Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, J. Neukirch, C. Dinkel, I. Karle

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Buß- und Bettag - 22.11.2006
Predigt zur Offenbarung des Johannes 3, 14-22, verfaßt von Esther Kuhn-Luz
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


Liebe Gemeinde !

Jeder Buß- und Bettag ist überschrieben mit einem Vers aus den Sprüchen, in dem es heißt:
„ Gerechtigkeit erhöht ein Volk, aber die Sünde ist der Leute Verderben.“ ( Spr 14,34)
Dieses Jahr scheint das noch aktueller zu sein als sonst. Der Begriff Gerechtigkeit ist einer der am meisten benützten Begriffe – und zwar nicht immer im Sinne der biblischen Gerechtigkeit, die aus der Perspektive der Armen, Gekränkten, Ausgegrenzten formuliert .
Biblische Gerechtigkeit hat damit zu tun, den Finger auf die klaffende Wunde zu legen, die sich schon damals und heute in unermesslicher Weise zwischen Reichen und Armen auftut. Als wollte man diesen Inhalt der biblischen Gerechtigkeit verwischen benutzen nun viele andere den Begriff Gerechtigkeit und versuchen ihn neu zu definieren – als Chancengerechtigkeit z.B. Das klingt gut – aber eine kleine Karikatur macht deutlich, wie wenig diese Sprechweise an der Gerechtigkeit für Benachteiligte interessiert ist. Vor einem Baum befinden sich ein Elefant, eine Schlange, ein Affe, eine Schildkröte – sie treten zum Wettkampf an. Der Schiedsrichter sagt: „ Im Sinne der Chancengerechtigkeit sollen alle die selbe Chance bekommen: Sieger ist der, der als erster auf den Baum geklettert ist.“ …
Na, wenn das gerecht ist…
In diesen Tagen sucht die EKD-Synode unter dem Thema „ Gerechtigkeit erhöht ein Volk“ eine protestantische Position, wie Gerechtigkeit heute bei all den Problemen der Arbeitslosigkeit, der wachsenden Armut und des wachsenden Reichtums, der zunehmenden Chancenlosigkeit und der zunehmenden Kaltblütigkeit oder Herzlosigkeit aussehen und definiert werden muss.

In unserem heutigen Predigttext – einem Abschnitt aus den Sendschreiben des Sehers Johannes an 7 Gemeinden in Kleinasien – kommt das Wort „ Gerechtigkeit“ nicht vor – aber wir werden merken, wie auch dieser Text ein Beitrag dazu ist, Gerechtigkeit zu definieren: Gerechtigkeit ist darin zu entdecken, dass Menschen wieder füreinander verantwortlich werden, sich gegenseitig öffnen für ihre Nöte aber auch die für ihre Fähigkeiten.

Wir hören den Briefabschnitt aus Offbg 3, 16 - 22 - der an die Gemeinde in Laodicea geht…

Schauen wir uns zunächst einmal kurz an, was denn Laodicea für eine Stadt war. Erst dann können wir die Worte aus der Johoffbg besser verstehen.
Laodicea wurde unter Antiochus dem II. ( 261-246v.Chr.) gegründet und nach seiner Frau Laodice benannt. Wichtige Handelswege verbinden sie mit anderen Städten.
„ Das war die reichste Stadt von den sieben, die Stadt der Bankiers, die durch das ganze Reich Handel trieben. Eine göttliche Stadt, sagte man in jenen Tagen, so glänzend war sie angelegt…Die Stadt war bekannt wegen ihrer prächtigen Wollstoffe und bestickten Gewänder. Es gab dort eine medizinische Schule, in der berühmte Augenärzte praktizierten und lehrten…Es wurde dort ein sogenannter Phrygischer Puder hergestellt, der als Salbe in die Augen gestrichen, wie man glaubte, Blindheit heilte.“ ( Kleijs H. Kron, Der Sturz der Hure Babylon, S. 11).
Dieser Stadt bzw. der christl. Gemeinde in ihr werden jetzt also folgende Worte geschrieben:
„ Ich kenne deine Werke, dass du weder kalt noch warm bist. Ach, dass du kalt oder warm wärest.!“
Ist es eine Kritik an der Gemeinde, die in dieser reichen Stadt nicht eindeutig Stellung bezieht für diejenigen, die an den Segnungen der Kultur und der florierenden Wirtschaft nicht teilhaben können ? Die Angst hat, durch zu viel Kritik selber nicht mehr am Reichtum beteiligt zu werden ?
Weder kalt noch warm sein – sich nicht festlegen wollen, sich alle Möglichkeiten offen halten wollen.Diese so genannte postmoderne Beliebigkeit ist nach Johannes etwas, was einem die Kraft nimmt …
„ Weil du aber lau bist und weder kalt noch warm werde ich dich ausspeien.“
Weg mit dir –ich finde dich zum Kotzen – so würde es sehr drastisch in der Umgangssprache heißen…
Mit dir kann man nichts anfangen, du bist wachsweich, willst nach allen Richtungen offen sein - so kannst du nicht gleichzeitig ein verwurzelter Baum sein, der an den Strömen des Baches der Gerechtigkeit Gottes steht.
Und dann wird die Kritik an der Stadt konkret.

„ Du sprichst: ich bin reich und habe genug und brauche nichts!“
und weißt nicht, dass du elend und jämmerlich bist,
arm, blind und bloß.“

Das klingt fast nach einer aktuellen Beschreibung unserer heutigen Situation.
Wer reich ist , der hat genug und braucht nichts.
Die 225 reichsten Menschen auf der Welt haben so viel wie 47 % der Menschheit insgesamt.
Wo liegt die Kritik?
Es ist nicht so sehr die Kritik am Reichtum, sondern vielmehr an der Einstellung: „Ich habe genug und brauche nichts.“ Eigentlich ist doch das gerade das große Stichwort: die Einsicht, dass wir genug haben, die Ökonomie des Genug. Grenzen anzuerkennen, Grenzen des Wachstums, Grenzen der Ausbeutung der Ressourcen, Grenzen der Belastbarkeit der Mitarbeitenden, Grenzen der grenzenlosen Freiheit – ist das nicht unsere Richtung, in die wir gesamtgesellschaftlich gehen müssen?
Auf jeden Fall – aber es wird schwierig, wenn sich die Reichen ( dazu gehören die Reichen in einer Stadt, in der Gemeinde, aber eben auch wir als reiche Kirche, reiches Land) abschotten und sagen: „ Ich habe genug, ich brauche nichts.“
Das bedeutet, sich ab zu schotten gegenüber der Situation anderer, die eben nicht „ genug“ haben. Das bedeutet, denen den Rücken zu zu wenden, die in vielerlei Hinsicht vieles brauchen: was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß – wenn ich die Armut anderer nicht sehen, brauche ich mir darüber auch keine Gedanken machen.
Was ist das für ein reduziertes Menschsein! Sich selber aus der gesellschaftlichen Verflechtung heraus ziehen und sagen: ich brauche nichts und niemand.
Das ist die Ethik, die sich zur Zeit immer stärker durchsetzt. „ Ich bin mir selbst genug.“

Und die im krassen Gegensatz steht zu einer biblischen Ethik der Gemeinschaft, der gegenseitigen Verantwortung (der dreifachen Liebe , die aus einer Verflechtung von Gottes – Nächsten und Eigenliebe besteht.)
Deswegen fällt die Kritik auch so massiv aus:
„ Du weißt nicht, dass du – mit dieser Einstellung – elend und jämmerlich bist, arm, blind und nackt.“
Das ist stark! Eine starke Kritik und Provokation, aber auch eine starke Analyse.
Die selbstgesuchte Isolation der Reichen ist elend und jämmerlich:
Weil ihre Beziehung zum Reichtum an erster Stelle steht sind sie arm - arm an Beziehungsfähigkeit.
Weil sie der Lebens- und Arbeitssituation der anderen den Rücken zu kehren sind sie blind für sie.
Weil sie ihren Wert an ihrer Kleidung, an „ Äusserlichem“ messen, sind sie nackt – so wie der Kaiser nackt war, der in seinen „ neuen Kleidern“ sich prunkvoll vorkam.

Es geht um Reichtum und Armut – in doppelter Perspektive.
Oder vielleicht ist es besser zu sagen: es geht um einen Perspektivwechsel.
Denn was jetzt gesagt wird hört sich zunächst paradox an.
Den Reichen in Laodicea wird als Lebensveränderung gesagt:
„Ich rate dir, dass du Gold von mir kaufst, das im Feuer geläutert ist, damit du reich werdest.“
Das ist eine andere Art von Gold: das liegt nicht im Tresor und erhöht den eigenen Reichtum und das Konto in der Schweiz – sondern es ist das Gold der Beziehung, das auch „ durchs Feuer hindurch“ hält .
„Ich rate dir, dass du weiße Kleider kaufst und sie anziehst und die Schande deiner Blöße nicht offenbar werde.“ Das wird Menschen in der Textilhochburg gesagt…in denen prunkvolle und farbige Gewänder gewebt werden.
Weiße Kleider – damit assoziieren wir Taufe, Hochzeit – also Neubeginn. Noch ist noch nicht offenbar, was werden wird. Weiß, das ist aber auch die Zusammenfassung alle Farben: niemand braucht sich nackt zu fühlen, weil er oder sie „ die falsche Farbe“ anhat.
„ Ich rate dir, Augensalbe zu kaufen, deine Augen zu salben , damit du sehen mögest.“
In feiner Ironie erzählt Johannes von den Reichtümer der Stadt – die es eben nicht als Besitz gibt, sondern als heilende Kräfte…wenn man sie dazu anwendet, auch andere in ihren Lebens- und Arbeitssituation zu sehen.
Der von außen wahrgenommene Reichtum wird zur Armut – wenn die Reichen sich nicht in gesellschaftlicher Verantwortung verstehen. Es geht nicht um Reichenschelte – es geht um die Verantwortung des Reichtums.
„ Welche ich liebe habe, die weise ich zurecht und züchtige ich. So sei nun eifrig und tue Buße.“
In diesem Zusammenhang Buße zu tun, das bedeutet, die Blickrichtung zu ändern. Das heißt: sich um zu drehen, um Menschen mit wenig Lohn, mit prekären Arbeits – und Lebenssituationen wahr zu nehmen und ihre Notlagen sehen.
Den Blick nicht mehr aufs Geld zu fixieren– Shareholder value; Erfolg; Wachstum; steigende Gewinne; hohe Löhne - sondern auf andere Menschen und die Lebenssituation…
Kehr dich um, kehr dich um zum Leben…
Und jetzt bekommt der Vers, den wir aus Abendmahlsfeiern so gut kennen, einen klaren Kontext:
„ Siehe, ich stehe vor der Tür und klopfe an. Wenn jemand meine Stimme hören wird und die Türe aufmacht, zu dem werde ich hineingehen und das Abendmahl mit ihm halten und er mit mir.“
Die Stimme Jesu hat etwas mit „ Leben in gemeinsamer Verantwortung“ zu tun – und da schafft er es, Sehnsüchte zu wecken. Denn nicht die Moral verändert die Menschen, sondern die Sehnsucht nach einem erfüllten Leben.
Die Tür muss wieder aufgehen…der Blick muss wieder nach draussen gehen.
Dazu gehört eine Bereitschaft, sich auf andere Denk – und Lebens – und Arbeitskonzepte ein zu lassen – auch in sich kritische Stimmen zu zu lassen, die etwas von der Gerechtigkeit und nicht von der Selbstgenügsamkeit erzählen.
Jesus hebt die Selbstisolation auf – und diese unheilige Überzeugung , sich selbst genug sein zu können…
Und das Schöne: Jesus ruft jetzt nicht einfach heraus: hei schau mal, was es außerhalb deines Lebens- und Denkkontextes noch alles für Realitäten gibt – Jesus geht mit Menschen langsame Schritte, um ihnen eine Veränderung zu zu muten und zu zu trauen.
Er geht in die Abschottung hinein – und feiert mit dem, der denkt, er ist sich selbst genug und braucht von nichts und niemand irgendetwas – gerade mit ihm feiert er Abendmahl.
Lassen auch wir uns einladen in die Gegenwart Jesu, um zu spüren, wie beim gemeinsamen Feiern Sehnsüchte geweckt werden. Nein, ich bin mir nicht genug!

„ Wer überwindet, dem will ich geben,
mit mir auf dem Thron zu sitzen,
wie auch ich überwunden habe und mich gesetzt habe mit meinem Vater auf seinen Thron.
Wer OHREN HAT,DER HÖRE, WAS DER GEIST DER GEMEINDEN SAGT.

Amen

Gebete

Eingangsgebet ( implizit auch schon Hinführung zum späteren Abendmahl)

( Ausschnitt aus „ Segen für alle Zeit“ von Hanns – Dieter Hüsch , aus: In der Nähe deines Himmels, S, 44f) )
„ Heute an Buß – und Bettag, an dem Tag innerer und äußerer Umkehr,
bitten wir dich, Gott, Zeichen zu setzen und Wunder zu tun
dass wir von all unseren Schuldzuweisungen ablassen
und jedwedem Gegner ein freier Gastgeber sind
Er möge uns von seiner Freiheit ein Lied singen
Auf dass wir alle gestrigen Vorurteile außer Kraft
Und alle Feindseligkeiten außer Gefecht setzen
Er möge uns von seiner großen zeitlosen Zeit
Ein paar Stunden abgeben…
Er möge sich zu uns an den Tisch setzen und erkennen
Wie sehr wir ihn alle brauchen überall
Auf der ganzen Welt
Denn wer will uns erlösen von all unserem
Weltgeschichtlichen Wahn
Auch von unseren täglichen Lebenskonflikten…
Er möge sich unser erbarmen
Am Tage und in der Nacht
In der großen Welt und in der kleinen Welt unseres Alltags
In den Parlamenten in den Chefetagen der Industrie
Und in unseren Küchen…
Er möge uns seine Schulter geben
Damit wir uns von Zeit zu Zeit von Gegenwart
Zu Gegenwart an ihn anlehnen können getröstet
Gestärkt und ermutigt.
Amen


Fürbitte

Gott, du Quelle des Lebens und Quelle der Gerechtigkeit,
wir brauchen dein lebendiges Wasser.
Weck uns auf aus unserer Lethargie und Resignation.
Mach uns wieder bedürftig und sehnsüchtig:
Wir gehören oft zu denjenigen, die sagen:
„ Ich habe genug und brauche nichts.“ Und denken, das wäre Bescheidenheit.
Aber wir gestehen dir: es ist oft genug auch Angst, mir selber zu zu gestehen, was ich alles brauche an Zuwendung, an Verständnis, ja, auch an Menschen, die mich unterstützen auf meinem Weg.
Wende meinen Blick wieder nach außen.
Gib uns hellsichtige Augen des Herzens – um die Menschen wahr zu nehmen, die es immer schwerer haben, ihren Lebensalltag zu bewältigen.
Wir bitten dich für Menschen, die hier bei uns in Armut leben.
Die einen sieht man kaum, weil sie sich nichts mehr leisten können und deshalb nirgends mehr hingehen,
die anderen arbeiten oft bis zu 10 Stunden und verdienen doch nur so wenig, dass sie davon mühsam über die Runden kommen.
Wir bitten dich für all diejenigen, die psychisch fast daran zerbrechen, dass sie keine Arbeit mehr finden.
Elend, jämmerlich, arm… immer mehr Menschen leben so… und dass in unserem reichen Land.
Wir bitten dich, lass uns nicht lau sein, lass uns nicht wegschauen, sondern mach uns mutig,
nach Lösungen zu suchen, wie wir als Christen mit anderen zusammen etwas beitragen können zu mehr Gerechtigkeit.
Lass uns deine Stimme hören und unsere Tür öffnen –

Und so beten wir zu dir: Vater unser…


Esther Kuhn-Luz, Wirtschafts – und Sozialpfarrerin Stuttgart
Esther.Kuhn-Luz@ev-akademie-boll.de


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