Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, J. Neukirch, C. Dinkel, I. Karle

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3. Sonntag im Advent, 17. Dezember 2006
Predigt zu Jesaja 40, 1-8, verfaßt von Walter Meyer-Roscher
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


Vorbemerkung: Diese Predigt werde ich am 3. Advent in der „Kehrwiederkirche“ von Steinbrück, zwischen Hildesheim und Braunschweig an der B1 gelegen, halten. Vor 50 Jahren, am 3. Advent 1956, hat der damalige hannoversche Landesbischof Dr. Lilje die Kirche eingeweiht und ihr diesen Namen gegeben.

Durch die Initiative meines Vaters, der Superintendent des Kirchenkreises war, zu dem Steinbrück gebietsmäßig gehörte, ist damals nach den Plänen von Konsistorialbaumeister Prof. Witt der alte Festungsturm der Burg Steinbrück zu einer Rundkirche umgestaltet worden. Evangelische Flüchtlinge aus den früheren deutschen Ostgebieten und evangelische Landwirte, die im Raum Salzgitter beim Aufbau der damals so genannten „Göringwerke“ enteignet worden waren und nach dem Krieg mit neuem Landbesitz entschädigt wurden, wollten in dem ursprünglich rein katholischen Ort ihre eigene Kirche haben. Aus diesem Wunsch entstand der Plan, den Zwinger der Burg zur heutigen Kehrwiederkirche umzubauen.

Der Name “Kehrwieder“ findet sich in einer Inschrift von 1573, die noch heute in der alten Mauer zu lesen ist:
„Der Kehr Wider bin ich genannt
Herzogk Julius, Herzoge Tho Braunswik Und
Luneborg bin ich bekannt
Seine Fürstlichen Gnade haben
mich lassen bauwen
Wer mich angreifet
Konnte Em Ghereuwen
Den ich bleibe in Allem Stantfastich wie nen
Steinern Moer.

***


Liebe Gemeinde,

„Kehrwieder“ – eine Einladung zur Rückkehr dahin, wo ich zu Hause bin, wo ich Heimatrecht habe. Ein schöner Name für eine Kirche, die ihr 50jähriges Jubiläum feiert. „Kehrwieder“, komm zurück! Du kannst wieder nach Hause kommen.

Ein Zuhause braucht jeder Mensch. Jeder braucht einen Ort, an dem er nicht nur als Leistungsträger und Arbeitskraft, vielleicht auch nur als Menschenmaterial gebraucht und verbraucht, sondern vielmehr als Mensch anerkannt wird. Jeder will einmal sagen können: hier bin ich gewollt, hier werde ich verstanden und brauche mich nicht ständig zu rechtfertigen. Hierher kann ich jederzeit zurückkehren. Hier habe ich Lebensrecht und auch so etwas wie eine innere Heimat.

Der Dichter Carl Zuckmayer schreibt nach seiner Flucht aus dem nationalsozialistischen Deutschland ins amerikanische Exil von seiner Sehnsucht nach Heimkehr und seiner Ahnung von der Zerstörung dessen, was ihm Heimat war, im Herbst 1939.

Ich weiß, ich werde alles wiedersehen,
Und es wird alles ganz verwandelt sein.
Ich werde durch erloschne Städte gehen,
Darin kein Stein mehr auf dem andern Stein –
Und selbst wo noch die alten Steine stehen,
Sind es nicht mehr die altvertrauten Gassen –
Ich weiß, ich werde alles wiedersehen
Und nichts mehr finden, was ich einst verlassen.

Kehr wieder – das hätten er und mit ihm seine unzähligen Leidensgenossen damals gern gehört. Aber viele, die im Exil leben mussten, sind auch im Exil gestorben. Sie haben erfahren, was der aus der DDR seinerzeit ausgebürgerte Schriftsteller Günter Kunert voller Bitterkeit und Resignation niedergeschrieben hat: „Heimat ist erst der Tod“.

Der Predigttext erinnert an das Exil des Volkes Israel in Babylon Ein Leben in der Fremde, im Ghetto der eigenen Lebensgewohnheiten und ausgegrenzt vom Leben und von der Gemeinschaft der anderen, der fremden Bewohner und Besitzer des Landes. Schlimmer aber als die Vertreibung aus der Heimat und die gegenwärtige Not war der Gedanke, dass der Ort ihrer Anbetung, die Heimat ihres Glaubens, der Tempel in Jerusalem zerstört und aus ihrem Leben ausradiert worden war. So waren sie wirklich heimatlos geworden – ohne einen Ort der Zuflucht in Selbstzweifeln, in Sorge um die Anforderungen der Gegenwart und in Angst vor einer dunklen, bedrohlichen Zukunft.

Sehnsucht nach Heimat in innerer Heimatlosigkeit, Sehnsucht nach Geborgenheit in der Angst vor einer unsicheren Zukunft, Hunger nach Licht und Wärme in einer kälter werdenden Gesellschaft. So erleben viele heute ihr eigenes, ganz persönliches Exil. Sie erfahren ihre Niederlagen im täglichen Konkurrenzkampf als Versagen, ihre Enttäuschungen als Verlust von Lebensqualität und als Zweifel am Wert und am Sinn ihres Lebens. Sie resignieren angesichts wachsender Gewalt im Zusammenleben der Völker ebenso wie in der eigenen kleinen Welt. Resignation aber ist immer schon eine Art von Tod noch mitten in unserem Leben. Dann bleibt es dabei: Heimat ist erst der Tod.

Kehr wieder, lass dein Exil, deine innere Heimatlosigkeit mit Angst, Bitterkeit und Resignation hinter dir! Es gibt eine Rückkehr, weil Gott selbst sie will. Der Prophet sollte es damals in Gottes Auftrag weitersagen.

Wir haben da unsere Zweifel, und die kannte auch der Prophet: Alle Anstrengung ist doch sinnlos, denn – mit seinen Worten – alle Menschen sind wie Gras, ihre Macht, Ihre Kraft, ihre Stärke sind wie eine Blume auf dem Feld. Das Gras verdorrt und die Blume verwelkt. Wie kann es da Aufbruch in ein neues Leben geben, Heimkehr zum Glauben an den Wert und den Sinn unseres Lebens und Rückkehr zu einer Lebensqualität, wie wir sie seit Kindertagen oft erträumt haben?

Den Zweifeln des Propheten antwortet eine andere Stimme und setzt alles Skepsis ein „aber“ entgegen: „Aber das Wort unseres Gottes bleibt in Ewigkeit“. Da wird dann auch gleich ein neuer Ton angeschlagen: „Tröstet, tröstet mein Volk“ und sagt ihm, es ist vorbei mit der Knechtschaft, unter der ihr bis heute so gelitten habt. Es ist vorbei mit dem Exil, das euren Geist deformiert und eure Seele verdunkelt hat. Kommt nach Hause, lasst euer Exil hinter euch! Wo ihr es selbst verschuldet habt, ist das vergeben und ihr könnt es vergessen.

„Ich weiß, ich werde alles wiedersehen und nichts mehr finden, was ich einst verlassen“. So hat es Carl Zuckmayer für seine Heimkehr geahnt und gefürchtet. Nein, diese Aufforderung, die der Prophet hört und weitergeben soll, klingt ganz anders, viel tröstlicher und hoffnungsvoller: kommt zurück, und es gibt auch einen Weg, auf dem ihr euch zurechtfinden werdet – einen Weg mitten durch alle Verwüstungen eures Lebens und alle Abbrüche von Traditionen und Lebensgewohnheiten, über alle Berge von Angst und Hoffnungslosigkeit hinweg, die sich vor euch auftürmen. Berge und Hügel sollen erniedrigt, und was uneben ist, soll gerade werden, hört der Prophet. Ihr sollt sehen, dass auf diesem Weg Gott selbst euch entgegen kommt.

Der Einladung: „Kehrwieder“, der Aufforderung: komm nach Hause, fügt Gott ein Versprechen hinzu: ich kehre auch wieder zurück – in eure Wüste, in die versteppten Landschaften eures Lebens. Der Weg wird für euch geebnet, alle Hindernisse werden beiseite geräumt. Wir werden uns auf diesem Weg begegnen. Ich lasse euch nicht allein. Diese Geborgenheit mag euch Heimat sein, in der ihr unter meinem Schutze leben könnt.

Daran hat diese Kehrwiederkirche seit ihrer Einweihung vor 50 Jahren mit jedem Gottesdienst schon durch ihren Namen erinnert: „Kehrwieder“. Bischof Lilje hat ihr am 3. Advent 1956 den Namen gegeben. So hieß schon der alte Festungsturm, der „Zwinger“, dessen Mauern nun diese Kirche umschließen. 1573 hat Herzog Julius, einer der Mächtigen im damaligen Deutschland, das Bollwerk so genannt, um die Rückkehr der Burg in seinen Machtbereich zu beschwören und zu demonstrieren. Die Inschrift in der alten Mauer kündet davon und erinnert an eine lange Geschichte von wechselseitigen Machtansprüchen und von Gewalt. Vor 50 Jahren hat eine neue Geschichte begonnen, und der alte Name hat einen neuen Sinn bekommen. Die Kehrwiederkirche will jetzt Heimat sein und dazu einladen, hier in allen Enttäuschungen und allen Lebensniederlagen, in allen Ängsten vor einer dunklen Zukunft Zuflucht zu suchen. Sie will dazu einladen, hier Geborgenheit zu finden im Vertrauen auf Gottes Zusagen, die der Prophet damals weitergegeben hat: Es ist vorbei mit der Knechtschaft durch Angst und Resignation. Eigenes Versagen und eigene Schuld sind vergeben, brauchen euch nicht mehr zu bedrücken. Ihr seid frei von solchen Zwängen und ihr könnt euer Leben auf dem Fundament dieses Vertrauens bejahen und gestalten.

Aus dem inneren Exil wieder heimkehren zu dürfen, neuen Lebensraum gewinnen zu können, ist auch eine Befreiung aus persönlicher Einsamkeit und eine Einladung in eine Gemeinschaft. Solche Gemeinschaft ist immer ein Stück Heimat. Mit anderen die Sorgen und Anforderungen des Alltags teilen zu können, macht das Leben leichter. Mit anderen gemeinsam die Aufgaben, die in unserer Gesellschaft auf unser Engagement und unseren Einsatz warten, angehen zu können, macht Mut und gibt Hoffnung.

Der Trost, den der Prophet damals weitergeben sollte, galt der Gemeinschaft des Volkes, von dem Gott sagt: Es ist mein Volk. Seit wir im Advent von der Ankunft Christi reden, der in Gottes Namen gekommen ist, gilt die Zusage, „Ihr seid mein Volk“ der weltweiten Gemeinschaft aller, die sich von diesem Gott ansprechen und trösten lassen. Sie gilt auch der Gemeinschaft dieser Gemeinde, die in der Kehrwiederkirche zu Steinbrück heute wie seit 50 Jahren zusammen kommt. Es ist vorbei mit der Knechtschaft, das Exil ist beendet. Freiheit und neues Leben im Vertrauen auf Gottes Zusage sind möglich. Sein Versprechen nimmt er nicht zurück. Das wird auch in Zukunft gelten.

Bei allen Veränderungen in unserer Kirche und in unseren Gemeinden bleibt die Gemeinschaft im Gottesdienst und in der Feier des Abendmahls. Es bleibt die Einladung zur Taufe auf den Namen des dreieinigen Gottes. Und darum wird jede Kirche auch weiterhin die Einladung aussprechen, die aus dem Namen dieser Kirche herausklingt: Kehr wieder“! Verlass dein dir zugefügtes oder auch selbst verschuldetes Exil, kehr zurück in den Lebensraum, den dir Gottes Wort öffnet. Darauf kannst du dich auch in Zukunft verlassen: „Das Wort unseres Gottes bleibt in Ewigkeit“. Amen

Walter Meyer-Roscher
Landessuperintendent i.R.
Adelog Str. 1
31141 Hildesheim
e-mail: meyro-hi@arcor.de


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