Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, J. Neukirch, C. Dinkel, I. Karle

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Gedenktag der Reformation, 31. Oktober 2006
Predigt zu Galater 5, 1-6, verfaßt von Gerda Altpeter
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


1. Zur Freiheit hat uns Christus befreit. Steht nun fest, damit ihr nicht wieder festgehalten werdet unter dem Joch der Sklaverei.
2. Seht, ich Paulus, sage euch, dass, wenn ihr euch beschneiden lasst, dann nützt euch Christus nichts.
3. Ich bezeuge deswegen, dass alle Menschen, die sich beschneiden lassen, schuldig sind, das ganze Gesetz zu halten.
4. Ihr entfernt euch von Christus (macht ihn unwirksam); diejenigen, die sich selbst durch das Gesetz gerecht machen. Aus der Gnade fallt ihr heraus.
5. Denn wir erwarten durch den Geist aus dem Glauben die erhoffte Gerechtigkeit.
6. Denn in Christus Jesus vermag weder die Beschneidung noch die Vorhaut etwas; sondern der Glaube erweist sich durch die Liebe wirksam.


Einmal lass mich noch der Freiheit höchstes Lebensgut geniessen.
Einmal lass den Strom des Glückes noch an mir vorüberfliessen.
Lass mich frei und offen handeln wie die vielen tausend andern.
Lass mich in die weite Ferne unbeschwert wie einsten wandern.

Dieses Gedicht schrieb mein Vater im Dezember 1944 aus dem Aussenlager des KZ Dora, in dem er gefangengehalten wurde. Die grosse Sehnsucht nach der verlorenen Freiheit, nach Heimat und Glück, spricht daraus. Er wollte wieder über sich selbst verfügen, wollte laufen, wohin er wollte, essen, was er wollte, mit den Menschen zusammen sein, die er liebte.
Steckt diese Sehnsucht nicht in uns allen?
Freiheit - das ist das, was Menschen brauchen.
Freiheit.
Aber welche Freiheit brauchen wir?

Schon Paulus hat darum gerungen, was Freiheit bedeutet. Er hat sie gefunden, als er Jesus vor Damaskus begegnete. Er war blind gewesen, das merkte er. Er hatte um das Gesetz geeifert, hatte mehr getan, als sonst vorgeschrieben war. Das Gesetz Gottes war ihm Sinn und Ziel seines Lebens - darum bemühte er sich - das wollte er erfüllen - das sollte ihm Freiheit bringen. Darum half er, die Christen vor Gericht zu bringen, und sie ihrer Freiheit zu berauben. Solch ein finsterer Eifer - brachte ihm das die Freiheit? - Nein, das brachte nur Hass und Grausamkeit - Blindheit.

Er musste sich führen lassen. Er wurde sehend, als er begriff, wer Jesus war und was er den Menschen brachte. In ihm fand er Freiheit vom Gesetz - und damit Freiheit für Gott - Freiheit für den Glauben und die Liebe. Das Gesetz als moralisches Sollen zeigt nur, dass wir Menschen nicht dazu fähig sind, die Ordnungen Gottes zu erfüllen. Das Gesetz bringt die Menschen unter das Joch einer Sklaerei, aus dem sie sich nicht befreien können.
Zur Freiheit hat uns Christus befreit - aus Gnade.
Da kommt es nicht darauf an, ob wir gehen können, wohin wir wollen.
Da kommt es nicht darauf an, ob wir frei und offen handeln können.
Das Glück liegt woanders.

Dazu möchte ich Ihnen eine kleine Geschichte von Lisa und Hanna erzählen.
Lisa hat nach Abschluss ihres Studiums eine gute Stellung in einem fernen Ort gefunden. Sie ist froh darum, denn es ist schwer, eine gut bezahlte Arbeit zu bekommen. Nach einem Monat fährt sie zu Besuch nach Hause. Zuerst begegnet sie ihrer Mutter, dann ihrer Freundin Hanna. Sie reden miteinander wie sie es immer getan haben. Aber Hanna merkt, dass irgendetwas mit Lisa nicht stimmt. Sie fragt zuerst nach ihrer Arbeit. Lisa strahlt auf. Die Mitarbeiterinnen haben sie freundlich aufgenommen und ihr alles geduldig erklärt. Sie hat Spass an ihrer Aufgabe.
"Das ist es also nicht," denkt Hanna.
Lisa berichtet weiter, dass eine Mitarbeiterin sie eingeführt hat in eine christliche Akadamikerinnengruppe. Sie treffen sich regelmässig und diskutieren über dieses und jenes. Beim letztenmal ging es um Freiheit und Sklaverei. Sie haben sich die Köpfe heiss geredet.
In unserer Gesellschaft gilt als wichtigster Wert der "Cash", das Geld, der Mammon. Die Firmen werden danach bewertet, wieviel sie erarbeiten können. In den Büros sieht es nicht anders aus. Selbst in der Kirche werden die Kollekten als wichtiges Indiz für Wirksamkeit angesehen. "Geld regiert die Welt!" Und wo bleiben die Menschen? Wo bleibt Gott?
Sie haben von dem Elend geredet, das in vielen Teilen der Welt herrscht, vom Sudan, Indonesien, Pakistan, Afghanistan... Die Menschen können sich nicht vertragen und bereiten einander die Hölle.
Da braucht es Hilfe, viel Hilfe!
Sie haben von den Hilfswerken geredet, von Patenschaften, die Abhilfe schaffen. Sie haben Adressen ausgetauscht. Sie haben alle erklärt, dass sie helfen wollen.
Lisa hat eine Patenschaft unterschrieben und gleich bezahlt. Sie hat soviel übernommen, dass es für sie nur noch notdürftig reicht. Sie hat sich froh und frei gefühlt. Sie konnte helfen, sie war jemand!
Aber als sie nachhause kam, hat ihre Mutter erzählt, dass sie inzwischen krank gewesen ist. Die Behandlung hat ihre Ersparnisse aufgebraucht. Der Arzt hat ihr zu einer Kur geraten, aber die Krankenkasse übernimmt davon nur einen kleinen Teil. Sie bittet ihre Tochter, die ja nun soviel verdient, ihr in diesem Fall beizustehen.
Was soll, was kann Lisa nun tun? Sie hat sich doch für eine Patenschaft verpflichtet. Wie soll sie da der Mutter helfen?
Jetzt begreift Hanna, was bei Lisa los ist. Sie steckt in einer Zwickmühle. Alle Welt denkt natürlich, dass sie ihrer Mutter helfen wird. Diese Selbstverständlichkeit bringt ihr keine besondere Anerkennung. Lisa aber braucht eine besondere Anerkennung. Sie war bis jetzt immer finanziell abhängig von ihren Eltern, zuletzt von ihrer Mutter., als der Vater gestorben war.
Wie stolz und froh war sie doch, als sie die Patenschaft übernehmen konnte. Was soll sie jetzt tun?
Hanna formuliert vorsichtig: "Der Mammon kann bei zu wenig und bei zuviel wirksam werden. Bei viel bewirkt er Stolz, bei wenig Neid und Minderwertigkeitsgefühl. So oder so bringt er uns weg von Gott. Ich will Dir keinen Rat geben, wahrscheinlich weisst Du sowiewo, was Du tun musst.

Gott nimmt uns an in seiner Liebe aus Gnade. Lass seine Gnade wirken. Paulus sagt:"Denn wir erwarten durch den Geist aus dem Glauben die erhoffte Gerechtigkeit." Jesus hat für uns gehandelt. Wir brauchen seine Gnade nur anzunehmen. Wenn Du spürst, dass du durch Gnade gerecht wirst, dann weisst Du auch, was du tun musst."
Zur Freiheit hat uns Christus befreit - aus Gnade.

Immer wieder fallen Christen zurück in das Gesetz. Wir haben heute den Reformationstag. Denken wir an Luther. Als er im Kloster war, hat er alles getan, was er nur konnte, umd durch sein Tun gerecht zu werden und Gott nahe zu kommen. Er hat sich selbst geschlagen. Er hat sich den Schlaf und das Essen verwehrt. Er hat die niedrigsten Arbeiten verrichtet. Es hat alles nichts genützt. Er fühlte sich nur schlechter, schuldiger, fern von Gott.

Dann hat er den Römerbrief gelesen, vielleicht auch den Galaterbrief. Da hat er erkannt, dass es nicht auf sein Tun ankommt, sondern auf Gottes Erbarmen. Plötzlich war er frei, frei von Schuld und Sünde. Er atmete auf und wollte, dass auch andere Menschen frei werden. Er schrieb seine 95 Thesen an die Schlosskirche zu Wittenberg. In einer wissenschaftliche Diskussion sollte sich seine Erkenntnis bewähren. So entstand die Reformation in Deutschland und darüber hinaus.

Denken wir an unsere Zeit.
Ich kenne Menschen, die so handeln wie Lisa. Sie verschenken alles Geld, das sie in die Finger bekommen. Die Empfänger verehren sie. Sie sind gross. Alle Welt achtet sie. Ja, so sollten doch Christen handeln! Ob sie sich das Himmelreich erkaufen können? Ihre Angehörigen wissen kaum, wie sie satt werden sollen, aber das interesiert die Selbstgerechten nicht.

Wir Christen fallen immer wieder zurück in das Gesetz. Es ist schwer, sich auf die Gnade Jesu zu verlassen. Es ist leichter, selber etwas zu tun. Wir Menschen handeln eben gerne selber und haben Mühe, ein Geschenk anzunehmen.

Mir geht es so wie vielen andern. Wenn ich ein Geschenk empfange, dann überlege ich sofort, wie ich etwas Entsprechendes zurückschenken kann.

Einfach etwas annehmen ist schwer. Es gehört eine grosse innere Freiheit dazu.
Wir wollen alle gerne frei sein, aber zu welcher Freiheit? Die Freiheit, zu der uns Christus befreit, besteht in der Fähigkeit, seine Gnade anzunehmen und weiterzugeben.
Zur Freiheit hat uns Christus befreit - aus Gnade.

Gerda Altpeter
gerda.altpeter@bluewin.ch


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