Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: C. Dinkel und I. Karle

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Meditationen über Texte von Dietrich Bonhoeffer - 2006
Meditation über Dietrich Bonhoeffers Gedicht: „Christen und Heiden“ (WE 246f.)
Knud Ove Mandrup, Troels Laursen, Hans Jacob Hansen (Dänemark)
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


Lesung: Ps. 22.

Menschen kommen zu Gott in ihrer Not,
flehen um Hilfe, bitten um Glück und Brot,
um Errettung aus Krankheit und Tod.
So tun sie alle, alle, Christen und Heiden.

Es gibt im Menschen ein unmittelbares Bedürfnis, die höheren Mächte um Hilfe anzurufen. Der Schrei aus der Kehle des Menschen lautet überall auf der Welt, wenn die Not kommt. Unglück, Hunger, Krankheit, Schuld und Tod bringen den Menschen an den Rand des Abgrundes. Und aus der Tiefe späht der Mensch nach dem Leben. Aus der Hoffnungslosigkeit und Ohnmacht ruft er um Hilfe. Aus der Tiefe lässt er Blick, Gedanken und Gebet zum Himmel streben. Nur, wer stärker ist, kann den überwinden, der stark ist. Nur Gott kann helfen, ja, den verwundeten Menschen aus dem Elend heben. Der Mensch hat Gott nötig, wenn die Not groß ist; er denkt: Es muss eine überirdische Macht geben, die das Böse bewältigt. Wer kann das? Gott vermag es!

Der Mensch sucht also einen Gott, der über die Not und das Elend der Welt erhaben ist, in der Hoffnung, selbst aus der Not geführt zu werden, erlöst von Leid, Unheil und Niederlagen dieser Welt. Das Gebet um ein würdiges und heiles Leben ist somit ein Gebet um ein Leben, erhaben über all das, was das Leben eng und schwer macht. Ein vollkommenes Leben ist ein Leben, das unserer irdischen Wirklichkeit entrückt ist. Und der Mensch glaubt, dass der Gott, der diesen Traum erfüllen kann, über alles Elend und alle Not erhaben sein muss.

Das tun Menschen, Christen wie Heiden. Aber wo ist Gott zu finden, und finden sie ihn dort, wo sie glauben, dass ER zu finden ist?

Menschen gehen zu Gott in Seiner Not,
finden ihn arm, geschmäht, ohne Obdach und Brot,
sehn ihn verschlungen von Sünde, Schwachheit und Tod.
Christen stehen bei Gott in Seinen Leiden.

Wo ist Gott zu finden, und finden wir ihn dort, wo wir glauben, dass er zu finden ist?

Es ist ein fast undenkbarer Gedanke, dass Menschen Gott beistehen könnten. Und doch gibt es entscheidende Augenblicke, in denen es scheinen möchte, als ob Gott es sei, der Hilfe nötig habe. Als der Schrei von dem notleidenden Mann am Kreuz ertönte: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“, war die Antwort nur Schweigen. Und ich frage, ob der Schrei des notleidenden Menschen an einen notleidenden Gott gerichtet ist, der nichts mehr zu sagen hat? Oder an einen Gott, der durch sein Schweigen die Rufe des Menschen zum Menschen selbst zurückkehren lässt?

„Ich will antworten,“ sagte Karen Blixen. Ihr Motto war ein Kampfruf gegen das blinde Schicksal, ein Wille, gegen ein unbegreifliches Schweigen Einspruch zu erheben. Aber wenn das Schweigen daher rührt, dass Gott in Not ist, was ist dann die Antwort von Seiten des Christen, der „bei Gott in Seinen Leiden steht“?

Vielleicht die überraschendste Antwort der Weltgeschichte: „Wahrlich, dieser Mann ist Gottes Sohn gewesen.“ Gesprochen von einem Menschen ohne Voraussetzungen, einem Heiden. Der römische Offizier, der am Kreuz stand und Jesus sterben sah, gab eine Antwort. Und mit seiner Antwort war er der erste christliche Mensch auf Erden. Er hat den Gedanken hervorgebracht, Gott in jedem leidenden Menschen zu sehen, der erste Christ, der „bei Gott in Seinen Leiden steht“. Gott teilt sein Leiden mit uns.

Gott geht zu allen Menschen in ihrer Not,
sättigt den Leib und die Seele mit Seinem Brot,
stirbt für Christen und Heiden den Kreuzestod,
und vergibt ihnen beiden.

Der Mensch sucht nach Gott, – in einer ewigen Sehnsucht nach dem Heilen und Ungebrochenen. Allerwärts sucht der Mensch Gott. Jenseits der Sterne und in der Tiefe des Meeres. Allerwärts. Aber wir suchen vergeblich.

Gott kommt zu uns – vielleicht sogar genau dort, wo wir die größten Schwierigkeiten haben, ihn zu entdecken, dort, wo ER in Leid, in Not kommt. Wir brauchen nicht nach ihm zu suchen. Er ist hier. Mitten in unserer Welt. Mitten in der Not und dem Elend aller Welt.

Die Wahrheit zu finden ist heil zu werden. Gottes Vergebung heilt das Gebrochene. Er gibt etwas dazu. Er legt etwas dazu. Zu dem, was ist. Die Wunden, die Narben sind noch immer da – Menschen schreien ihre Verzweiflung und Not heraus, aber Gott legt sein eigenes Leben darüber, so dass es nicht mehr gesehen werden kann. Die Schuld wird übersehen, so dass der Schuldige gesehen werden kann. Das Kreuz mitten in der Welt erschafft den heilen Menschen neu, der jetzt wieder eingesetzt ist, als ein freier Mensch zu leben, mit dem Mut, sich hinaus zu wenden gegen die Welt hin. Gottes Tod mitten in der Welt stellt den Menschen wieder mitten in die Welt.

Pastor Knud Ove Mandrup (E-mail: kom@km.dk)
Pastor Troels Laursen, (E-mail: tla@km.dk)
Pastor Hans Jacob Hansen (E-mail: hjh@km@dk)

 


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