Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, J. Neukirch, C. Dinkel, I. Karle

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1. Sonntag nach dem Christfest, 31. Dezember 2006
Predigt zu Johannes 12, 44-50, verfaßt von Mira Stare
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


Liebe Glaubende,

der heutige Sonntag ist zugleich der letzte Tag in diesem Jahr. Das Jahr 2006 ist in einigen Stunden beendet und das neue Jahr 2007 beginnt. Mit dem Jahreswechsel erleben wir einen Übergang. Einerseits blickt man noch einmal auf das Geschehene im vergangenen Jahr zurück und man zieht aufgrund der gemachten Erfahrungen persönliche Erkenntnisse und Beschlüsse daraus. Andererseits orientiert man sich für das kommende Jahr, für den noch bevorstehenden Weg. In einer solchen Übergangssituation ist die Frage nach dem „Wohin“ bzw. nach dem Sinn unseres Lebens wieder lebendig und wir sind innerlich aufgefordert, eine Antwort darauf zu geben.

Das Johannesevangelium bezeugt wiederholt, wie Jesus den Sinn seines Lebens und das Ziel seines Kommens ständig vor den Augen hatte. Er äußerte sich immer wieder, wozu er in diese Welt gekommen ist. Auch im Evangelium für den heutigen Sonntag hören wir den johanneischen Jesus, der unmittelbar vor seiner Passion den Sinn seiner gesamten Sendung noch einmal in einer zusammenfassenden Form wiedergibt. Er spricht über den Sinn seines Kommens in diese Welt.

Ich bin das Licht, das in die Welt gekommen ist, damit jeder, der an mich glaubt, nicht in derFinsternis bleibt“ (Joh 12,46).
Jesus beschreibt sein Kommen in die Welt mit dem Bild vom Licht. Er selber versteht sich als Licht, das in die Welt gekommen ist. Seine Funktion als Licht sieht er darin, daß Menschen nicht in der Finsternis bleiben, nämlich jeder, der an ihn glaubt. Jesus spricht eine dunkle Realität dieser Welt an. Das ist die Finsternis. Die Finsternis verhindert das Sehen. Es wird alles dunkel und gleich. Die Finsternis ist in der Bibel ein Bild für Chaos, Unheil und Tod. Das Bleiben in der Finsternis bedeutet auf diesem Hintergrund das Bleiben im Chaos, Unheil und Tod. Die Dauerhaftigkeit und die Unveränderlichkeit dieses unheilvollen Zustandes und die Ohnmacht des Menschen, selber diesen Zustand zu verändern, kommen mit dem Bild des „Bleibens in der Finsternis“ deutlich zum Ausdruck.
Ist dieses Bild für unsere Zeit noch entsprechend, auch für mich persönlich? Oder klingt es für unsere Ohren etwas zugespitzt, wenn in der Bibel so häufig auch finstere Seiten der menschlichen Existenz zum Ausdruck kommen? Wir leben in einer Zeit, in welcher jeder von uns ständig aufgefordert wird, erfolgreich und glücklich zu sein, steile Aufstiege und Spitzenleistungen in der Karriere wie auch im privaten Leben zu machen. Es werden Bedürfnisse erzeugt, für sich selber eine heile Welt zu konstruieren und diese durch eigene Leistungen zu verantworten. Demgegenüber betreffe das Unheil diejenigen, die nicht erfolgreich sind, die nicht richtige Strategien in ihrem Leben gewählt haben, die ihre Chancen versäumt oder unter unglücklichen Umständen vielleicht nie bekommen haben. Ist es wirklich so, daß wir und nur wir selber unser Heil und Glück in der Hand haben? Machen wir damit nicht unsere Augen zu, vor allem vor dem, was wir selber nicht bestimmen können? Verdrängen wir nicht dadurch unsere Schwachheit und Ohnmacht – endlich auch angesichts des Todes, weil unsere moderne Denkweise auf der Seite der Starken so eine Schwäche nicht ertragen kann?

Demgegenüber blendet die Bibel die unheilvollen Situationen nicht aus. Sie sind ihr vertraut und betreffen jeden Menschen, zuletzt angesichts des Todes. Biblische Texte sind einstimmig im Gedanken, daß der Mensch sich selbst aus dem Unheil und dem Tod nicht retten kann. Alle – auch starke – Menschen sind heilsbedürftig und alle können das Heil nur auf dem geschenkten und nicht selbstgemachten Weg erreichen. Die Sendung Jesu als Licht gilt der Welt, das bedeutet der ganzen Menschheit. Zweimal spricht Jesus im heutigen Evangelium von der Welt und beidemal von seinem für die Menschheit heilbringenden Kommen. Zuerst im Kontext seiner bereits erwähnten Selbstbezeichnung als Licht der Welt. Und zum zweiten Mal in der folgenden Aussage:
„Denn ich bin nicht gekommen, um die Welt zu richten, sondern um sie zu retten“ (Joh 12,47b).
Diese Heilszusage Jesu macht deutlich: Das Heil bzw. die Rettung ist ein Geschenk Gottes in Jesus an uns Menschen. Der Mensch selber ist nicht der Heilmacher. Jeder Mensch bleibt angesichts des Heils von Gott abhängig. Er hat jedoch die Möglichkeit, diese Gabe und damit Jesus und seine Worte anzunehmen oder abzulehnen.
Wie die Ablehnung bzw. die Annahme des von Jesus angebotenen Heils konkret praktiziert wird, verdeutlich der johanneische Jesus in diesem Zusammenhang weiter. Die Zeichen der Ablehnung Jesu sind: seine Worte nur zu hören, aber nicht zu befolgen. Seine Worte nicht richtig anzunehmen, bedeutet für Jesus, ihn selbst zu verachten. Die radikale Folge der Ablehnung Jesu und des Nicht-Befolgens seiner Worte ist für Menschen das Selbstgericht. Er sagt:
“Wer mich verachtet und meine Worte nicht annimmt, der hat schon seinen Richter:
Das Wort, das ich gesprochen habe, wird ihn richten am Letzten Tag“ (Joh 12,48).
Dagegen bedeutet die Annahme Jesu und seiner Worte für Menschen das ewige Leben.

Liebe Glaubende, das Wort Gottes für den heutigen Tag lädt uns ein, uns als heilsbedürftige Menschen zu erkennen. Noch mehr, es lädt uns zu einem Umdenken ein, nämlich das Heil nicht von uns selbst zu erwarten, sondern nur von Gott, dem Vater, und seinem Sohn Jesus Christus, der den Weg vom Tod zum ewigen Leben für uns vorbereitet hat und diesen Weg als erster uns vorausgegangen ist. Nur so kann die bereits im Prolog des Johannesevangeliums erwähnte tragische Ablehnung des Heils und des Lebens ein Ende finden. Dort heißt es:
In ihm (dem Wort) war das Leben, und das Leben war das Licht der Menschen. Und das Licht leuchtet in der Finsternis, und die Finsternis hat es nicht erfaßt / ergriffen“ (Joh 1,4-5).
Auch im Gespräch mit Nikodemus geht Jesus gerade diesem Problem auf die Wurzel:
„Denn mit dem Gericht verhält es sich so: Das Licht kam in die Welt, und die Menschen liebten die Finsternis mehr als das Licht; denn ihre Taten waren böse“ (Joh 3,19).
Wenn das menschliche Handeln nicht mehr dem Leben dient, sondern es unterdrückt, dann wird die Finsternis mehr als das Licht und der Tod mehr als das Leben geliebt.
Es stellt sich die Frage, wann die Trennung von der Finsternis möglich ist, was die Voraussetzung dafür ist, daß das Licht mehr als die Finsternis geliebt wird. Das kann erst geschehen, wenn man sich als heilsbedürftiger Mensch erkennt. Dann wird man sich zum Licht und zum Leben wenden und zu Jesus, der in seiner Person dieses Licht und Leben verkörpert. So ist die Nachfolge Jesu bereits von diesem Licht gekennzeichnet:
Ich bin das Licht der Welt. Wer mir nachfolgt, wird nicht in der Finsternis umhergehen, sondern wird das Licht des Lebens haben“ (Joh 8,12).
Wir sind eingeladen zu dieser Nachfolge Jesu, indem wir zu unserer inneren Angewiesenheit auf Gott „Ja“ sagen und das uns von Gott geschenkte Leben bejahen. Auch hier geht Jesus uns voraus in seiner ständigen Verbundenheit mit dem Vater. Der Anfang und das Ende des heutigen Evangeliums bezeugen seine Verbundenheit mit dem Vater eindeutig:
“Wer an mich glaubt, glaubt nicht an mich, sondern an den, der mich gesandt hat, und wer mich sieht, sieht den, der mich gesandt hat … Denn was ich gesagt habe, habe ich nicht aus mir selbst, sondern der Vater, der mich gesandt hat, hat mir aufgetragen, was ich sagen und reden soll. Und ich weiß, daß sein Auftrag ewiges Leben ist“ (Joh 12,44-45.49-50).

Die Gemeinschaft mit Jesus und dem Vater bleibt auch im kommenden Jahr für uns alle offen und zugänglich als Ort und Quelle des unzerstörten Lebens. Machen wir uns auf den Weg aus unseren unvollständigen Selbstsicherheiten zu diesem Ort des Lebens in Fülle!

Amen.

Dr. Mira Stare
Institut für Bibelwissenschaften und Historische Theologie
Katholisch-Theologische Fakultät
Karl-Rahner Platz 1
A-6020 Innsbruck
mira.stare@uibk.ac.at

 

 

 


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