Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, J. Neukirch, C. Dinkel, I. Karle

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Neujahr, 1. Januar 2007
Predigt zu Sprüche 16, 1- 9, verfaßt von Christian-Erdmann Schott
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


Liebe Gemeinde,

neben Mutigen und Ängstlichen, Machern und Zauderern, Stürmern und Geduldigen, Lauten und Leisen hat es immer auch die Nachdenklichen gegeben; Menschen, die gern mehr wüssten von dem, was die Welt im Innersten zusammenhält; Menschen, denen es vor allem Tun und Machen um Durchblick, Einsicht, Verständnis für das Leben, die Menschen, für das, was um sie herum geschieht, geht.

Solche nachdenklichen Menschen hat es schon im alten Israel gegeben. Sie haben ihre Beobachtungen und Erkenntnisse in einer ganz bestimmten Literatur niedergelegt, der Weisheitsliteratur. Diese ist deutlich unterschieden von den Schriften der Propheten, die auf Veränderungen drängen, oder von den Schriften der Priester, denen es um die Bewahrung der Tradition, der Lehre und des Gottesdienstes geht: Die Weisheitsliteratur ist auch unterschieden von den Betern, die wir aus den Psalmen, oder von den Historikern, die wir aus den großen Geschichtswerken der Bibel kennen.

Das Besondere an der Weisheitsliteratur ist das Interesse an Regeln und Gesetzmäßigkeiten, die sich aus den Beobachtungen des Lebens gewinnen lassen. Diese Regeln sind geronnne Lebenserfahrungen, in einen kurzen Satz oder eine Sentenz zusammengefasste Perlen der Lebensklugheit. Ein Abschnitt aus dem Buch der Sprüche ist heute – sehr passend zum Beginn des neuen Jahres - unser Predigttext. Ich lese:

  1. Der Mensch setzt sich`s wohl vor im Herzen; aber vom Herrn kommt, was die Zunge reden soll.
  2. Einen jeglichen dünken seine Wege rein; aber der Herr wägt die Geister.
  3. Befiehl dem Herrn deine Werke, so werden deine Ratschläge fortgehen.
  4. Der Herr macht alles zu bestimmtem Ziel, auch den Gottlosen für den bösen Tag.
  5. Ein stolzes Herz ist dem Herrn ein Gräuel und wird nicht ungestraft bleiben, wenn sie gleich alle aneinander hängen.
  6. Durch Güte und Treue wird Missetat versöhnt, und durch die Furcht des Herrn meidet man das Böse.
  7. Wenn jemands Wege dem Herrn wohl gefallen, so macht er auch seine Feinde mit ihm zufrieden.
  8. Es ist besser wenig mit Gerechtigkeit denn viel Einkommen mit Unrecht.
  9. Des Menschen Herz erdenkt sich seinen Weg, aber der Herr allein gibt, dass er fortgehe.

Aus dieser Sammlung lassen sich drei Einsichten herauslesen, die die Weisen zu lebensklugen, lebensförderlichen Ratschlägen gebündelt haben:

I. V. 1 – 3: Seid klug, seid weise und vergesst bei allem, was ihr plant, wollt, tut, nicht Gott, den Herrn. Offensichtlich war dieser Rat auch damals schon nötig. Er ist zu allen Zeiten nötig, weil in uns Menschen eine unausrottbare Neigung steckt, uns selbst zu überschätzen. Besonders wenn wir kraftvoll und erfolgreich sind, wenn das Leben klappt und gelingt, neigen wir dazu, uns wie Prometheus, der niemanden über sich anerkennen wollte, sondern strotzend vor Kraft sich für den Herrn der Welt hält, zu sagen: „Ich weiß, was ich zu tun habe“, „Ich gehe meinen Weg“, Ich habe klare Vorstellungen von dem, was ich will“.

So die Haltung, die hinter diesen drei ersten Versen steckt. Aber gerade gegenüber dieser Selbstsicherheit raten die Weisen: Sei vorsichtig, überschätze Dich nicht, bleib auf der Erde und mach Dir klar, dass Du nur ein Gast in diesem Leben bist. Du hast Dir das Leben nicht gegeben. Du hast Deinen Lebensraum nicht geschaffen. Du bist eingeladen und darfst zusammen mit den anderen von der Güte des Gastgebers leben. Tatsächlich gehört Dir nichts und was Du hast, Deine Gaben und Deine Ausrüstung für ein erfolgreiches Leben, hast Du geschenkt bekommen.

Das heißt im Klartext: Ohne Gott läuft nichts. Er ist es, der das Ganze und darin auch mich geschaffen hat, der es weiterhin erhält und in dieser seiner Schöpfung, seinem Reich als Herr und Eigentümer waltet und regiert; zwar unsichtbar, aber nicht unspürbar.

Genau an diesem Punkt scheiden sich die Geister. Die Nachdenklichen, suchen das Walten Gottes zu erkennen, aufzuspüren, zu benennen und ihr Verhalten damit in Übereinstimmung zu bringen. Sie sind dankbar und fühlen sich bestätigt, wenn sie erleben, dass sie die Übereinstimmung mit Gott getroffen haben und raten auch anderen, sich darum zu bemühen: Denn „Vom Herrn kommt, was die Zunge reden soll“, „Der Herr wägt die Geister“, „Befiehl dem Herrn deine Werke“.

Für die Gottvergessenen dagegen ist das Walten Gottes kein Thema. Das bedeutet allerdings nicht, dass es nicht stattfindet. Es findet statt und von Zeit zu Zeit bekommen es die Menschen auch zu spüren, ob sie es wollen oder nicht, indem Gott ihnen Grenzen setzt oder auf die Finger klopft. Ob sie dadurch weiser werden, liegt dann am einzelnen.

Immerhin gibt es dabei Hilfen. Wenn und weil wir selber vollumfänglich nicht darauf kommen, tun wir gut daran, auf Stimmen und Personen zu hören, die uns als von Gott autorisierte Wegweiser zeigen, wie wir Gott und damit den Zusammenhang mit dem Ganzen finden können. Sie reichen von den Propheten über Jesus Christus bis zur Predigt der Kirche.

II. V. 4 – 5: Der zweite, daran anschließende und darauf aufbauende Rat heißt: Seid klug, seid weise und unterschätzt beim Walten Gottes nicht den Faktor Zeit. Georg Neumark, der Dichter und Komponist des Liedes „Wer nur den lieben Gott lässt walten…“ hat diesen Gedanken auf den Punkt gebracht: „Die Folgezeit verändert viel und setzet jeglichem sein Ziel“. (Ev. Gesangbuch (EG) 369, 5) Wir können das ja fast täglich sehen: Leute, die ganz groß dagestanden und den Ton angegeben haben, sind plötzlich, über Nacht nichts; sind gesundheitlich oder moralisch oder wirtschaftlich und gesellschaftlich am Ende.

Daran zu erinnern, hat nicht den Sinn, mit Fingern auf solche Gestürzten zu zeigen und im Stil der Bild-Zeitung den Sensationswert ihres Versagens für Unterhaltungszwecke auszunutzen. Es heißt vielmehr, sich selbst daran erinnern und warnen zu lassen, wie schnell ein Mensch oder eine ganze Gruppe, die „alle aneinander hängen“ und sich gegenseitig gestützt haben (V. 5), am Ende sein können.

Mit der Thematisierung dieser Beobachtungen verfolgen die Weisen aber noch eine andere Absicht: Sie wollen den Ehrlichen, der miterlebt, wie Leute ihre Vorteile suchen, sich bereichern, andere benachteiligen und damit auch durchkommen und sehr erfolgreich sind, ermutigen: Lass Dich nicht verunsichern, lass Dich nicht bluffen. Denke dran: „Die Folgezeit verändert viel….

III. V. 6 – 9: Der dritte Rat schließlich: Seid klug, seid weise und lasst Euch nicht irre machen. Flotte Sprüche wie „Heute sieht man das ganz anders, zeitgemäß, lockerer“ „Heute geht es um Cleverness“. „Glauben, die Zehn Gebote, Beten, Ehrlichkeit sind heute nicht mehr gefragt“. Das heißt, dass der Ehrliche eben doch der Dumme ist? Die Frage steht im Raum.

Die Weisen reden anders: Bleib bei Gott, fürchte ihn, ehre ihn, das gibt Dir Festigkeit und Du wirst sehen: Gott ist nicht kleinlich. Er schenkt Dir viel. Freilich, einen Anspruch hast Du nicht. Aber die Erfahrung lehrt, dass Gott großzügig ist: „Denn welcher seine Zuversicht auf Gott setzt, den verlässt er nicht“ (EG 369, 7). Er wird Dich den Weg finden lassen, der für Dich gut und richtig ist, und den geh ohne Zögern, dankbar und entschlossen.

Dabei stellt sich dann auch ein: Frieden mit Dir selbst, mit Deinen Freunden, langfristig sogar mit Deinen Feinden. Er schenkt Dir die ehrliche Freude an dem, was Du hast. Und wenn es weniger ist als bei anderen, was bedeutet das schon.

So sind es drei Ratschläge aus dem Schatz der Weisheitsliteratur, die hier zusammengestellt sind: Seid weise und seid klug und

Vergesst nicht Gott, den Herrn
Denkt an den Faktor Zeit
Der Ehrliche ist der Kluge.

Es ist realistisch, davon auszugehen, dass wir uns diese Ratschläge das ganze lange Jahr 2007 hindurch kaum merken werden. Schon morgen wird es schwer sein, sie noch zusammen zu bekommen. Wir haben aber im Gesangbuch zwei schöne alte Lieder, die im Geist der christlichen Weisheit und Lebensklugheit gedichtet sind. Das eine stammt von Paul Gerhard, an dessen 400. Geburtstag wir im Jahr 2007 erinnern: „Befiehl du deine Wege…“. Das andere ist „Wer nur den lieben Gott lässt walten….“ von Georg Neumark, das ich zu dieser Predigt besonders herangezogen habe.

Beide könnten uns im neuen Jahr wichtige Begleiter werden, uns trösten und stärken und uns etwas von der heiteren Gelassenheit geben, die die Nachdenklichen zu allen Zeiten ausgezeichnet und vor Gott und den Menschen angenehm gemacht hat. Amen.

Pfarrer em. Dr. Christian-Erdmann Schott
Elsa-Braendstroemstraße 21
55124 Mainz
E-Mail: ce.schott@surfeu.de

 


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