Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, J. Neukirch, C. Dinkel, I. Karle

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Heiliges Christfest I, 25. Dezember 2006
Predigt zu Johannes 3, 31-36, verfaßt von Martin M. Penzoldt
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


Wochenspruch: Das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns und wir sahen seine Herrlichkeit.“
EG 36,1-5 Fröhlich soll mein Herze springen
Ps 24 EG 712
Gebet -Stilles Gebet
L: Lk 2,13-20
EG 23,1-7 Gelobet seist du, Jesus Christ
EG 37,1-4 Ich steh an deiner Krippen hier
EG 35,1-3 Nun singet und seid froh

PREDIGT

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes
und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit Euch allen!

Der Predigttext auf den 1. Weihnachtsfeiertag steht beim Evangelisten Joh 3,31-36

31 Der von oben her kommt, ist über allen.
Wer von der Erde ist, der ist von der Erde und redet von der Erde.
Der vom Himmel kommt, der ist über allen
32 und bezeugt, was er gesehen und gehört hat;
und sein Zeugnis nimmt niemand an.
33 Wer es aber annimmt, der besiegelt, daß Gott wahrhaftig ist.
34 Denn der, den Gott gesandt hat, redet Gottes Worte;
denn Gott gibt den Geist ohne Maß.
35 Der Vater hat den Sohn lieb und hat ihm alles in seine Hand gegeben.
36 Wer an den Sohn glaubt, der hat das ewige Leben.


Ein Text aus der Höhe, hoch - spekulativ, liebe Gemeinde,
können wir das auch so sehen, so von oben?
Wir lassen uns mitnehmen aus dem Kreis der Familie, Verwandtschaft,
hinaus aus unseren Häusern, so hoch hinaus,
wie sich der Himmel über diese Kirche wölbt und von dort aus - blicken wir uns an.

"Ich wurde überwältigt von der Finsternis. Eine unvorstellbare Stille.
Die Erde war so klein, blau und erschütternd einsam."
Astronauten gelten als harte Männer (und Frauen),
technikorientiert, nervenstabil und hoch belastbar.
Doch alle, die im Weltall waren, kehren verändert zurück,
ergriffen von ungläubigem Staunen, tief bewegt von dem, was sie sahen.
Und etwas geschieht da oben, was nicht im Flugplan steht.
Reinhard Furrer, Deutscher Passagier im Space Shuttle, sagte nach seiner Rückkehr leise:
"Ich hatte mir gewünscht, daß die Menschen mich gefragt hätten, wie es mir dort ergangen ist."

"Was mich am meisten erstaunte", so der Kosmonaut Leonow,
"war die Stille, eine unvorstellbare Stille.
Die Erde war so klein, blau und erschütternd einsam."

Der Amerikaner Eugene Cernan:
"Du blickst durch die Weite einer halben Million Kilometer schwarzen Weltraums zurück
auf den schönsten Stern am Firmament - die Erde.
Du verfolgst, wie sie sich dreht und siehst, daß sie nicht von Seilen gehalten wird,
während sie sich in einer Finsternis bewegt, die nahezu unvorstellbar ist."

Der Franzose Patrick Baudry:
"Die Schönheit der Erde ist unendlich zart und reich,
eine wunderbare Harmonie strahlender und sanfter Farben."

Und der Kosmonaut Wladimir Schatolow:
"Bei Nacht sieht die Erde noch zauberhafter aus als am Tage.
Irgendwo toben immer Gewitter.
Bisweilen reicht das Geflimmer der Blitze über ein ganzes Viertel eines Kontinents.
Plötzlich kommt es dir so vor, als seien es Bombenexplosionen. Der Atem stockt vor Schreck."

Der Amerikaner James Irwin:
"Dieses schöne warme, lebende Objekt sah so zerbrechlich, so zart aus."

Und der Araber Al Saud:
"Am ersten Tag deutete jeder von uns auf sein Land.
Am dritten Tag zeigte jeder auf seinen Kontinent.
Ab dem fünften Tag sahen wir nur noch die Erde als den einen, ganzen Planeten."

"Die Erde wurde plötzlich so klein,
daß ich sie einfach dadurch aus dem Weltall verschwinden lassen konnte,
daß ich meinen Daumen vor sie hielt." - so zum Schluß der Astronaut Buzz Aldrin, USA.

31c Der vom Himmel kommt, der ist über allen
32 und bezeugt, was er gesehen und gehört hat;
und sein Zeugnis nimmt niemand an.

Ich möchte mit Ihnen heute morgen in die Lüfte gehen,
möchte mit Ihnen abschütteln, was inmitten des Weihnachtsfestes
rund um die Familie bestimmend ist und die Welt lernen mit anderen Augen anzusehen.
Sie ist so anzusehen, wie die Astronauten sie angesehen haben.
Vielleicht ist nachher auch manches wieder leichter auszuhalten.
Sind diese Astronauten nicht auf einmal wie besorgte Väter und Mütter,
die sich über den Rand eines Kinderbettes beugen
und still und andächtig dieses bekannte und doch so fremde, aufregende Geschöpf ansehen,
die Grübchen und Bäckchen, die feinen Wimpern und zarten Lippen bestaunen,
sich nicht einkriegen können darüber, daß es ja so klein ist,
und doch eben: alles dran und sich bewegt, ganz von selbst.
Und sich schwören heimlich, diesem Kind nie weh zu tun;
sondern nur Lachen und Freude soll das Leben bestimmen,
ganz anders, als man es selbst erfahren hatte.

Alle, die im Weltall waren, so heißt es, kamen verändert,
ja für immer verändert, auf die Erde zurück.
Alle, die ganz in den Blick eines Kindes eingetaucht sind, beginnen selber zu strahlen.
Im Johannes-Evangelium heißt es:
"All so hat Gott die Welt geliebt, daß er seinen eingeborenen Sohn gab,
damit alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben."

Sehen Sie, wenn heute wieder die ganze Nation vor dem Fernseher sitzt und als unausweichlichen Beginn der allabendlichen Gehirnerweichung die Nachrichten sieht,
wo es wie bei dem Kosmonauten zugeht:
"Irgendwo toben immer Gewitter.
Bisweilen reicht das Geflimmer der Blitze über das ganze Viertel eines Kontinents.
Plötzlich kommt es dir so vor, als seien Bombenexplosionen. Der Atem stockt vor Schreck".

Also, wenn mit Neugier und Erschrecken die Nachrichten empfangen wurden,
dann kommt der Augenblick, von dem ich behaupten möchte,
warum alle Welt sich vor den Nachrichten versammelt hat:
Unter dem Stichwort: "das Wetter von morgen", weitet sich plötzlich der Blick
und von der Höhe eines Wettersatelliten sehen wir einen Ausschnitt unserer Erde,
überzogen mit Wetterschwaden und plötzlich so klein und liebenswert,
unser Heimatplanet, der blaue, wie eine Kristallkugel im schwarzen All
und während über Regen und Schauer, Schnee, Glatteis auf dem Rotenberg
und Badetemperaturen auf den Seychellen berichtet wird,
rücken wir alle näher zusammen;
nicht nur der Kampf mit dem Wetter eint uns, das Wetter trifft ja alle irgendwie,
sondern eben dieser Blick aus großer Höhe.
So dachten sich die Alten,
daß Gott aus den Wolken herabsieht auf die Erde.
Es ist die Perspektive in der wir erkennen:
wie liebenwert diese kleine Schöpfung ist im All, wie kostbar und zart.
All so hat Gott die Welt geliebt.

"Der von oben her kommt, ist über allen..., und bezeugt, was er gesehen hat."
Das ist die Außenperspektive, die Sicht von oben her.
So gesehen tritt manches in den Hintergrund,
was sonst so wichtig erscheint, wie der Astronaut berichtet,
es treten die Länder zurück, die Grenzen unter den Menschen,
ihre nationalen Gefühle, ja sogar die Kontinente, die Großmächte,
West und Ost und Nord und Süd:
wir sind Menschen auf einem kleinen blauen Planeten mitten im Weltenall,
wie auf einem Raumschiff und müssen anfangen, eine Weltaußensicht zu gewinnen,
müssen lernen über die Begrenztheit unserer Innenansicht
hinüberzufinden in die Perspektive von oben her und von ferne.

Von dieser Sicht aus können wir unsere Welt wieder lieben lernen,
wenn wir sie ebenso sehen, wie Gott, der - wie die Bibel berichtet,
ganz angetan und hingezogen war von seiner Schöpfung:
"Und siehe es war sehr gut."
Es fehlt uns ja nicht an kritischen Sehweisen
und es fehlt uns gerade an diesem Weihnachten nicht an Gründen
über vieles in dieser Welt bestürzt und traurig zu sein.
Aber wie wenig hat das alles geholfen,
wie ohnmächtig ist immer neu das Gefühl ausgeliefert zu sein an Vorgaben,
die wir nicht steuern und beeinflussen können.

Es ist für uns Menschen lebenswichtig,
daß wir diesen Stern wieder lieben lernen,
- daß wir wieder teilhaben an der Liebe Gottes zu dieser konkreten Erde,
- zu dem Boden, der uns trägt und zu dem Himmel, der sich über uns wölbt,
- zu den verschiedenen Menschen und Tieren - auch den Nutztieren, die diese Erde gemeinschaftlich bevölkern sollen
- und ja, auch zu uns, so daß wir uns selbst lieben lernen.

"Machen wir es wie Gott" so ein (theologischer) Spontispruch: "Werden wir Mensch!",
d.h. gestehen wir es uns ein, daß wir nicht perfekt sind und nicht unsterblich
und auch nicht allmächtig und schon gar nicht die Gabe der Vorsehung haben. -
Das alles ist Gott vorbehalten und das ist gut so.
Denn:
" Der von oben kommt ist über allen,
wer von der Erde ist, der ist von der Erde und der redet von der Erde.
Der vom Himmel kommt, ist über allen."

"Der vom Himmel kommt", so haben wir zunächst die Worte der Astronauten verstanden,
und aufmerksam zugehört, was sie bezeugen.
Das können wir alle verstehen, das ist ja ganz einfältig.
Es ist eine Art Liebeserklärung an die Erde, an die ganze Erde,
nicht nur an den eigenen Teil von ihr.

Wenn wir uns daran versuchen klar zu machen,
was die weihnachtliche Botschaft bedeutet,
dann sehen wir hier zuerst etwas ganz Entscheidendes:
Es sind keine großen tiefsinnigen Weisheiten, die die Christen verbreiten,
sondern es ist eine Liebeserklärung, die oft genauso einfältig und schlicht klingt,
wie unsere menschlichen Reden h alt voreinander so klingen;
fast fürchten wir uns, diese Worte ganz ernst zu nehmen,
so oft sind wir enttäuscht worden;
aber gesagt werden müssen sie doch.
Wie es etwa zwischen zwei Menschen geht,
wo der eine von dem anderen - neben allen Taten der Zuneigung - auch noch hören möchte,
dieses schrecklich abgedroschene: "Ich lieb dich".
Und doch steht diese ausgesprochene Liebesbezeugung -
in seiner Abgegriffenheit und Unechtheit -
stellvertretend für eine Wahrheit,
die einfach auch ausgesprochen werden muss.
Und so heißt es denn von Christus, der von oben gekommen ist, daß
"… er Zeugnis gibt von dem, was er gesehen hat..."

Ja, wenn man das schon hört: "Gott liebt dich".
Wie trivial und kitschig und falsch das schon klingt - und doch,
es muß gesagt sein, weil es für etwas steht,
was wir nur von Ferne ahnen und mit Sehnsucht spüren:
ich bin angenommen, ich bin etwas wert, ganz unabhängig von dem,
was andere aus mir gemacht haben und was ich selbst angestellt habe: ich bin wertvoll.

„Liebe deinen Nächsten wie dich selbst.“
Das wäre ja wohl ein schlimmes Wort,
wenn wir den anderen mit einem heimlichen Haß auf uns begegnen sollten.
Nein, es setzt ja wohl voraus, daß etwas liebenswert an mir ist
und das ist etwas, was sich allem platten Zugriff entzieht.
Wir sagen: daß Gott uns annimmt, das ist entscheidend,
das macht uns, das macht alle Menschen, liebenswert und liebenswürdig.
„Wer es (aber) annimmt, besiegelt (der zeigt damit), dass Gott wahrhaftig ist.“

Ich hatte Ihnen versprochen, mit Ihnen etwas in die Höhe zu gehen,
gewissermaßen von oben herab mal den Blick zu werfen,
und wir haben dabei festgestellt,
daß von höherer Warte aus betrachtet es als das Selbstverständlichste scheinen muß,
daß wir hineingenommen werden in diese Liebe Gottes zu der Welt und
daß uns auch Christus nicht anders begegnet als ein Zeuge dieser Sicht von oben her -
und daß es also mit Liebe unter den Menschen auch einen neuen Anfang haben sollte.

Und so beugen wir uns über die Krippe
über das Kind, so zerbrechlich und zart,
so klein, dass wir es aus dem Weltall verschwinden lassen könnten,
wenn wir unseren Daumen davor hielten.
Doch wir trauen dem Blick, dem Wort aus der Höhe:
Der Vater hat den Sohn lieb
und in ihm uns alle.

Wie nervenzerfetzend die Begegnung unter Menschen auch sein kann
und mühsam es ist auch nur etwas Zuneigung untereinander zu zeigen,
einander leben zu lassen, das wissen wir ja schon nur zu genau,
aber mit dem Schwung von der Höhe her, oder besser gesagt:
mit dem Schwung der Gnade Gottes
lässt sich das Leben hier auf Erde neu beginnen.

Vor zweitausend Jahren hat die Menschheit neu begonnen,
und sie wird es auch diese Weihnacht wieder neu beginnen können,
Volk für Volk,
Stadt für Stadt,
Gemeinde für Gemeinde,
Familie für Familie,
Mensch für Mensch.
„Wer es (aber) annimmt, besiegelt (der zeigt damit), dass Gott wahrhaftig ist.“

AMEN.
Und der Friede Gottes welcher ist höher denn alle Vernunft,
bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen


KR Martin M. Penzoldt,
Württembergstr. 52,
70327 Stuttgart
martin.penzoldt@elk-wue.de



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