Göttinger Predigten im Internet
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Heiliger Abend, 24. Dezember 2006
Predigt zu Johannes 7, 28-29, verfaßt von Christian Stasch
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


Jesus sagt: Ihr kennt mich und wisst, woher ich bin.
Aber nicht von mir selbst aus bin ich gekommen,
sondern es ist ein Wahrhaftiger, der mich gesandt hat.



Liebe Gemeinde !

1.
„Ich kenne Sie !“ Verwundert blickt er sich um. Eine ältere Frau hat es ihm hinterher gerufen, dem frischgebackenen Pastor in Fredelsloh. Er bleibt stehen. Sie kommt näher auf ihn zu. Der Norddeutsche Rundfunk hatte das Examen und den Berufsstart von ihm und seiner Frau gefilmt und in diesem November im Vorabendprogramm an fünf Abenden ausgestrahlt. „Ja. Ich kenne Sie genau, Herr Pastor. Aus dem Fernsehen. Ich hab alles angeschaut.“
Er lächelt freundlich, fragt nach Ihrem Namen und denkt sich zugleich: „Na, ob die mich wirklich schon so genau kennt?“

2.
Jemanden richtig kennen, das braucht Zeit. Jemanden kennen „lernen“, und sei es nur ein wenig, fängt damit an, dass man sich einander mit Namen vorstellt. Dem anderen die Hand reicht, in der Münsterkirche, mitten im Heiligabend-Gottesdienst: „Ich heiße so und so, und wie heißen Sie? Frohe Weihnachten.“ Probieren Sie es doch mal aus. Hier und jetzt. Jeder mit zwei Menschen: Mit dem, der hinter Ihnen und dem der vor Ihnen sitzt. (Ich warte, bis Sie fertig sind)

3.
Würden Sie jetzt sagen: Ich kenne den Mann vor mir? Die Frau hinter mir?
Immerhin ein bisschen. Ein bisschen besser als vorher. Aber so richtig - natürlich noch nicht.
Und vielleicht denken Sie auch für sich selber: Wen kenne ich eigentlich so richtig? Das kostet ja Mühe, sich immer mehr in jemanden hinein zu versetzen, jemanden immer besser kennen lernen, und vielleicht auch immer wieder neue Seiten an ihm zu entdecken.
Und: Wer kennt mich eigentlich so richtig? Kennt mein Partner, meine Partnerin mich, so wie ich bin? Vielleicht.
Kennen mich meine Mitarbeiter, mein Chef? Sollen die mich überhaupt richtig kennen, oder wäre das gefährlich? Mich soll nicht jeder ganz kennen. Wie viel Grundvertrauen muss da sein, so dass ich mich jemanden zu erkennen gebe, mit all meinen guten Seiten, aber eben auch mit meinen Schattenseiten?

4.
Es ist ein großes Fest, viele Menschen strömen zusammen. Alle Jahre wieder wird es gefeiert. Auch ER ist gekommen, 130 km sind das von seiner Heimat bis hierher in die Stadt. Ja, am Fest ist kein Weg zu weit. Am jüdischen Laubhüttenfest, dem großen Dankfest für die Wein- und Olivenernte. Wie gesagt: er ist da, der erwachsene Jesus aus Nazareth. Mitten auf dem Fest spricht Jesus mit kritischen Menschen im Tempel. Und er sagt Ihnen: Ihr kennt mich und wisst, woher ich bin.

Ihr kennt mich – sagt Jesus.


5.
Du lieber weihnachtlicher Mensch, am Christ-Fest 2006, überlege mal mit mir: wie funktioniert eigentlich ein Fest? Ein Fest wie das Christfest Weihnachten?
Es funktioniert, weil jeder die Regeln kennt. Weil jeder weiß, was dazugehört.
All deine Vorbereitungen waren in diesem Jahr zumindest so ähnlich wie in den vergangenen Jahren. Weihnachten ist wie eine „gute alte Bekannte“.
Du musst nicht ganz von vorn anfangen, sondern du hast das drauf: Wohnung schmücken, Geschenke besorgen, Backen, auf den Weihnachtsmarkt gehen zum Glühwein trinken, Fest-Essen planen, Besuche überlegen. Usw.

Auch hier in der Kirche:
Du sagst nicht: Was sollen diese Figuren da? Sondern du kennst es: Krippe und Stall. Und kennst den Neugeborenen, der da drinnen liegt.
Du sagst nicht: Wieso ist da Stroh im Baum? Sondern du weißt: Sterne - so wie der Stern über Bethlehem.
Und du denkst beim Schlusslied nicht: was ist denn das für ein neuer Song?, sondern du kennt es: „O du fröhliche“, und brauchst vielleicht nicht mal dein Liedblatt dafür.

Es ist vieles bekannt. So funktioniert ein Fest.

Dass kürzlich in der Morgenpost stand, 10 % aller Deutschen hätten keine Ahnung, warum Weihnachten gefeiert werde, klammern wir hier mal aus.


6.
Ihr kennt mich – sagt Jesus

Was ist das Kritische an seinen Gesprächspartnern im Tempel?

Dem erwachsenen Jesus halten sie sozusagen vor.
„Wir wissen wo du herkommst,
Nazareth, Zimmermanns-Sohn,
Maria und Joseph als Eltern,
das ist doch nichts Besonderes.
Wärst du der Messias, der Heiland, auf den wir alle warten,
dann müsste deine Herkunft weit außergewöhnlicher sein.
Und man dürfte deine Eltern gar nicht kennen.
Der Messias – das muss ein ganz besonderer sein.“

„Recht habt ihr.“ antwortet Jesus.
„Ihr kennt mich. Auf den ersten Blick. Ja.
Das stimmt schon, mit meiner Herkunft.
Aber darauf bin ich nicht festzulegen. Meine wahre Herkunft, das ist noch mehr.
Das sieht man erst auf den zweiten Blick. Denn ich bin von Gott gesandt.“

Im Kleinen Prinzen von St.Exupery heißt es: „Man sieht nur mit dem Herzen gut.“
Das stimmt, und es stimmt auch für den christlichen, den weihnachtlichen Glauben.


7.
Unsere vertraute, bekannte Weihnachtsgeschichte hilft uns: Dass wir gut hingucken, und mit dem Herzen sehen. Und in diesem Menschenkind Jesus - Gott entdecken.

Nicht großer Kaiser, sondern dies kleine Kind.
Nicht königlicher Palast, sondern der schmutzige Stall.
Nicht die Würdenträger des Landes, sondern die alltäglichen Hirten.
Nicht Gewalt, sondern Frieden.
Die Macht und Herrschaft dieses Kindes sieht anders aus als Herrschaft sonst für gewöhnlich aussieht. Und es erfordert einiges Umdenken.
Das Kind in der Krippe – Gottes vertrauensbildende Maßnahme für diese Welt.
So: so menschlich, so alltäglich, so unspektakulär,
so ist euch heute der Heiland geboren.
In diesem Menschenkind Jesus stellt sich Gott vor. Macht Gott sich bekannt.
Und will erkannt werden.

Dieser Gott, der auch dich kennt. Dein Leben. Deine Sehnsüchte.
Deine Sehnsucht nach innerem und äußerem Frieden, nach Geborgenheit.
Deine Sehnsucht nach Versöhnung in verkrachten Beziehungen.

Schön, einen Gott zu haben, der sich zu erkennen gibt – in Jesus.
Schön, einen Gott zu haben, der einen richtig kennt.

Gott meint es gut mit dir und kennt dich
Auch wenn du noch nie im Fernsehen warst.

Gesegnete Weihnachten.

Amen.

Christian Stasch
Christian.Stasch@evlka.de


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