Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, J. Neukirch, C. Dinkel, I. Karle

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1. Sonntag im Advent, 3. Dezember 2006
Predigt zu Lukas 1, 68-79, verfaßt von Christine Hubka
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


Vorbemerkung:
An einem Sonntag im Advent wird in der Evangelischen Pauluskirche in Wien ein Gottesdienst gefeiert, der das Anliegen der Bewegung „World Wide Candlelighting“ aufnimmt, in dem der zu früh geborenen oder früh verstorbenen Kinder gedacht wird. Dieses Anliegen wird, da es sich um einen Gemeindegottesdienst handelt und nicht um einen Kasualgottesdienst, um das Thema Kinder insgesamt erweitert.


Wir alle wissen, dass eine Schwangerschaft
das Leben der Frau verändert.
Die Bibel weiß und erzählt auch
von den Veränderungen im Leben der Väter:

Ein Mann erfährt,
dass die Frau, mit der er lebt, schwanger ist.
Das verändert nicht nur sein Leben.
Es verändert ihn.
Er, der Wortgewandte,
er, der es gewohnt ist,
zu großen Volksmengen zu sprechen,
verstummt
während der Schwangerschaft seiner Frau.

Nach der Geburt des Sohnes
findet der Vater wieder Worte:

Gelobt sei der Herr, der Gott Israels!
Denn er hat besucht und erlöst sein Volk
und hat uns aufgerichtet eine Macht des Heils
im Hause seines Dieners David
- wie er vorzeiten geredet hat
durch den Mund seiner heiligen Propheten -,
dass er uns errettete von unsern Feinden
und aus der Hand aller, die uns hassen,
und Barmherzigkeit erzeigte unsern Vätern
und gedächte an seinen heiligen Bund
und an den Eid, den er geschworen hat unserm Vater Abraham,
uns zu geben,
dass wir, erlöst aus der Hand unsrer Feinde,
ihm dienten ohne Furcht unser Leben lang
in Heiligkeit und Gerechtigkeit
vor seinen Augen.
Und du, Kindlein, wirst ein Prophet des Höchsten heißen.
Denn du wirst dem Herrn vorangehen, dass du seinen Weg bereitest
und Erkenntnis des Heils gebest seinem Volk
in der Vergebung ihrer Sünden,
durch die herzliche Barmherzigkeit unseres Gottes,
durch die uns besuchen wird das aufgehende Licht aus der Höhe,
damit es erscheine denen, die sitzen in Finsternis und Schatten des Todes,
und richte unsere Füße auf den Weg des Friedens.

Während in seiner Frau das Kind wächst,
sind in dem Vater
Bilder voller Hoffnung gewachsen.
Was für unglaublich hohe Erwartungen
an ein Kind.

Du, Kindlein, wirst ein Prophet des Höchsten heißen.
Denn du wirst dem Herrn vorangehen, dass du seinen Weg bereitest
und Erkenntnis des Heils gebest seinem Volk
in der Vergebung ihrer Sünden, …

Johannes heißt der Knabe –
Er ist ein Wunschkind.
Sein Name bedeutet:
Gott ist gnädig. Gott neigt sich dir zu.

Wunschkind sein kann eine Last werden,
wenn die Erwartungen so hoch sind.
Was ist, wenn das Kind,
die Tochter, der Sohn, der Stammhalter
diese Erwartungen nicht erfüllt?

Johannes wird ein Unangepasster.
Er verkracht sich mit den wichtigsten Leuten.
Er macht sich den mächtigsten Mann im Land
zum Feind.
Am Ende stirbt er im Kerker.
Ein Justizmord ist es
nach einer Party im Haus des Königs.

So hat sich das sein Vater wohl nicht vorgestellt,
als er gesagt hat:
Du, Kindlein, wirst ein Prophet des Höchsten heißen.

Aber:
Johannes heißt:
Gott ist gnädig. Gott neigt sich dir zu,
Wenn sich auch die mit den hohen Erwartungen
von dir abwenden.

Gott ist gnädig –
Gott neigt sich zu den Kindern,
die unsere Erwartungen nicht erfüllen.
Und weil er ihnen dabei nahe kommt,
sieht Gott das, was kostbar ist in diesem Leben,
das andere als verpfuschtes Leben abtun.

Gott neigt sich zu den Kindern,
die andere Wege gehen, als ihre Eltern vorgeben.
Und er begleitet sie auch dort,
wo keiner sonst mehr mitgehen will.

Gleich neben den Hoffnungsbildern aber
lauern Bilder voller Angst,
wenn ein Kind erwartet wird.:
Wenn der Vater, die Mutter
gerade in Finsternis und Schatten des Todes sitzen,
kriechen aus dieser Finsternis die Fragen heraus:

Wo wird Platz sein für das Kind,
und wie ist dieser Platz beschaffen,
wenn das Kind
mit einer Behinderung geboren wird?

Wie können wir Eltern, Vater, Mutter,
noch zusätzlich Verantwortung übernehmen
für ein Kind,
wenn wir unser eigenes Leben
gerade eben nur mit Mühe bewältigen?

Fragen,
die – anders als viele anderen Fragen –
selten ausgesprochen
und noch seltener besprochen werden.

Weil Eltern auf diese Fragen keine Antwort finden,
die Licht in diese Finsternis
und die Schatten des Todes bringen könnte,
haben sie nicht den Mut,
ihr Kind auf die Welt kommen zu lassen.

Aber Johannes heißt:
Gott ist gnädig.
Gott neigt sich zu den Eltern,
die ihrem Kind nicht Eltern sein können,
und sieht die Traurigkeit und die Angst,
wenn andere von Rabeneltern reden.

Johannes heißt:
Gott ist gnädig.
Gott neigt sich zu den Familien,
die um ein Kind weinen,
das viel zu früh geboren wurde,
um leben zu können.
Auch wenn rund um diese Eltern
die Achseln gezuckt werden,
und so schnell davon die Rede ist,
dass man ja noch weitere Kinder haben kann.

Und dort, wo Kinder nach kurzer Lebenszeit
ihre Eltern an der leeren Wiege zurücklassen,
auch dort neigt Gott sich ganz nahe hin,
um die Tränen zu zählen.
Lange nachdem rund um diese Familien
das sogenannte normale Leben weiter geht,
gibt es Tränen.
Und Gott bleibt da, bis die letzte geweint ist.
Johannes heißt:
Gott ist gnädig.

Darum brauchen wir auf unseren evangelischen Friedhöfen Orte,
die zu früh geborenen Kindern
und früh verstorbenen Kindern gewidmet sind.
Orte, wo es zu spüren ist für die,
die um diese Kinder trauern,
dass Gott sich denen zuneigt,
die um diese Kinder klagen.

Orte, wo nicht gefragt wird nach den Ursachen,
wo das Leid und die Tränen aufgehoben sind,
und die Verheißung strahlt:
Gott wird deinem Kind Mutter und Vater sein,
weil du es nicht sein kannst.

Der Vater des Johannes sagt:

Durch die herzliche Barmherzigkeit unseres Gottes,
wird uns besuchen das aufgehende Licht aus der Höhe,
damit es erscheine denen, die sitzen in Finsternis und Schatten des Todes.

Wir aber wissen mehr als er.
Wir wissen:
Nicht nur auf Besuch ist er gekommen.
Sondern er ist gekommen und geblieben.
Denn Johannes heißt:
Gott ist gnädig. Er neigt sich uns zu.

Und dafür sei Lob und Preis in Ewigkeit.

Dr. Christine Hubka, Wien
christine.hubka@gmx.at

 


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