Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: C. Dinkel und I. Karle

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Meditationen über Texte von Dietrich Bonhoeffer - 2006
Meditation über den Brief Dietrich Bonhoeffers vom 21.8.1944 (WE 265-266)
Margrethe Øster Barfoed, Annelise Søndengaard, Steen Tygesen(Dänemark)
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


Christi Leiden

Im Gefängnis, in einer Zelle, im Jahr 1944, sitzt ein Mann und schreibt.
Er schreibt aus seiner Gefängniszelle an seinen Freund, der weit weg ist.
Isoliert von denen, die er liebt – getrennt durch Berge und Krieg.
Er schreibt aus seinem Glauben heraus.
Der Gefangene schreibt zum Trost für seinen einsamen und ausgesetzten Freund.
Er will ihn trösten; er schreibt sich selbst zum Trost.
Den Trost gibt es.
„Gewiss ist, dass im Leiden unsere Freude, im Sterben unser Leben verborgen ist.
Alles, was wir mit Recht von Gott erwarten, erbitten dürfen, ist in Jesus Christus zu finden.”
Das schreibt er.
Er bewegt sich zur Mitte hin. Dort, in der Mitte, ist das Kreuz.
„Gewiss ist, dass wir immer in der Nähe und unter der Gegenwart Gottes leben dürfen.“
Das schreibt er.
In der Mitte ist der Tod.
Zwischen Himmel und Erde.
An einem Strick, auf einem Baum.

Der Strick ist gefühllos. Der Strick sieht nichts. Hört nichts.

100 Jahre früher, in sibirischer Kälte, sitzt ein Mann, eingesperrt in einer Gefängniszelle.
Er schreibt. An seine Geliebten, in weiter Ferne.
Er sehnt sich.
Sehnt sich nach Glauben, und er schreibt sich zum Glauben.

„Ich glaube, dass es nichts Schöneres gibt, nichts Tieferes, nichts so Anziehendes, nichts so Wahres, so Mutiges und soVollkommenes wie Jesus Christus.
... wenn mir jemand den Beweis brächte, dass die Wahrheit über unser Leben nicht in Christus ist, und wenn festgestellt werden sollte, dass die Wahrheit sich wirklich anderswo befindet als bei ihm, dann würde ich dennoch Christus wählen anstelle der Wahrheit.“
Das schreibt er.
Den Glauben gibt es.

Das Wort heftet sich an das Papier.
Das Papier ist stumm. Sibirisch weiß, gefühllos, blind.
Das Wort heftet sich an das Papir. Das das Wort weiterträgt, bis hin zu uns. Das Wort sieht, das Wort hört, das Wort spricht – zu dir – und mir.

Hier in unserem geschlossenen Raum.

Europa wurde mit Gräbern gefüllt.
Die Erde war schwer und satt. Von Tod.
Es war nicht genug.
Selbst die Luft wurde mit Gräbern gefüllt.

Während Dietrich in seiner Zelle schrieb, füllte sich die Luft.
Die unzähligen und unersättlichen Schornsteine sandten Millionen von Toten in die Luft zu ihren Gräbern.

Während Fjodor aus Sibirien schrieb, erschoss man die russischen Rebellen.

Jedoch: „Alles, was wir mit Recht von Gott erwarten, erbitten dürfen, ist in Jesus Christus zu finden, denn das Leben ist verborgen im Sterben.”
„Das Leben ist verborgen
im Sterben.“

„Das ist gewiss.“

Gewiss.

Pastorin Margrethe Øster Barfoed (E-mail: moeb@km.dk)
Pastorin Annelise Søndengaard (E-mail: sondengaard@vip.cybercity.dk)
Propst Steen Tygesen (E-mail: sty@km.dk)

 


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