Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: C. Dinkel und I. Karle

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Theologische Meditationen zur Passionszeit
Texte im Anschluß an Briefe, Gedichte und Reflexionen aus Dietrich Bonhoeffers „Widerstand und Ergebung“
Todeserfahrung und Glaubensfreiheit. Gedanken über das Gedicht „Von guten Mächten“, Alexander Völker
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


 

  1. Von guten Mächten treu und still umgeben
    behütet und getröstet wunderbar,
    so will ich diese Tage mit euch leben
    und mit euch gehen in ein neues Jahr;
  2. noch will das alte unsre Herzen quälen
    noch drückt uns böser Tage schwere Last,
    Ach Herr, gib unsern aufgeschreckten Seelen
    das Heil, für das Du uns geschaffen hast.
  3. Und reichst Du uns den schweren Kelch, den bittern,
    des Leids, gefüllt bis an den höchsten Rand,
    so nehmen wir ihn dankbar ohne Zittern
    aus Deiner guten und geliebten Hand.
  4. Doch willst Du uns noch einmal Freude schenken
    an dieser Welt und ihrer Sonne Glanz,
    dann woll’n wir des Vergangenen gedenken,
    und dann gehört Dir unser Leben ganz.
  5. Laß warm und hell die Kerzen heute flammen
    die Du in unsre Dunkelheit gebracht,
    führ, wenn es sein kann, wieder uns zusammen!
    Wir wissen es, Dein Licht scheint in der Nacht.
  6. Wenn sich die Stille nun tief um uns breitet
    so laß uns hören jenen vollen Klang
    der Welt, die unsichtbar sich um uns weitet,
    all Deiner Kinder hohen Lobgesang.
  7. Von guten Mächten wunderbar geborgen
    erwarten wir getrost, was kommen mag.
    Gott ist bei uns am Abend und am Morgen,
    und ganz gewiß an jedem neuen Tag.

Bonhoeffers siebenstrophiges Gedicht Von guten Mächten bildete den Schluss seines Briefes vom 19. Dezember 1944 an Maria von Wedemeyer. Die Schlussstrophe Von guten Mächten wunderbar geborgen hat seit den fünfziger Jahren des vorigen Jahrhunderts bis zum heutigen Tag eine ungeheuer große Breitenwirkung gehabt; sie hat sich wie kein anderer Text als Leit-, Lebens- und Erbauungsspruch allüberall durchgesetzt. Das Gedicht, eigentlich das letzte erhaltene theologische Dokument aus Bonhoeffers Feder, stellt so etwas wie ein authentisches Vermächtnis des großen Theologen dar. Eine kleine Reihe besonderer, charakteristischer Züge soll hier nur kurz angeleuchtet werden.

Die Sprachrichtungen der Rede zeigen es schon an: Ganz und gar persönlich, ja privat sind diese Gedichtzeilen niedergeschrieben, geprägt von den Erfahrungen verschärfter Haft und Bedrohung der Seinen (ich ... mit euch , 1,3; das wir der Strophen 2 bis 6; führ ... wieder uns zusammen ; 5,3; wir ... Gott , 7,2f.); diese Verse gehören ganz – wie es scheint, ausschließlich – den unmittelbar Beteiligten, spiegeln sie doch die vorweihnachtlichen Tage des vorletzten Kriegsjahrs vor 62 Jahren in deren besonderer Lebenssituation. Wir Menschen, wir Christen von heute sind nicht Bonhoeffer – doch gerade dieses so unverwechselbar Persönliche ist es, das auf einmal einen Raum des ‚Inter-esse’, des Dabei-Seins öffnet und, was in diesen Zeilen ausgesprochen und bekannt wird, aussprechbar, ja bekennbar für ungezählt Viele machen kann.

Nach der so persönlich formulierten Erklärung des Dichtertheologen an die Seinen finden die Verse sehr bald ein ganz anderes Gegenüber, das Du Gottes (orig. immer groß geschrieben), mit Ach Herr (2,3) wenigstens einmal angeredet. Das Gedicht Von guten Mächten wird nunmehr zum Gebet. Es ist vorstellbar, dass Bonhoeffers Weihnachts- und Jahreswendebrief an seine Braut und seine Familie durchaus noch andere Mitteilungen enthalten habe könnte (wiewohl zu fragen ist, was ein seit gut anderthalb Jahren Inhaftierter an Wissenswertem mitzuteilen gehabt hätte). Sein Blick auf das alte Jahr und die drückende böser Tage schwere Last (2,1f.) sagt längst genug: Auch diese Erfahrung, noch (zweimal!) ganz gegenwärtig, ist von Gott – auch dies will er den Seinen sagen. Sie macht ihm Mut, wie die Psalmbeter (vgl. die Anklänge an Pss 139,5; 91,11 in 1,1f.) – entsprechend dem kleinen Beiwort so (1,3) – Gott an seine Verheißung zu erinnern: gib unsern aufgeschreckten Seelen das Heil ...

Noch einmal zurück zum Anfang! Schon die Wortwahl Bonhoeffers hat wesentlich zur Akzeptanz seines Gedichtes beigetragen. Von guten Mächten : Als ein den bösen Mächten Ausgelieferter denkt er hier doch an die Engel, verzichtet aber darauf, sie „Engel“ zu nennen zugunsten der vielfältig interpretierbaren guten Mächte. Auf diese Weise bleibt er im biblischen Sprachspiel (das Mächte – der Welt o.a. zumeist als gottwidrige Wesenheiten kennt, Röm 8,38; Gal 4,3.9; Eph 3,10; Kol 1,16 u.ö.); er öffnet damit (längst vor dem Wiedererscheinen der ‚Engel’ in der Esoterikwelt) die Tür zu einer verlorenen, vergessenen Glaubensüberlieferung. Seine Bitte in 2,3f. zielt ganzheitlich, umfassend auf das Heil, für das Du uns geschaffen hast.

Ein solcher Wortgebrauch von Heil entspricht dem theologischen Denken Bonhoeffers von der Wirklichkeit Gottes in dieser Welt klarer und treffender als die ebenfalls biblischen Worte Gnade, Liebe Gottes, Barmherzigkeit. Gib uns das Heil – welches Bekenntnis gegenüber dem „deutschen Gruß“, der doch Heil mit dem Namen eines Menschen verband und damit Heil von ihm erwartete!

Die bedrückenden Umstände, unter denen das Liedgedicht geschrieben ist, erscheinen nur in den Wendungen Herzen quälen und böser Tage schwere Last der zweiten Strophe. Erfahrene Grässlichkeit, Entwürdigung, Unmenschlichkeit will das Gedicht nicht verschweigen, diese aber auch nicht um ihrer selbst willen thematisieren – sie gehören, um in Bonhoeffers Kategorien zu reden, zum „Vorletzten“, das dem Endgültigen, Letzten weichen muss und weichen wird. So verwundert es nicht, dass nun, schon fast in der Mitte des Ganzen, mit Und eingeleitet, die Kelch- Strophe folgt. Jesus in Gethsemane (Mk 14,32ff. par.) ist das zentrale biblische Bild, aus dem Bonhoeffer Kraft zum Leben, zum Leiden , zum Sterben gewinnt. Wem hätte nicht die Festigkeit des Glaubens dieser Zeilen – bei einer Abendmahlsfeier, gefeiert mit stummer Verzweiflung und Zerknirschung über sich selbst, über die anderen, über die Welt – immer wieder neue Kraft geschenkt?! Über dieser Strophe liegt so etwas wie ein österlicher Glanz, wenn sie sagt: so (vgl. 1,3) nehmen wir ihn dankbar ohne Zittern aus Deiner guten und geliebten Hand. Wohlgemerkt: Der Betende ist sich der Erhörung seines Betens durch Gott gewiss, auch wenn er nicht weiß, was kommen mag (7,2), ob nicht noch Schrecklicheres als bisher schon geschehen wird. Insofern nötigt gerade diese Strophe in ihrer unumstößlichen Gewiss heit (7,4) allen, die sie sich künftig zu eigen machen werden, Respekt, ja Bewunderung ab.

Auch ein Übermaß an persönlich ertragenem Leiden bedeutet nicht, vor der Freude an dieser Welt (4,1f.) die Augen zu verschließen. Nach der „Krise“ von Strophe 3, dem dankbaren Ja zum Leidens -, ja Todeskelch , hat Bonhoeffer jetzt weitere Schritte über das „Vorletzte“ der Strophe 2 (1f.) hinaus getan. Albrecht Schönherr hat dies so umschrieben: „Der Sonne Glanz und alles, was darunter wächst, ist nicht mit Gottes Heil zu verwechseln. Aber die Freude daran ist Anlaß, dankbar des Vergangenen zu gedenken : der vergangenen Schmerzen, in denen Gott nahe war, des vergangenen Trostes durch die guten Mächte , der vergangenen Fehler, die daran gemahnt haben, dass Gottes Heil unser einziger Halt ist“ (Liederkunde EG, 2002, 38f.).

Bekanntlich ist Bonhoeffers theologische Überzeugung sehr stark von der Gegenwart Gottes in der unwiderruflich säkularisierten Welt und der Aufgabe einer weltlichen Interpretation des Evangeliums bestimmt. Strophe 4 (Doch ) mit der betonten Hinwendung zum Diesseits (das den Dämonen, den Mächten des Bösen nicht überlassen werden darf), fügt sich in dieses Glaubensdenken gut ein, zeigt also einen „echten Bonhoeffer“, der ganz selbstverständlich seinen Anspruch auf Leben und Welt erhebt. Faszinierend der Strophen-Schluss und dann gehört Dir unser Leben ganz – die Einheit von Schöpfung und Versöhnung, von Schöpfer (2,4!) und Erlöser könnte in diesem Gedicht nicht eindrücklicher ausgesagt werden.

Mit Strophe 5 lenkt Bonhoeffer zur Weihnachtssituation seiner Braut und der beiden Familien zurück: Laß ... die Kerzen heute flammen (5,1), sie werden zum Zeichen der unbestreitbaren Gegenwart Gottes (die Du ... uns gebracht , 5,2). „Der dringlichste Weihnachtswunsch darf ausgesprochen werden: führ, wenn es sein kann, wieder uns zusammen! (5,3), das persönlich Ersehnte spricht für sich selbst und gegen das Chaos“ (Jürgen Henkys, Geistl. Wunderhorn, 2001, 458). An keiner Stelle des Gedichts begegnet das viel strapazierte Wort „Glauben“ – dafür ist hier mehr als ein Credo zu lesen: Wir wissen es ... Dieses Wissen kennt nur einen Vorbehalt (wenn es sein kann ) und „gibt damit Gott die Ehre“.

Zur Stille (6,1; vgl. 1,1) lese man einen Text Dietrich Bonhoeffers (hier unvollständig zitiert ): „Es ist, als ob die Seele in der Einsamkeit Organe ausbildet ... So habe ich mich noch keinen Augenblick allein und verlassen gefühlt ... Du, die Eltern, Ihr alle ... seid mir immer ganz gegenwärtig ... Es ist ein großes, unsichtbares Reich, in dem man lebt und an dessen Realität man keinen Zweifel hat“ (Brautbriefe, 208). Im Blick auf Gott zieht Bonhoeffer die Konsequenz aus seiner Erfahrung und seinem Glauben. Noch vor der bündigen Zusammenfassung des Ganzen in der Schlussstrophe 7 erklingt die Doxologie seines Lebens und seines Sterbens: so laß uns hören jenen vollen Klang ..., all deiner Kinder hohen Lobgesang (6,2ff.).

Alexander Völker
asvoelker@teleos-web.de

 


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