Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, J. Neukirch, C. Dinkel, I. Karle

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1. Sonntag im Advent, 3. Dezember 2006
Predigt zu Lukas 1, 68-79, verfaßt von Matthias Rein
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


Ins Singen kommen

Liebe Gemeinde,

ein alter Mann singt.
Er singt aus Freude über die Geburt seines Sohnes.
Er hat darauf gewartet, gehofft und - doch nicht mehr daran geglaubt.
Aber nun ist das Kind da.
Ein Wunder!
Der alte Zacharias singt, denn er ist glücklich.
Heil ist ihm widerfahren!

Der singende Alte – ein schönes Bild. Ich verweile. Wo ist mir ein glücklich-singender Menschen zuletzt begegnet? Wer singt mit wem wann welche Lieder und warum?
Mir steht die alte Frau vor Augen. Sie singt einen Choral. Melodie und Text hat sie ganz sicher. Sprechen kann ich nicht mehr mit ihr. Sie ist krank.
Aber singen kann sie. Lieder erreichen sie, rühren tiefe Schichten in ihr an, geben ihrer Existenz Ausdruck.
Ein Bild für uns Menschen: Lieder geben unserem Grund Ausdruck – mehr als nackte Worte vermögen. Unsere Lieder zeigen , wer wir sind.

Wie kommen wir zu Liedern? Was lässt mich singen?
Der Lobgesang des Zacharias hilft uns, das Singen zu lernen, in den Gesang Gottes einzustimmen, heute am 1.Advent.

Zacharias singt ein Lied mit alter Melodie.
Israel kennt diese Melodie. Israel hat die Lieder, die auf diese Melodie gehen, gesammelt und immer wieder gesungen. Die Melodie verbindet mit der Vergangenheit. Die Melodie führt zusammen in der Gegenwart und schafft Gemeinschaft. Wer mitsingen will, muß die Melodie lernen.

Auch den Text des Liedes kennt Israel: Gott hat sein Volk besucht, erlöst, eine Heils-Macht aufgerichtet, von Feinden errettet, Barmherzigkeit erzeigt, seines Bundes gedacht. Gott hat Heil gewirkt seinem Volk.
Zacharias schaut zurück und erinnert sich, wie Gott Heil gewirkt hat.
Davon handelt die erste Strophe seines Liedes.

Heil ist ihm nun widerfahren, jetzt, in der eigenen Lebensgeschichte, in der eigenen Familie, in einem Kind.
Das Heil ist nicht nur etwas für die Erinnerung: Wißt Ihr noch? Damals, die alten Geschichten!
Das Heil geschieht jetzt, in der Gegenwart. Mitten im Leben. Gott handelt. Da fängt Zacharias an zu singen.

Wenn wir mitsingen wollen, müssen wir den Text lernen: Gott erbarmt sich. Gott wirkt Heil. Damals, heute, immer wieder.

Und Zacharias schaut voraus in seinem Lied. Davon handelt die zweite Strophe.
Sein Sohn wird Großes tun. Er geht dem Herrn voran, er weist auf das Heil in Christus. Alles steht unter dem Vorzeichen der Erwartung. Heil ist schon da in dem Kind. Aber das Kind ist doch erst ein Hinweis auf die Fülle, die kommt.

In zwei Kindern zeigt sich dies: Johannes und Jesus, beide durch das Wirken Gottes im Geist auf die Welt gekommen. Beide zuerst klein, aber in beiden stecken große Erwartungen, Hoffnungen. In beiden steckt der Anfang des Neuen. Wenn sie erst groß sind, dann...

Beide Kinder kommen durch Gottes Geist in die Welt.
Diesen Geist hat Zacharias. Dieser Geist wirkt durch Johannes, den Täufer.
Maria empfängt durch den Geist ihr Kind. Der Geist kommt auf Jesus herab.

Das Wirken des Geistes Gottes ist wichtig für unseren Gesang.
Der Geist macht uns bereit einzustimmen, zaghaft und unsicher am Anfang, dann aber immer kräftiger und aus vollem Herzen. Der Geist verwandelt uns, schafft uns neu. Gott wirkt an uns im Geist. Und das erleben wir, wenn wir sein Lied singen.

Das Heil ist da. Wer dies erlebt, singt, findet im Gesang Ausdruck für seine Freude, mehr als in dürren Worten.
Wer ein neugeborenes Kind in den Händen gehalten hat, so wie Zacharias, kennt das Glücksgefühl, kennt die tiefe Freude. Das Heil ist da.

Und das Heil bei uns?
Ist es da?
Wird es erfahrbar in der Adventszeit, die nun beginnt?

Der Lobgesang des Zacharias malt zwei Bilder, die von der Gegenwart des Heils erzählen.
Das erste Bild: Gott besucht sein Volk neu.
Gott zu Besuch - bei uns zu Weihnachten. Wir erwarten diesen Besuch in den nächsten Tagen – ein schönes Bild. Wir werden Andere durch die Erwartung.

Und das zweite Bild: Das aufgehende Licht besucht uns und scheint denen, die im Schatten des Todes und in der Finsternis sitzen.
Das ist Heil: Gottes Licht sehen, das die Finsternis zerbricht.

Und doch: Zacharias singt in einer Zwischenzeit.
Er hat Grund zum Danken. Aber es beginnt erst die Zeit des Vorläufers. Auf das eigentliche Licht wartet er noch – und weiß doch schon, dass es kommt.

Wenn wir singen, hält die Zeit an.
Vergangenheit wird gegenwärtig, Zukunft scheint auf, Gegenwart ist erfüllt. Gottes Heil in Fülle, erfahrbar bei seinem Besuch, sichtbar in seinem Licht, lässt uns zu Sängerinnen und Sängern seines Liedes werden.

Wir lernen das Lied von unseren jüdischen Schwestern und Brüdern, wir singen es neu im Advent und erleben - Gottes Geist verwandelt uns.
Seit Jahrhunderten singen Menschen auf der ganzen Welt den Lobgesang des Zacharias an jedem Morgen, im Morgengebet, in der Laudes.
Diesen Gesang kann man lernen.
Wenn wir das Lied singen, erleben wir: Aus vollem Herzen mitsingen – das ist schön.
Im Singen sind wir verbunden mit Menschen, die hunderte Jahre vor uns gelebt haben.
Im Singen sind wir verbunden mit Menschen auf der ganzen Welt – jetzt.
Im Singen sind wir verbunden mit Gott. Er verwandelt uns.

Wie kommen wir dazu zu singen?
Wir müssen Text und Melodie lernen.
Gemeinschaft hilft uns.
Gottes Geist muß uns ergreifen und verwandeln..

Im Advent ist Zeit zum Singen.
Die Adventslieder und der Lobgesang des Zacharias helfen uns dazu.
Gott sei Dank! Er kommt!

Amen


Dr. Matthias Rein
Studienleiter am Theologischen Studienseminar der VELKD
Bischof-Meiser-Str. 6
82049 Pullach
Tel. 089/74442428
eMail: Matthias.Rein@t-online.de


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