Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: C. Dinkel und I. Karle

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Meditationen über Texte von Dietrich Bonhoeffer - 2006
Meditation über den Brief Dietrich Bonhoeffers vom 8.6.44 ( WE 215-221)
Kirsten Arngod Nielsen, Lis Ladefoged (Dänemark)
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


Christus und die mündige Welt

Lesung: Gen. 3,1-7, 22-24

Und Gott der Herr sprach: Siehe, der Mensch ist geworden wie unsereiner und weiß, was gut und böse ist.
Der Mensch wollte sein wie Gott. Und er wurde wie Gott. Anscheinend. Der Mensch selbst glaubte, er sei mündig geworden. Der Mensch sah klar, dass er schon längst über das Stadium des Kindes hinausgelangt war, wo es göttlicher Autorität bedurfte, um all das Unverständliche erklärt zu bekommen. Jetzt konnte er ohne Gott zurechtkommen. Er hatte Gott nicht mehr nötig. Die Arbeitshypothese Gott war überflüssig geworden. Jetzt konnte der Mensch selbst alles bewältigen. Er konnte auch das Gewicht derjenigen Fragen aushalten, die noch unbeantwortet waren.

Der mündige Mensch wollte nicht abhängig sein. An Gott zu glauben, war für den mündigen Menschen nicht mehr notwendig. Er glaubte an sich selbst. Er hattte keinen Bedarf mehr, von Gott geschaffen zu sein, er hatte auch keinen Bedarf mehr, von einem Gott gefunden zu werden. Und er hatte überhaupt keinen Bedarf mehr zu hören, dass Gott sich aus der Welt zurückgezogen hatte. Denn es war ja gerade das Verschwinden Gottes, das der mündige Mensch so deutlich sah.

Aber der mündige Mensch litt an Gedächtnisschwund. Er hatte vergessen, dass er geschaffen war – geschaffen im Bild Gottes. Er erinnerte sich nur, dass der Unterschied zwischen Gott und ihm selbst so groß war, dass es war, wie wenn Gott in diesem Unterschied verschwände. Gott hatte wirklich überhaupt nichts mit dem Menschen zu tun. Gott war für den mündigen Menschen völlig im Jenseits verschwunden.

Deshalb musste Gott den Gedächtnisschwund der Menschen auf sich nehmen. Gott musste mitten in diese Welt gehen, in das Dasein des mündigen Menschen – ja, Gott musste mit dem mündigen Menschen eins werden. Er musste der Mensch werden, der am Ende ruft: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen!“

Wir, die wir uns selbst als mündige, unabhängige Menschen sahen, hatten uns in die Tiefe des Vergessens und Verdrängens fallen lassen. Als mündige Menschen wollten wir Gott verschwinden lassen. Aber Gott wollte uns nicht in unserem Gedächtnisschwund verschwinden lassen. Gott wollte unser Gedächtnis aufwecken. Er wollte uns ins Gedächtnis rufen, dass unsere ganze Welt, unsere ganze Existenz als ein Gleichnis zu sehen ist, als eine Erinnerung an eine ganz andere Welt, eine ganz andere Existenz, einen ganz anderen Menschen, der Teil einer ganz anderen Geschichte ist – nämlich der Geschichte Gottes. Und deshalb tat Gott das Unerhörte: er ging auf den mündigen Menschen los. Buchstäblich. In Jesus ging er auf uns los, er wurde Fleisch (*), so dass wir nie mehr vergessen können, dass Gott hier mitten in unserer Welt ist. Denn wohl sind Gott und Welt so verschieden, wie Schöpfer und Schöpferwerk es sein müssen, aber zugleich ist diese Welt Gottes Welt. Gott hat sie zu seiner Welt gemacht.

Und Gott macht unsere Geschichte, macht die Geschichte, die davon handelt, Gott zu versagen, ihn in die Jenseitigkeit zu verweisen, – diese Geschichte macht er zu seiner Geschichte, indem er sich in Christus am Kreuz freiwillig aus der Welt drängen lässt. Gott nimmt in Christus unsere Verdrängung Gottes auf sich. In Christus gab Gott sich ganz dem irdischen Leben hin – und mit ihm erhalten wir die Freiheit, dasselbe zu tun. Wir erhalten die Freiheit, die weltlichen, modernen Menschen zu sein, die wir nun einmal sind. Denn mitten in unserer Weltlichkeit, mitten in unserer scheinbaren Gottlosigkeit werden wir unaufhörlich daran erinnert, dass Gott in Christus auf uns losgegangen ist, Fleisch geworden ist und deshalb nie mehr aus unserer Welt entfernt werden kann.

Lesung: Phil. 2,6-11

Pastorin Kirsten Arngod Nielsen (E-mail: karn@km.dk)
Pastorin Lis Ladefoged (E-mail: ladefoged@stofanet.dk )

(*) disse ord er min tilføjelse. Kort forinden er der to gange brugt formuleringen „Gud gik i kødet på os“. Det har jeg oversat til ... ging auf uns los. Men for at tydeliggøre hentydningen til inkarnationen har jeg tilføjet ordene han blev kød.

 


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