleisch, billige, bequeme Ware. Sie wollen natürlich auch gute Ware, die Verbraucher; doch obwohl sie oft wissen, was diese wert sein müßte, orientieren sie sich doch nur an dem niedrigsten Preis. Gedankenloser Gebrauch? Verächtlicher Verzehr?

Vielleicht könnte ja das Tischgebet sogar ein gewisses Gegengewicht gegen die Gier sein: Mit Freude die guten Gaben empfangen, die Gott geschaffen hat; und nicht immer noch mehr begehren, gebrauchen, verzehren.

Das schärft der Brief unter dem Namen des Apostels uns ein, auch abseits asketischer Anwandlungen, vielmehr umgekehrt sogar gegen Gier und geilen Geiz, gegen Gammelware und Gedankenlosigkeit: „Alles, was Gott geschaffen hat, ist gut, und nichts ist verwerflich, was mit Danksagung empfangen wird; denn es wird geheiligt durch das Wort Gottes und Gebet“.

So geschehe es.

Dr. Reinhard Brandt
Dekan in Weißenburg (Bayern)
reinhard.brandt@elkb.de

 


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