Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, J. Neukirch, C. Dinkel, I. Karle

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1. Sonntag nach dem Christfest, 31. Dezember 2006
Predigt zu Lukas 2, 25-40, verfaßt von Hanne Sander (Dänemark)
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


Hier – wo wir dabei sind, Weihnachten hinter uns zu lassen – bekommen wir ein paar Bilder mit auf den Weg, die sehr scharf und deutlich dastehen. Bilder der beiden alten Menschen, Simeon und Hanna, die im Tempel das Kind Jesus sehen. Maria und Joseph sind nach Jerusalem gekommen, damit Jesus dargestellt werden konnte, und um zu opfern, was nach der Geburt eines Kindes geopfert werden musste. Indem Lukas die beiden alten Menschen dem neugeborenen Kind begegnen lässt, gelingt es ihm, den Bericht so zu erzählen, dass er sehr deutlich zu einer Veranschaulichung des Übergangs zu der neuen Zeit wird. Lukas legt Wert darauf, dass die Begegnung zugleich ein Festhalten an der Tradition und eine Offenheit für Erneuerung bedeutet. Erstens wird das Kind durch seine Eltern in die Tradition eingebracht: Gesetze werden eingehalten und alter Brauch wird befolgt, während das Kind zugleich auf eine neue Zeit vorausweist– es ist selbst das Neue. Zweitens vertreten Simeon und Hanna beide Kontinuität, und sie sind beide in der Tradition verwurzelt – zugleich aber sind sie auf das Neue gerichtet, das kommen wird. Sie leben in einer offenen Erwartung von Erneuerung. Deshalb ist das ein so erbauliches Bild von den beiden Alten, und wir können von ihnen lernen: zugleich treu zu sein gegenüber dem Ererbten und offen für das Neue.

Alle wissen, wie trist es sein kann, wenn man alten Menschen begegnet, die ihre letzten Jahre in Bitterkeit und Enttäuschung leben. Ihre Bitterkeit und Enttäuschung können manchmal so groß sein, dass man den Eindruck haben kann, ihr Leben sei nie anders gewesen. Sie können von all dem erzählen, woraus nichts wurde, oder von dem, was so sehr viel anders wurde, als sie es sich gedacht hatten. Manchmal kann es auch über die Lage in der eigenen Gegenwart eine große Bitterkeit geben: Kinder, die enttäuschen, Hilfe, die ausbleibt, Sinneswahrnehmungen und Fähigkeiten, die versagen – oder mehr umfassend, eine Bitterkeit und ein Zorn über die vielen Unglücke und unglücklichen Ereignisse, die überall in der Welt geschehen. Aber noch schlimmer kann es sein, wenn man einem Menschen begegnet, der seinen Lebensabend damit verbringt, dass er Gott gegenüber verbittert ist: es kann ein Mensch sein, der sein ganzes Leben lang mit Gott gelebt hat, aber dann sucht ihn in den letzten Jahren eine Krankheit heim oder schweres Unglück trifft ihn, so dass sein Glaube zerbricht.

Wir erfahren nicht viel über das Leben Simeons und Hannas. Wir wissen nicht, ob sie Erfahrungen gemacht haben, die ihren Glauben an Gott bestätigt und gestärkt haben, oder was sie erlebt haben. Aber sie werden fortgesetzt als Bilder für Menschen dastehen, die auch dann noch, wenn sie alt geworden sind, große Dinge von Gott erwarten. Sie hatten sich ihr ganzes Leben lang große Träume und Erwartungen bewahrt, und das hatte ihr Leben aufrecht erhalten und buchstäblich den Tod hinausgeschoben. Und jetzt, da sie das Kind sehen, zweifeln sie nicht, dass ihre Erwartungen erfüllt sind.

Aber was sieht Simeon? – Ja, er sieht wohl auch das, was wir sehen können, nämlich ein Kind, das den meisten anderen Kindern von Juden gleicht, eine kleine Familie wie die meisten anderen Familien, die ihren Erstgeborenen in den Tempel brachte, wie es Brauch war. Wie können sie im Ernst von Erfüllung und Erlösung sprechen angesichts eines Kindes? Mitten in einer finsteren Zeit, in der viele Menschen niedergedrückt waren: politisch durch die römische Besatzungsmacht und religiös durch ein an das Gesetz gebundenes und moralisierendes Judentum. In einer derartigen Zeit mag es schwierig sein, anderes als nur Finsternis zu sehen.

Aber Simeon und Hanna sahen das, was die Hirten sahen und was die Weisen gesehen hatten, nämlich das, was die Augen nicht sehen können, sondern was nur mit dem Herzen gesehen werden kann oder mit den Augen des Glaubens und der Liebe, und das ist ein und dasselbe.

Aber sehr oft steht es im Gegensatz zu dem, was die Augen sehen, und das weiß Simeon auch genau. Das Kind wird wie im Weihnachtsevangelium betrachtet als ein Zeichen für das Neue, das in die Welt gekommen ist: der Heiland, der in der Stadt Davids geboren worden ist, das Licht, das all denen leuchten wird, die in Finsternis und im Schatten des Todes leben, denn Simeon bezeugt bereits hier das Kind als ein Zeichen, dem widersprochen werden wird und das Widerstand hervorrufen wird: die Macht wird von der Ohnmacht herausgefordert werden, die Gewalt wird provoziert werden durch die Güte. Alles wird an den Tag kommen, und Durchbruch von etwas Neuem bedeutet immer auch den Zusammenbruch von etwas, was vorher war. Lukas betont zwar die Kontinuität, als Voraussetzung von Erneuerung, aber das Bild, das am längsten stehenbleiben wird, ist das Bild des Simeon, der sein Leben in vertrauensvoller Erwartung des Heils und der Befreiung Israels gelebt hat, und jetzt, da er das Kind als ein Zeichen der Erfüllung gesehen hat, da kann er ebenso vertrauensvoll sein eigenes Leben verlassen. Simeon erlebt die Befreiung, als etwas Neues entstanden ist. Das Alte ist vorbei. Amen

Pastor Hanne Sander
Prins Valdemarsvej 62
DK-2820 Gentofte
Tel.: ++ 45 – 39 65 52 72
e-mail: sa@km.dk

Übersetzung aus dem Dänischen: Dietrich Harbsmeier

 


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