Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, J. Neukirch, C. Dinkel, I. Karle

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Heiliger Abend, 24. Dezember 2006
Predigt zu Johannes 7, 28-29, verfaßt von Rüdiger Lux
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


Liebe Schwestern und Brüder Jesu,

diese Anrede mag ihnen ein wenig plump vertraulich, fromm oder altväterlich klingen. Aber wenn es einen Abend im Jahr gibt, an dem sie ihren Ort hat, dann ist es der Heilige Abend. Ein Abend der großen Worte?

I

Keine leeren Worte – das Wort ward Fleisch….
Keine großen Reden – ein kleines, zappelndes, greinendes Kind.
Das ist das Leben. Das ist Gott. Gott ist das Leben.

Und das Kind, dessen Geburt wir in dieser Nacht feiern, ruft allen zu: …ich lebe, und ihr sollt auch leben. Aber da war er schon herangewachsen als er das rief, der Knabe aus der Krippe von Bethlehem. Da hatte er bereits seine Erfahrungen mit dem Leben gemacht, mit Gott.

Ich lebe und ihr sollt auch leben. Klang das nicht ein bisschen großspurig, ein wenig zu gönnerhaft? Jesus – ein Lebemann? Es gab nicht wenige, die ihn dafür hielten und mit dem Finger auf ihn zeigten: Siehe, was ist dieser Mensch für ein Fresser und Weinsäufer, ein Freund der Zöllner und Sünder!

Ja, was aus einem kleinen Kind nicht alles werden kann! Da hat man sich redlich Mühe gegeben mit seinen Sprösslingen – und nun solch eine Pleite. Da haben sie sich krumm gelegt, Josef und Maria, haben ihn ernährt und gekleidet, ihm ein Dach über dem Kopf gegeben, vielleicht gar gehofft, dass er die Schreinerwerkstatt des Vaters in Nazaret übernahm, doch der Knabe dachte gar nicht daran. War er nicht ein Herumtreiber geworden? Einer, der mit seinen Freunden durch’s Land zog, vom Mundraub lebte und große Reden hielt? Kein fester Wohnsitz, keine feste Arbeit, keine Familie – so hatten sie sich das sicher nicht vorgestellt, Josef und Maria, damals in der Nacht von Bethlehem.

Jesus - ein Sorgenkind? Hatten da Güte und Strenge gleichermaßen versagt? Der Maler Max Ernst hat solche Gedanken auf seine Weise in’s humorvoll-provoziernde Bild gesetzt. Da ist Maria zu sehen, die Gottesmutter, die den Jesusknaben übers Knie legt und ihm kräftig den Hintern versohlt. Geholfen hat’s freilich nicht. Er ging seinen Weg, den er gehen musste.

Vielleicht sitzt jetzt manch einer mitten unter uns, denkt an seine eigenen Sorgenkinder und seufzt im Stillen mit Wilhelm Busch:

»Ach was muss man oft von bösen
Kindern hören oder lesen!

Äpfel, Birnen, Zwetschen stehlen -
Das ist freilich angenehmer
Und dazu auch viel bequemer,
Als in Kirche oder Schule
Festzusitzen auf dem Stuhle. -
- Aber wehe, wehe, wehe, -
Wenn ich auf das Ende sehe!!«

Ja, das Ende – das Ende dieses holden Knaben ist uns bekannt. Sein Weg führte von Bethlehem nach Golgatha, von der Krippe zum Kreuz. Jesus – ein Sorgenkind? Gerade die Sorgenkinder haben ihre Geheimnisse. Wir glauben sie zu kennen. Wir glauben zu wissen, wer sie sind und was sie sind. Da stehen die Urteile und Verurteilungen schnell fest: Lebemann, Leichtfuß, Aufschneider, Versager! Und Jesus mitten drin.

II

Er begibt sich in’s Festgetümmel von Jerusalem. Magisch hatte sie den jungen Mann vom Lande angezogen, die Hauptstadt der römischen Provinz. Da war die Festung Antonia mit ihren waffenstarrenden römischen Soldaten; da waren die prächtig ausgebauten Ladenstraßen mit ihren Händlern. Karawanen kamen aus den Wüsten Arabiens, brachten Gold und Gewürze, Weihrauch und Myrrhe; aus Griechenland wurden Luxusgüter importiert, edle Hölzer vom Libanon herangekarrt; dichtes Gedränge, Esel und Kamele, Feinbäcker und Schlachter an jeder Ecke; Gewürzwein und Rauschtrank wurden feilgeboten und gute Geschäfte gemacht; Flüche und Gelächter, Bettler, Gaukler und Musikanten – nicht viel anders als auf dem Leipziger Weihnachtsmarkt.

Und da war der Tempel des Herodes, ein prächtiger Monumentalbau, der alles bisher Gesehene in den Schatten stellte. Und Jesus mitten drin - als hätte er gewusst, dass sich sein Geschick in den Mauern dieser Stadt erfüllt.

Merkwürdig ist da nur, dass er sich nicht wie ein Fremder verhält. Vielmehr bewegt er sich in den Tempelhöfen als wäre er dort schon immer zu Hause gewesen. Nicht als schüchterner Jüngling vom Lande trat er auf, der Augen, Mund und Nase aufsperrte und Bauklötzer staunte über die reichen, vornehmen Hauptstädter. Er drückte sich auch nicht unsicher und verlegen an die Seite, sondern wusste sich Gehör zu verschaffen. Wer ihm schon einmal über den Weg gelaufen war, war verwundert über den jungen Mann.

»Den kennen wir doch, das ist doch Jesus, der Sohn der Maria und des Josef aus Nazaret, der Herumtreiber. Was hat der denn hier das große Wort zu führen? Der spielt sich ja auf, als wäre er der Messias persönlich.«

III

Und Jesus rief laut im Tempel und lehrte.
Jetzt hält er ihnen und an diesem Abend wohl auch uns seine Weihnachtspredigt:

»Ihr kennt mich und wisst woher ich bin. Ihr wisst immer schon Bescheid. Eure Urteile stehen fest: ‚Was kann aus Nazaret schon Gutes kommen?’ Was soll aus dem denn schon werden, der keinen Bock hat auf Arbeit? Wie will die denn mit dem dritten Kind fertig werden, wenn ihr bereits die ersten beiden über den Kopf gewachsen sind? Was soll man von dem feinen Pinkel schon anderes erwarten, der ja doch nur an seinen Profit denkt? Und die Politiker, das weiß man doch: große Reden, viel versprochen, wenig gehalten. Wehe, wehe, wehe, wenn ich an das Ende sehe!

Ja, so denkt ihr, ihr und eure Urteile. Ihr kennt mich und wisst, woher ich bin. Wisst ihr das? Nichts wisst ihr! Ich bin nicht von mir selbst aus gekommen, sondern es ist ein Wahrhaftiger, der mich gesandt hat, den ihr nicht kennt. Ich aber kenne ihn; denn ich bin von ihm, und er hat mich gesandt.«

Was für eine merkwürdige Weihnachtspredigt! Die Hörer im Tempel von Jerusalem hat sie offenbar so erregt, dass – wie gleich danach zu lesen ist - einige seine Verhaftung forderten. Was ist da nur aus dem anrührenden Kind in der Krippe geworden, ein unwilliger, zorniger junger Mann? Einer, den keiner mehr versteht?

Vor Jesus, dem Christus, schmilzt all unser Wissen dahin wie der Schnee in der Sonne. Hier begegnet ein Mensch, der mehr ist als seine Herkunft, sein Elternhaus, sein Beruf; mehr als seine Erfolge oder auch Pleiten. Hier hat sich keiner selbst zum Guru gemacht und auch nicht zum Verlierer. Er kommt nicht wie die Weihnachtsmänner vom Arbeitsamt oder wie Opa aus Magdeburg. Dieser Mensch kommt aus der Wahrheit, aus Gott. Ja, er ist der Weg, die Wahrheit und das Leben.

Jesus, das Sorgenkind - der Sohn Gottes. Wer darf das von sich behaupten? Nur einer, der nichts für sich selber will. Nur einer, für den wir mehr sind als unsere Herkunft, unser Elternhaus, unser Beruf, unser Geldbeutel, unsere Erfolge. Nur einer, der den Vater nicht für sich gepachtet hat, sondern uns einlädt, alle miteinander als Gottes Kinder, als seine Schwestern und Brüder zu leben.

Deswegen hat die Christenheit und alle Welt guten Grund, sich zu freuen. Denn in dieser Nacht wurde nicht nur Gottes Sohn geboren, sondern Jesus, der unser aller Bruder ist. Du hast einen Bruder bekommen, dem mehr an dir liegt als an seinem eigenen Leben.

Daher gilt es jetzt, still zu werden und in Gedanken an seine Krippe zu treten, um das Wunder des Lebens zu bestaunen, das da geschehen ist: Das Wort ward Fleisch. Und irgendwie kann man’s heraushören aus dem Greinen des Kindes: Ich lebe und ihr sollt auch leben.

Und für jeden hat er da einen Platz an der Krippe, für die Hirten und die Weisen aus dem Morgenland. Da stehen auch die Lebemänner ganz bescheiden im Hintergrund. Und die Aufschneider sparen sich ihre großen Worte, denn es ist ja noch so klein, das Kind, so schwach, die Wahrheit. Und die Verlierer strahlen als hätten sie einen Sechser im Lotto gewonnen. Sie grummeln fast ein wenig stolz: unser Bruder! Und die überforderte Mutter atmet tief durch: Ich schaffe das, ich will das Kind. Und die Sorgenkinder halten es behutsam im Arm und ermahnen sich: Vorsicht, nicht fallen lassen! Es ist ja so zerbrechlich, ein Menschenleben, das wissen wir doch.

Und da stellen sie sich wie von selber ein, die vertrauten Worte, wie ein Chor, der aus der Ferne singt:

Ich steh an deiner Krippe hier,
o Jesu, du mein Leben.
Ich komme, bring und schenke dir,
was du mir hast gegeben.
Nimm hin, es ist mein Geist und Sinn,
Herz, Seel und Mut, nimm alles hin
und lass dir’s wohlgefallen.

Amen

Prof.Dr. Rüdiger Lux
Finkenweg 4,
04288 Leipzig-Holzhausen
lux@rz.uni-leipzig.de


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